17/09/2024

Die Angst vor dem Rechtsruck geht um, am 29. September wird Österreich wählen, in Ostdeutschland zeigte er sich schon überdeutlich. Nach der Europawahl lud die ig architektur Anfang Juni zur Diskussion: „Bauen für die Demokratie – Orte der Muße.“ Die Europawahl ist geschlagen und macht es überdeutlich: Mehr Demokratiebewusstsein tut not! 

17/09/2024

Raum schafft Demokratie

©: Isabella Marboe

Philharmonie Berlin, Architektur Hans Scharoun, ©Philippe Rouault

Philharmonie Berlin, Architektur Hans Scharoun, ©Philippe Rouault

Staatsbibliothek Berlin, Architektur Hans Scharoun ©Philippe Rouault 

Staatsbibliothek Berlin, Architektur Hans Scharoun ©Philippe Rouault

Das Verhältnis von Demokratie und Architektur ist ambivalent. Viele große Werke der Baukunst sind absolutistischen Herrschern zu verdanken. Der Drang zu bauen ist bei Architekt*innen oft wesentlich stärker ausgeprägt als der Hang zu politischem Widerstand. Machthaber sind aufgrund ihrer klaren Vorgaben und fast unermesslichen Ressourcen oft sehr gute Bauherren.

In einer Demokratie sind der Weg zum öffentlichen Auftrag und die klare Artikulation der Bauaufgaben schon wesentlich komplizierter. Im Rahmen der Reihe „ig_am wort“ lud die ig architektur zur Diskusion „Bauen für die Demokratie – Orte der Muße.“ Letztere sind sehr essenziell: Kunst, Kultur, Vereine und alles, was Gemeinschaft bildet und zum Austausch führt, ist die Basis gelebter Demokratie. Das Podium hatte reichlich demokratiepolitische Expertise: Eva Blimlinger, Nationalratsabgeordnete der Grünen für Kultur, Antisemitismus, Rechstextremismus, Rupert Halbartschlager, Sprecher der Plattform Baukultur und Mitbegründer des Büros Bauchplan, sowie Bernhard Sommer, Präsident der Kammer der Ziviltechnikerinnen für Wien, Niederösterreich und dem Burgenland stellten sich den Fragen von Architekt Ralf Bock, der den Abend moderiert und konzipiert hatte.

Wie baut man demokratisch?

Bernhard Sommer kam sofort auf den Punkt: „Wie agiert man als öffentlicher Auftraggeber? Wer entscheidet, was gebaut wird, wenn das Volk herrscht?“ Stilfragen sollten für demokratische Bauten nicht vorrangig sein, obwohl auch Theophil Hansen dieser Versuchung erlag. Er soll gesagt haben, dass ihn das englische Parlament nichts anginge, weil es gotisch sei. Hans Scharoun beklagte, dass es „in der bürokratisierten Welt keine wahren Bauherren mehr gäbe.“ Verantwortliche Politiker, Finanzleute und Verwaltungsbeamte verdankten ihre Befugnisse anderem als ihrer „geistigen Qualifizierung als Bauherr“, sie entschieden oft nach Geschmack. Dem verweigerte sich Scharoun konsequent. Er entwarf seine öffentlichen Bauten nicht nach stilistischen, sondern strukturell demokratischen Kriterien und organisierte seine Philharmonie nach dem Prinzip „aufsteigender Weinberge.“ Das ermöglicht dem Publikum, Musiker und Musikerinnen von allen Seiten sehen zu können. „Ich setze das Orchester widersinnig in die Mitte“, bekannte er freimütig. In seinem Konzerthaus waren ein möglichst freier Blick für alle und die Nähe zwischen Publikum und Orchester das Wesentlichste. Akustische Nachteile, die sich daraus ergeben, nahm er dafür in Kauf. Heute ist der Scharounsche Idealismus nüchternem Pragmatismus gewichen.

Räume für die Demokratie haben auch Symbolcharakter. Für die europäische Vision des „Green Deal“ wünscht sich Bernhard Sommer eine entsprechende Architektur. „Wir müssen dem Systemwandel ein Gesicht verleihen. Totalunternehmer können nie so etwas wie eine Vision umsetzen.“ Nachhaltig bauen erschöpft sich nicht in der obligaten Montage von Photovoltaikpaneelen. Natürlich müssen auch Gründerzeithäuser ihren Beitrag zur CO2-Reduktion leisten, die dazu getroffenen Maßnahmen sollten allerdings im Einklang mit dem Bestand erfolgen. „Entscheidungen werden vermehrt nach vermeintlich ökonomischen Richtlinien getroffen“, so Sommer. Sein Resumée ähnelt dem Scharounschen Befund. „Wir vermissen zunehmend den Mut der Verwaltung.“ Wer auf Public Private Partnerships setzt, gibt auch einen Teil seiner Verantwortung ab. „Die Verantwortung für die Entwicklung eines Stadtteils sollte bei der Verwaltung bleiben.“

