12/07/2007
12/07/2007

Johannes Jäger (Leiter des Bereichs Volkswirtschaft an der Fachhochschule des bfi Wien) und Stadträtin Elke Kahr

Elisabeth Springler, Assistentin an der WU Wien

Harald Stöger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Johannes-Kepler-Uni Linz

Claus Schreer

Gabu Heindl, Architektin in Wien, Lehrende an der TU Graz und Vorstandsmitglied im Grazer Haus der Architektur

Macht Wohnen arm? Wie gut sind die Fördermodelle? Und wo steht Österreich im Vergleich? Diesen Fragen widmete sich die KPÖ-ExpertInnentagung zum sozialen Wohnbau.

Wohnen ist schwerer leistbar geworden, und dieser Trend wird weitergehen – wenngleich Österreich noch ein bisschen als gelobtes Land zu betrachten ist. Das war der Tenor bei der von der KPÖ organisierten ExpertInnentagung „Wohnen macht arm!“, am Freitag, dem 29. Juni 2007, im KPÖ-Bildungszentrum im Volkshaus Graz. Etwa sechzig Personen nahmen daran teil, wobei sich das Publikum aus Wohn- und BauexpertInnen einerseits und KPÖ-AnhängerInnen anderseits zusammensetzte.

Liberalisierung, Spekulation und Kommodifizierung, also „Waren-Werdung“, prägten seit etlichen Jahren die Bau- und Wohnsituation in vielen Ländern wie auch in Österreich. So umriss Johannes Jäger, Leiter des Bereichs Volkswirtschaft an der Fachhochschule des bfi Wien, einleitend den Hintergrund. Und dennoch sei Österreich „ein Sonderfall: Es hinkt den internationalen Entwicklungen weit hinterher“. So sei das Mietrecht zwar dereguliert worden, aber noch nicht allzu sehr. Die Wohnbauförderung sei zusammengestutzt worden, aber nicht so stark, wie es zu Beginn der schwarz-blauen Regierung zu erwarten gewesen sei. Der Grund: Genossenschaftliche Bauträger, zum Teil ÖVP-dominiert, hätten gemeinsam mit der Bauwirtschaft heftig interveniert.

Subjekt- statt Objektförderung: Fatal?

Jäger griff auch das viel diskutierte Thema Subjekt- versus Objektförderung auf. Unter Objektförderung versteht man vorwiegend Förderungen der Errichtung von Miet- bzw. Eigentumswohnungshäusern, die an die Bauträger gehen, sowie Förderungen des Baus von Eigenheimen. Subjektförderungen sind direkte, meist einkommensabhängige Transfers wie Wohnbeihilfen, wobei die Zuordnung der Förderinstrumente nicht immer eindeutig ist und es Mischformen gibt. International geht der Trend derzeit weg von der Objekt- und hin zur Subjektförderung. Häufigstes Argument dafür: Die Subjektförderung sei sozial treffsicherer. Doch Jäger hält diese Entwicklung für „fatal“: In Wahrheit ziehe dies Wohnungsknappheit nach sich und damit Preisanstiege und Probleme insbesondere für sozial Schwächere.

Wie sozial treffsicher die Instrumente der Wohnbauförderung tatsächlich sind, hat Elisabeth Springler, Assistentin an der WU Wien, untersucht. Dabei hat sie festgestellt, dass in den meisten der EU-15-Länder zwischen 1996 und 2001 Verbesserungen für die allerschwächsten Einkommensgruppen erzielt wurden. Für jene mit geringem bis mittleren Einkommen ist es in diesem Zeitraum allerdings zu Verschlechterungen gekommen – „breitere Schichten sind nun einer erhöhten Armutsgefahr ausgesetzt“.

Zur Subjektförderung machte Springler auf die Bedeutung der „Schwellen“ aufmerksam, also der Einkommensgrenzen, ab denen keine Förderungen mehr zu bekommen sind. Dabei stellte sie für Salzburg fest, dass die dort gewährten Annuitätenzuschüsse auch mittleren Einkommensschichten noch zugute kämen – wobei es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, männliche Arbeiter zum Beispiel lägen schon an der Grenze. Insgesamt ist für Springler der Trend zur neuen Armut auch in Österreich erkennbar, und zwar sowohl durch die verstärkte Subjektförderung als auch durch das Zurückdrängen des geschützten Mietsektors. Ebenso wie ihr Vorredner plädierte sie für eine starke Objektförderung, auch, weil dies das Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen fördere. Und die Behauptung, Objektförderung komme teurer als Subjektförderung, sei schlicht falsch.

