08/08/2022

Is there really no alternative, TINA?

Anlässlich der Veranstaltung "Modelle für zukunftsfähiges Wohnen" des Kollektivs wohnlabor und der Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen im HDA berichtet Sigrid Verhovsek über die Debatte um die "Zukunft des Wohnens", blickt dabei auch in die Vergangenheit und zeigt aktuelle Fragen auf.

08/08/2022

Bild zur Veranstaltung "Modelle für zukunftsfähiges Wohnen" im HDA am Sa, 09.07.2022

©: HDA – Haus der Architektur
©: Helena Oberholzer
©: Helena Oberholzer
©: Helena Oberholzer
©: wohnlabor

Die Zukunft ist keine sauber von der jeweiligen Gegenwart abgelöste Utopie: die Zukunft hat schon begonnen.“ (Robert Jungk)

Tatsächlich ist die Frage nach der Zukunft des Wohnens eine im Laufe der Zeit beständig wiederkehrende: Ob das deshalb ist, weil Wohnen lebendig ist, sich als physische Notwendigkeit und soziales Bedürfnis im Wandel der Zeit stetig verändert, oder weil die genau gleichen Missstände und Marktlücken in der Erzeugung noch immer dominieren? 

Ute Angeringer-Mmadu stellte 2009 in dem GAT-Artikel Was spricht gegen selbst gestaltet? die Frage, ob wir die Entscheidung darüber, wie wir wohnen wollen, wirklich Werbestrategen, Wohnbau- und anderen Entscheidungsträgern überlassen wollen, bestätigte, dass trotz ökologischer Bedenken und fortschreitender Zersiedelung das „Einfamilienhaus im Grünen immer noch das Objekt der Begierde“ ist und nannte als einzige „Alternative das immer gleiche Angebot der Wohnbaugenossenschaften an Wohnungen für eine Familie mit ein bis zwei Kindern, ohne Innovation und Rücksichtnahme auf sich ändernde Rahmenbedingungen...“. 

Das einzige, was Ute in ihrer hellsichtigen Art noch nicht vorhersehen konnte, war der Boom an Investorenbauten, Betongold und die damit einhergehenden Schwierigkeiten: Bei ihr war der Häuser- und Wohnungsmarkt so, wie Bourdieu ihn sah: „vom Staat konstruiert“ – nicht von der Wirtschaft. (Im Rückblick könnte man fast nostalgisch werden, wenn man nicht wüsste, dass schon damals (parteiliche) Eigeninteressen interessante Projekte wie das Modell Steiermark zu Fall brachten.)

Dieser GAT-Artikel war übrigens Teil einer ganzen Serie: W:A:B: (Wohnbau:Alternative:Baugruppen) nannte sich das über zwei Jahre dauernde Projekt der engagierten Grazer ArchitektInnen Elisabeth Anderl, Jasmin Leb-Idris und Karin Wallmüller, die als ARGE das eigeninitiierte, selbstbestimmte Bauen erforschten und städtebauliche Instrumente zur Unterstützung von Initiativen sowie die Verbesserung von Rahmenbedingungen einforderten. Bis 2021 hat es gedauert, dass Baugruppen auch in den „Genuss“ einer Förderung seitens des Landes kommen konnten – also bis zu einer Zeit, wo die Auflagen, die für eine solche Förderung zu erfüllen waren, das freifinanzierte Bauen aufgrund des niedrigen Kredit-Zinssatzes immer interessanter machte. 

In der Zwischenzeit sind in ganz Österreich auch einige weitere Baugruppen-Vorzeige-Projekte entstanden und die IBA Wien 2022 setzt einige neue Impulse im Rahmen des Themas „Neues Soziales Wohnen“. Dennoch ist die 1996 entstandene Sargfabrik in der Goldschlagstraße in Wien Penzing nicht nur das bekannteste und vielleicht architektonisch interessanteste, sondern auch noch immer das größte selbstinitiierte und selbstverwaltete Wohnprojekt in Österreich.  

Der Homo Consumens scheint instinktiv zu spüren, dass eine Suche nach Alternativen mit Experimenten, Unsicherheiten, Rückschlägen und auch nicht genau abschätzbarem Zeitaufwand verbunden ist – da doch lieber etwas, was nicht ganz so passt, aber kalkulierbar ist und gleich von der Stange direkt ins Einkaufssackerl wandert.

Aber zurück in die Zukunft. 2022 fragt eine neue Generation nach „Modellen für ein zukunftsfähiges Wohnen“: Jomo Ruderer und Rebekka Hirschberg vom Kollektiv wohnlabor laden zusammen mit der „Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen“ am Samstagnachmittag, den 9. Juli 2022, ins HDA zu einem dichten ambitionierten Programm. 

