06/10/2023

Hohe Baupreise, Facharbeitermangel, teure Grundstücke. Wohnen wird immer teurer. Die Situation in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ist besorgniserregend. Daher lud die Kammer der Ziviltechniker:innen, Architekt:innen und Ingenieur:innen Wien, Niederösterreich und Burgenland am 5. Oktober zur Pressekonferenz „Wann wird es endlich wieder billiger? Wie wir leistbares Wohnen sichern.“ Die Zukunft liegt in der Nutzung und Ertüchtigung von Bestand, einer fairen Gestaltung der Baupreise, sowie mehr kommunalem Wohnbau und alternativen Wohnformen. Wesentliche Voraussetzungen dafür sind eine Datenerhebung von Leerstand und mehr Transparenz.

06/10/2023

Vortragenden der Pressekonferenz (v. l. n. r.): Architekt Dipl.-Ing. Bernhard Sommer, Arch. Mag. arch. Jutta Wörtl-Gößler , Arch. Mag. arch. Ulrike Schartner,  © Sabine Klimpt

Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen, doch es wird immer unleistbarer. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: Es gibt weniger Neubauten, weniger Neubau-Fördermittel, deutlich weniger Baubewilligungen. All das führt zu einer Verknappung des Angebots und zu einem weiteren Preisanstieg. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Die Preise für das Bauen und für die Energie sind stark gestiegen, Lieferengpässe führen zu Materialverknappung, die Branche leidet an Facharbeitermangel. Bauträger stoppen Projekte nach der Einreichung und ziehen sich aus dem Wohnbau zurück. Die Baubewilligungen der gemeinnützigen Bauträger sind um 25 % gesunken. „Man kann jetzt schon prognostizieren, dass das Volumen des Wohnungsneubaus einbrechen wird“, sagt Bernhard Sommer, Landeskammerpräsident von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. „Man muss sich nur die Zahl der Baubewilligungen ansehen.“ Werden derzeit in Wien noch 15.900 Wohneinheiten fertig, könnten es im Jahr 2025 nur noch 7.500 Einheiten sein. Österreich ist damit nicht allein: in ganz Europa stagniert der Wohnbau.
 

Transparente Preisgestaltung und Vergabe nach Einzelgewerken

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang der Baupreisindex: Betrug der Preisanstieg im Hochbau zwischen 2015 und 2020 noch 16 %, kletterte er seitdem auf 35,3 % an. Beim Tiefbau lag er hingegen bei nur 3,4 %. Sommer wünscht sich mehr Transparenz. „Wir fordern schon lange ein Preisprüfungsgremium, das recherchiert und evaluiert, welche Kosten die Firmen haben und welche Preise sie weitergeben. Das ist auch eine Aufforderung an die Behörden.“ Ein weiterer Punkt ist die gängige Vergabepraxis: die meisten geförderten Wohnbauten werden als Generalunternehmer (GU)-Leistungen ausgeschrieben, wofür nur eine geringe Anzahl an großen Baufirmen in Frage und dadurch zum Zug kommt. Diese verlangen üblicherweise GU-Aufschläge von 10 bis 15 %. Bei einer Vergabe von Einzelgewerken – Tischler, Zimmerer, Baumeister, Elektriker – kämen auch Klein- und Mittelbetriebe, die Säulen der heimischen Wirtschaft, zum Zug. Wahrscheinlich wäre es – weil ohne Aufschläge – auch günstiger. Die Kammer fordert, das in zwei parallelen Ausschreibungen zu evaluieren. Dazu kommen steigende Preise für Grund und Boden sowie die Herausforderungen des Klimawandels. „Wenn wir so weiterbauen, fördern wir eine Klimaarmut beim Wohnen.“