Rupert Halbeartschlager fragte sich, ob die Verwaltung noch die Kraft hätte, als Bauherr aufzutreten und führte als Beispiel die umstrittene Neugestaltung des Michaelerplatzes an. Diese war von der privaten Investorengemeinschaft der Geschäftsleute in der Herrengasse initiiert worden, die bereits deren Gestaltung zur Gänze selbst finanziert hatte. „Es kann nicht sein, dass private Investoren sich etwas wünschen können und dann von oben diktiert wird, was passiert.“ Für die Gestaltung öffentlicher Räume sollten auch öffentliche Wettbewerbe ausgeschrieben werden. Eva Blimlinger präferiert die klassische Direktvergabe. „Das Kunsthaus Bregenz ist großartig. Da hat die Politik entschieden, dass Herr Zumthor das baut.“ Wettbewerbsentscheidungen steht sie skeptisch gegenüber. „Experten sind ja nicht frei von jeglichem Neid oder Missgunst.“ Bernhard Sommer widerspricht. Die Wettbewerbsordnung habe sehr klare, gut durchdachte, nachvollziehbare Regulatorien und Richtlinien, um für saubere Entscheidungen zu garantieren. Und genug, um Verfehlungen zu ahnden. Wo man sie anwende, hätten sie sich bewährt. „Die Zeiten, zu denen man man einfach ein Kraftwerk irgendwohin stellen konnte“ sind zum Glück vorbei.

Orte der Bildung

Als Scharoun-Experte verweist Ralf Bock auf dessen Philharmonie und stellt fest, dass Kultur in der heutigen Gesellschaft einen viel zu geringen Stellenwert einnehme. Eva Blimlinger kontert mit der Behauptung, dass Museen und Opern demokratietechnisch fast vernachlässigbar seien, weil man mit Bekannten hinginge und so in seiner Blase bliebe. „Früher waren Kirche diese Orte der Gemeinschaft, wo sich jeder getroffen hat.“ An ihre Stelle sind nun Vereine, Gemeinschaftsgalerien, Bands und ähnliches getreten.

Eine wesentliche Rolle – und da sind sich wirklich alle einig – spielten Orte der Bildung. Für Eva Blimlinger ist der neue Campus der WU ein Vorzeigebeispiel. Er sei schon längst weit mehr als eine Uni, nämlich ein Areal, das „von vielen andere Gruppen als Lehrenden und Studierenden“ genutzt würde. Rupert Halbartschlager verweist einmal mehr auf die integrative Bedeutung des Freiraums. „De facto ist kein Meter Straße mehr notwendig, wir sollten sie rückbauen, den öffentlichen Raum zurückerobern und Rahmenbedingungen für Offenheit schaffen.“ Optimalerweise werden die Nutzungen in einem gemeinschaftlichen Akt entwickelt. Hier sei die Stadtplanung gefragt.

Paradebeispiel stadtplanerischen Versagens ist für Blimlinger die Wiener Arena, die sich anno dazumal eine Gemeinschaft kollektiv „von unten“ angeeignet hat. Nun opponieren Anrainer aus benachbarten Luxus-Wohntürmen gegen den Konzertlärm. An diesem Konflikt zeige sich eine zunehmend fragmentierte Gesellschaft, deren Ursprung sie in einem „Grundversagen der Schulpolitik“ ortet. Dort würde nämlich Gesellschaft gebildet – und diese Schulen bräuchten eine spezifische Architektur. Halbartschlager weist auf die Notwendigkeit hin, Bestandsschulen zu adaptieren. „Wir müssen kreativ werden und der Politik Vorschläge machen, wie es geht. Es bräuchte vor der Ausschreibung schon eine Phase 0, bei der von allen Stakeholdern - Bevölkerung, Stadtrat, Politik – ein Bedarf erhoben wird. Dann macht man einen Wettbewerb daraus.“ Außerdem plädiert er dafür, keine öffentlichen Gelder ohne Qualitätskriterium zu vergeben.

Die Fragen aus dem Publikum sprachen wichtige Themen an: Eine Dame verwies darauf, dass ihre Kinder im Teenageralter sehr viel Zeit im Internet verbrächten, wo das Gemeinschaftserlebnis länder- und altersübergreifend im virtuellen Raum stattfände. Ein weiterer Punkt ist die Migrationsgesellschaft. Die Kirchen unserer Gegenwart dürften Moscheen sein. Für Architekt Johannes Zeininger entsteht Gemeinschaft dort, so man „allein hingeht, um neue Leute kennen zu lernen.“

Was von dieser Diskussion bleibt: Offenheit – im Raum, im Kopf, in der Nutzung – ist ein wesentlicher Grundstein zur Bildung demokratischer Räume. Ebenso wie die Bildung selbst. 

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