Als erster Punkt stehen verschiedene praktische Infos für Baugruppen auf der Tagesordnung: Die verschiedenen Möglichkeiten von Finanzierung, Rechtsstruktur oder Förderungen werden von Mag. arch. Constance Weiser kurz vorgestellt. Jomo Ruderer zeigt zwei Formen des Entscheidungsfindungsprozesses auf, die Soziokratie wie das Systemische Konsensieren. Rebekka Hirschberg stellt zusammen mit ProtagonistInnen wie Freya Brandl oder Ralf Ayndt aktuelle Projekte vor: KooWo (Kooperatives Wohnen Volkersdorf), Cambium (Leben in Gemeinschaft, ehemalige Kaserne Fehring) oder Bikes and Rails (Sonnwendviertel Wien - habiTAT Mietshäuser Syndikat) und Mauersegelei (gemeinschaftlich wohnen und leben. Endresstraße 59c, Wien). 

Die Zusammensetzung des Publikums ist ungewöhnlich für HDA-Maßstäbe: Anstatt ArchitektInnen und Studierende, dominieren augenscheinlich „gewöhnliche“ Menschen“ im eher fortgeschrittenen Alter das Publikum. Sie suchen nach einer neuen, alternativen Wohnform, einige ihrer Fragestellungen offenbaren dennoch, dass auch sie eher gern in „fertige“ Projekte einsteigen und nicht erst 10 oder 15 Jahre lang „gemeinsam entwickeln“ wollen. 

Um 19:00 folgt nach einer kurzen Pause der zweite Teil des in den Abend gehenden Nachmittags: Vizebürgermeisterin Judith Schwentner hält ihr Impulsreferat zum Thema Wohnen. Ihr Vorbild ist Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, die sich massiv für einen sozial-ökologischen Wandel einsetzt. Neben traditionell grünen Anliegen wie einer MIV-beruhigten Stadt (AUS für Verbrennungsmotoren bis 2030!) mit massiv ausgebauten Radwegen und zu Straßencafes umgebauten Parkplätzen, sorgte die Sozialistin dafür, dass in Paris die teilweise astronomisch hohen Mieten gedeckelt und illegalen Vermietungen via Internetplattformen der Kampf angesagt wurde. 

Auch die (wesentlich kleinere) Stadt Graz mit 90% an Wohngebäuden steht vor (ähnlich) großen Herausforderungen. Es gibt große Defizite an Freiraum, andererseits Leerstände, die nicht zuletzt der Gier nach Betongold geschuldet sind. Und da gibt es natürlich auch „geerbte“ Projekte wie „eine Smart City, die ihren Namen nicht verdient hat…“

Schließlich folgt noch eine Diskussion mit einem sehr umfangreichen und diversen Podium:
Freya Brandl
Architektin & Bewohnerin kolokation Sonnwendviertel
Ute Fragner
Vorständin der WoGen & Bewohnerin der Sargfabrik
Christoph Laimer
Chefredakteur dérive & Bewohner von Bikes and Rails
Architekt Werner Nussmüller
Soziologe Rainer Rosegger
Wolfram Sacherer
Vorstandsdirektor Wohnbaugruppe Ennstal
Hans Schaffer
Vorstandsdirektor ÖWG
Ulrike Taberhofer
KPÖ-Gemeinderätin

Die Dimension des Podiums lässt schon im Vorfeld vermuten, dass es zu keiner Diskussion kommen wird, sondern eher in mehreren Fragerunden vom Moderatorenduo Ruderer/Hirschberg endet. Spannend ist es dennoch, und sehr viele der angesprochenen Aspekte hätten sich eine Vertiefung verdient:

Derzeit können sich nur Akademiker alternative Wohnformen leisten.“
(Ja, es ist ein wenig bobo!)

Bei Gemeinschaftsprojekten zählt nicht die Architektur, der Prozess ist am wichtigsten.
(siehe oben)

 „Wie kommen wir zu einer Nachbarschaft, zu einem Grätzl-Denken?
(Weiter als bis zu Jane Jacobs kommen wir nicht!)

 „Das kann eine Genossenschaft nicht leisten.

Die breite Masse ist nicht an der Wand, am Raum selbst interessiert, sondern wo sie die Nippes am Kamin aufstellen kann.

 „Wo bleibt der Platz für Jugendliche, wenn jeder Fleck verbaut und alles so ausdeterminiert ist?

Wer bespielt, wer organisiert das?

Was wollt Ihr tun, wie wollt Ihr leben? – „Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;“ ...unwillkürlich denkt man an Tucholsky.

Fazit: Auch 2022 gibt es natürlich! keine „Lösung“ oder auch nur ansatzweise eine Antwort auf die Frage, wie wir alle zukünftig unter Berücksichtigung unserer individuellen Bedürfnisse und der ökologischen und ökonomischen Situation „wohnen“ könnten: Das Problem eines in mehr als einer Hinsicht beschränkten Wohnungsmarktes hat sich eher verdreifacht und die komplexen Hintergründe werden immer sichtbarer. So gesehen ist die Zukunft tatsächlich gefährlich nahe an die Gegenwart gerückt: Wohnungsnot ist schon längst im Hier und Jetzt angekommen. 

Ein kleiner Tipp: 
Das HDA wird einen Mitschnitt dieses Abends zum Nachschauen/Nachhören auf der Homepage zur Verfügung stellen: https://hda-graz.at/mediathek/videos

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