Die Zukunft liegt im Bestand

„Die Nachfrage nach Wohnraum steigt, in der Vergangenheit sind wir ihr mit Neubau begegnet. Wir müssen den Bestand, den wir haben, an die Zukunft angepasst aus- und umbauen“, so Architektin Mag. arch Ulrike Schartner vom Ausschluss Wohnbau und Leistbarkeit. Im Bestand stecken viel Nutzungspotenzial und in Form von grauer Energie auch sehr viel gebundenes CO₂. Schartner weist dabei ganz dezidiert auf die Bedeutung von Leerstand hin. „Jeder Leerstand kostet die Kommune viel Geld, schadet dem Klima und treibt die Mieten in die Höhe. In Amsterdam und Barcelona gibt es strenge Regelungen, die dazu führen, dass er vermietet und genutzt wird. Bei uns ist der Leerstand nicht einmal erfasst. Wir haben keine Daten.“ Die Kammer fordert, Leerstand zu erheben, den Wohnungstausch zu erleichtern und keine Neubauten zu widmen, ohne vorher den Leerstand erhoben zu haben. „Bestand abzureißen ist derzeit günstiger, als Bestand zu erhalten und zu sanieren. Es gibt Baugenehmigungen, aber keine Abbruchgenehmigungen“, so Schartner. Außerdem müssten energieeffiziente Maßnahmen gefördert und die Wiederverwertung alter Baumaterialien umgehend erleichtert werden. Wer das tut, ist derzeit massiv benachteiligt. Eine angemessene Besteuerung von CO₂ könnte da gegensteuern. Bestandssanierung ist sehr arbeitsintensiv, könnte das Handwerk als Lehrberuf aufwerten und das Image der Bauwirtschaft verbessern. „Der Weg in den Bestand ist auch ein Weg aus der Klimakrise und ein Weg in eine Bildungsoffensive beim Handwerk“, so Sommer.
 

Bodenpolitik und kommunaler Wohnbau

„Leistbares Wohnen beginnt beim Preis von Grundstücken“, so Architektin Mag. arch. Jutta Wörtl-Gößler vom Ausschuss Wohnbau und Leistbarkeit. „Spekulationen mit unbebautem Land müssen verhindert werden, es braucht eine alternative Bodenpolitik.“ Viele Gemeinden haben keinen Zugriff mehr auf Grundstücke im Ortskern, weil diese oft schon über Generationen gehortet werden. Die Kommunen müssen daher mit Neubauten an die Ränder ausweichen, was auch den Bau neuer Straßen und hohe Erschließungskosten mit sich bringt. Sie sollten die Möglichkeit haben, Boden rückerwerben und Baurecht befristet gewähren zu können. „Nur wenn alle Stakeholder an einem Tisch sitzen, können Lösungen gefunden werden, die neben der Baupreissituation auch Themen wie die Bodenpolitik, Bestandsentwicklung und neue soziale Wohnkonzepte voranbringen“, so Wörtl-Gößler. Umwidmungen sollten erst nach städtebaulichen Wettbewerben erfolgen.

Die Wohnbauförderung ist seit den 1980er signifikant gesunken. Damals betrug sie 1,4 % des BIP, heute sind es nur noch 0,4 %. Alternative Wohnmodellen, die mehr Flexibilität in der Nutzung, mehr Gemeinschaftsflächen und mehr Teilhabe durch den einzelnen ermöglichen, gehen mit Flächen effizienter um, identifizieren sich mehr mit ihrem Projekt und bereichern die Quartiere. Bei mehr Experimentierfreude und Flexibilität im Wohnbau ist auch der Gesetzgeber gefordert, neue Regulative und Fördermodelle zu entwickeln. „Es geht um Lösungen, nicht um das Zuschieben von Schuld“, so Sommer.  
Nach dieser Pressekonferenz ist klar: Das Thema ist hochkomplex, leistbarer Wohnraum lässt sich nur im Dialog von allen Stakeholdern – Bund, Ländern, Wirtschaft, Arbeiter- und Architektenkammer, Gewerkschaftsbund, Kommunen, Zivilgesellschaft, Bewohnerinnen – schaffen. Er ist die Anstrengung wert.

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