Ich mag die Stille. Den Moment, in dem nichts mehr hörbar ist. Und alles. Es ist ein Gefühl der Geborgenheit, der Aufgehobenheit, das mich dann und dort umfängt. Die Nächte in den Alpen gewähren solche Momente. Immer noch. Vor allem in den Zwischensaisonen. Vor allem nachts. Wie eben, während ich schreibe. Es ist das Empfinden, alleine zu sein mit und in der Welt, der Versuch, genau hinzuhören, überhaupt zu hören. Den Regen auf dem Dach des Hauses, in dem ich wohne. Die wechselnde:n Intensität:en, mit denen er auf das Dach fällt. Eine Eule in einem der nahegelegenen Wälder. Das Klingen, das Knistern der eigenen Umgebung:en. Heartbeat. Heartbeat. Heartbeat. Der Versuch einer Sprache, aus der Stille heraus, oder in sie hinein, ihr Namen zu geben, sie zu benennen.
Did no one tell
you naming is a magical act,
words giving shape,
to life (...) (1)
schreibt Kayo Chingonyi in seinem Gedicht For Those Who Mispronounce My Name. Leben in den Alpen heißt die Begegnung mit, das tägliche Bewusstsein der Sprachlosigkeit – der eigenen und einer ganz allgemeinen. Es ist die Erkenntnis, keine Namen zu haben für die Dinge, die einen umgeben, ihre Zusammenhänge und -schlüsse, ihre Funktion:en und Fiktion:en, ihre Erzählungen. Was bleibt, sind meist nur die Ausläufer einer Sprache, die, wie Chingonyi schreibt, Wörtern eine Form gibt. Es ist ein Sprechen im Ungefähren, im Ungefährdeten – der Wald, die Blumen, die Berge.
Demgegenüber steht die Genauigkeit ganz Weniger, die eine Welt im Gehen und Beobachten entstehen lassen. Jene Baum- und Naturschutzexpertin etwa, mit der ich eine Wanderung durch die Landschaft:en wage. Vom Staunen schreibt sie im Vorwort ihres Buches, vom langsamen, sanften Beobachten, von den Geschichten der Bäume, ihren Formen. All dies, im Wissen um deren Namen, ihren Wirklich- und Wunderlichkeiten, ihren Wundern. Der Bergahorn. Die gewöhnliche Rosskastanie. Die Weißtanne. Die Salweide und Bruchweide. Die Korbweide. Die gewöhnliche Fichte, die Schwarzerle. Die Zitterpappel und Espe. Die Bergulme, die Weißrüster. Die Vogel- und die gewöhnliche Traubenkirsche. Die Moose und Flechten an den Stämmen, den Böden. Wir finden Schnecken am Weg – die Wegschnecke, eingewandert in den 90ern, die Weinbergschnecke, den Schwarzen Schnegel – zwei Mäuse im Unterholz, Unterschlupf am Eingang einer Klamm, Latschen entlang der Erosionsrinnen eines ganzen Gebirges, eine hoch aufgeschossene Föhre, alleinstehend in einem Moor. Sie legt mir Namen in die Hand, eine Sprache und den Wunsch, sie würde bleiben und an Gewicht gewinnen.
_1 Kayo Chingonyi: For Those Who Mispronounce My Name. In: Spells. 21st-Century Occult Poetry. Hg. Sarah Shin, Rebecca Tamás. Ignota: London 2018, S. 14.