Freier Wohnungsmarkt trifft freien Arbeitsmarkt

Auf die Wechselwirkungen zwischen einer immer stärker marktgesteuerten Wohnungsversorgung und verschärften Spaltungen am Arbeitsmarkt lenkte Harald Stöger den Blick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Johannes-Kepler-Uni Linz. Aktuell spielten in der Wohnungspolitik zumeist nur mehr soziale Ziele im engeren Sinn eine Rolle, aber nicht mehr größere gesellschaftspolitische Ziele.

Dem deregulierten Wohnungsmarkt stünden wachsende Gruppen mit keinen oder nur prekären Beschäftigungen gegenüber. Die Folgen: Anstieg von Obdachlosigkeit und eine Konzentration benachteiligter Gruppen in schlechten Wohngebieten. Die soziale Durchmischung nehme ab, die soziale Ausgrenzung zu. Ein düsteres Szenario also, das Stöger zeichnete – wobei auch er Österreich als „Sonderfall“ darstellte, in dem die Veränderungen zum Schlechten noch nicht so weit vorangetrieben seien wie in vielen anderen Ländern.

Radikal die Botschaft von Claus Schreer, der jahrelang in der Münchner MieterInnenbewegung aktiv war: Der Löwenanteil der Mietpreise sei weder durch teure Grundstückspreise noch durch Herstellungs- oder Betriebskosten zu rechtfertigen. Vielmehr dienten etwa siebzig Prozent der Mietpreise einzig und allein den Renditen der Banken und Wohnungseigentümer. In München wären statt der üblichen Mieten von fünfzehn oder zwanzig Euro pro Quadratmeter locker bloße fünf Euro machbar.

Für seine Berechnungen arbeitete Schreer freilich mit zahlreichen Annahmen, die nicht alle im Publikum nachvollziehen mochten. Schreer aber blieb bei seiner Conclusio: „Sozialen Wohnbau wird es nur geben, wenn er möglichst vollständig öffentlich finanziert und ausschließlich mit gemeinnützigen öffentlichen Trägern verwirklicht wird.“

Über Qualität im Wohnbau sinnierte schließlich Gabu Heindl, Architektin in Wien, Lehrende an der TU Graz und Vorstandsmitglied im Grazer Haus der Architektur. Qualitativ hochwertiger und gleichzeitig günstiger Wohnbau für viele Menschen sei sehr wohl möglich, gerade ArchitekInnen könnten viel dazu beitragen, Kosten gering zu halten. Auch große Wohnanlagen und Hochhäuser könnten gut funktionieren, allerdings nur, wenn es dazu auch eine ausreichende Infrastruktur gäbe – Geschäfte, Frei- und Grünräume oder Schwimmbäder auf den Dächern. Und auch wenn derlei oft fehle, bedeute das nicht, dass man alles gleich abreißen muss: Heindl verwies auf die Banlieues von Paris, wo nach den großen Unruhen einfache, aber wirkungsvolle Verbesserungsmöglichkeiten für die Wohnsilos gefunden wurden: Fenster vergrößern, Balkone und Terrassen vorlagern. Gleichzeitig kritisierte Heindl, dass Gemeindebauten schon seit den zwanziger Jahren ziemlich gleich daherkämen – immer derselbe Grundriss, ausgerichtet auf die Kleinfamilie mit zwei Kindern.

„Wärme gegen Wärme“

Eines ärgert nicht nur die diskutierfreudige Architektin, sondern auch viele ihrer BerufskollegInnen: dass sich die Qualitätskriterien in der Wohnbauförderung weitgehend auf ökologische Kriterien wie Wärmedämmung beschränken. Dabei wiederum werde nur der Bau selbst betrachtet und nicht die Infrastrukturmaßnahmen, die diese eventuell nach sich ziehen, insbesondere bei Einfamilienhäusern: „Die Förderung von Einfamilienhäusern ist nicht und nicht diskutierbar in diesem Land“. Vor allem aber müssten auch andere Kriterien, etwa sozialer Natur, zum Tragen kommen – „Wärme gegen Wärme“ nennt Heindl das: „Die Planung des Kinderspielplatzes ist genau so wichtig wie die Wärmedämmung.“

Verfasser/in:
Gerlinde Pölsler, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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