24/05/2024

„Ungefähre Hauptrichtung“ heißt die erste monografische Ausstellung zum bisherigen Lebenswerk von Hermann Czech. Sie wird vom 16.3.- 9.6. 2024 im Wiener Raum für zeitgenössische Kunst fjk3 gezeigt und spannt das ganze Universum seiner Gedankenwelt auf, die sich in Projekten manifestiert.

24/05/2024

Winterverglasung Oper, @Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Gerhard Flora

H. Czech, Salzamt, ©Gabriele Kaiser

H.Czech Porträt, ©Gabriele Kaiser

H.CZECH Architekturbiennale 2023, ©Clelia Cadamuro

An den Glasscheiben kleben Grundrisse und Artikel, man sieht sie seitenverkehrt, aber das macht nichts: ihre Komplexität vermittelt sich sofort. Vor allem: man sieht hinein und durch den Raum für zeitgenössische kunst fjk3, wo gerade die erste monografische Ausstellung von Hermann Czech läuft. Fast sein ganzes Lebenswerk ist ausgestellt, realisierte Bauten, Interieurs, Ausstellungen, zerstörtes und projektiertes. „Alles bis auf 15 Prozent“, sagt er. Sogar die Diplomarbeit, der Unterhaltungspalast aus dem Jahr 1971. Modelle, Fotos, Pläne, Collagen, Artikel, handschriftliche Notizen, originale Möbel und Objekte. Endlich wieder eine Architekturausstellung über Architektur!

„Ungefähre Hauptrichtung“ heißt die Ausstellung, Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß, Fiona Liewehr und Hermann Czech kuratierten sie gemeinsam, der Titel passt perfekt. Czech hat eine klare Hauptrichtung, der das Ungefähre eingeschrieben ist, weil es keine Sicherheiten gibt und immer etwas Undefiniertes braucht, um dem Leben noch Raum zu lassen. Architektur hätte zwei Hauptrichtungen: Eine ziele auf das möglichst Spektakuläre, die andere auf das möglichst Beste ab. „Das Beste ist sehr oft, wenn nicht sogar meistens etwas, das nach Nichts ausschaut“, so Czech. „Meine Hauptrichtung in der Architektur ist eine gewisse Selbstverständlichkeit. Ich wähle zunächst einen methodischen Einstieg und orientiere mich an den Tatsachen.“ Der Weg dorthin ist nicht geradlinig, er speist sich aus einem profunden Wissen um Architekturtheorie, -geschichte, Handwerk und Bauen, aber auch genauer Beobachtung und Lebenserfahrung. Das methodische Denken lernte Czech bei Konrad Wachsmann auf der Sommerakademie in Salzburg. Es begleitete ihn sein Leben lang und ist auch bei nachfolgenden Generationen gefragt. Gemeinsam mit dem 17köpfigen Wiener Künstlerkolletiv AKT kuratierte Czech den österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale Venedig 2023. Er thematisierte die Auswirkungen der Biennalen auf die benachbarten Stadtteile und die dortige Bevölkerung.

Zwei Eingänge

Der Raum passt perfekt zu ihm. Propeller z bauten ihn im Jahr 2010 um, entfernten überflüssige Einbauten und legten so über 35 Meter eine leicht geknickte Sichtachse durch die gesamte Tiefe des Hauses frei. Sie reicht vom Eingang am Franz-Josefs-Kai bis zu dem an der rückwärtigen Wiesingerstrasse. Wie bereits erwähnt, hat Hermann Czech die Ausstellung, gemeinsam mit kuratiert und selbst gestaltet. Sie ist so komplex und vielschichtig wie er und seine Architektur. „Die Ausstellung hat zwei Eingänge und in diesem Sinn keinen Anfang. Man kann überall hängen bleiben, wie im Leben“, sagt Czech. „Man macht ja im Leben die Erfahrungen auch nicht in didaktischer Reihenfolge, sondern wie es halt kommt und irgendwie ergeben sich dann Zusammenhänge.“

Wiesingerstraßenseitig sind viele Modelle, Einfamilienhäuser, Dachausbauten ausgestellt. Von außen relativ unauffällig, immer ein wenig an der Norm vorbei, innen durchsetzt vom Loos’schen Raumplan in vielen Variationen. Prominent steht eine Causerie in der Auslage: zwei gegeneinander gewandte Sessel, die über eine gemeinsame Lehne miteinander verbunden sind – Rücken an Rücken, ein Möbel aus der Barockzeit, das Czech mit einem seiner Restaurantsessel aus dem Palais Schwarzenberg neu interpretiert und transformiert hat. Dieses eine Objekt enthält viel Wesentliches. Hier wird lustvoll, bezugsreich collagiert und aus viel Wissen überzeugend unprätentiös Wohlbefinden generiert.Zwei junge Architekturstudierende betrachten gerade die Pläne und Modelle, sehen den Loos’schen Raumplan in den Bauten und diskutieren. „Das kenne ich sogar“, sagt einer erstaunt. Das ist typisch für Czech, er taucht im Stadtbild unter. „Architektur ist Hintergrund“ lautet der Satz, der von ihm am häufigsten zitiert wird. 

Wiener Lebenskultur

Die Architektur von Hermann Czech erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Sie gewinnt mit der Zeit, hat kein Ablaufdatum und kreist doch immer um dieselben Themen. „Ein Umbau ist interessanter als ein Neubau, weil im Grunde alles Umbau ist. Wer sich auf einem schiefwinkeligen Grundstück nur mit einem rechtwinkeligen Raster zu helfen weiß, ist ein Klachel“, schreibt er irgendwann in den 1970er Jahren. Zu einer Zeit, als beim Umgang mit Bestand die klare Ablesbarkeit zwischen Alt und Neu schon fast eine unausgesprochene Doktrin war, führte Czech mit Freuden in die Irre. So sind die begonnenen Kreuzrippen in der Wunderbar nicht original, sondern von ihm hinzugefügt, um dem Raum Halt zu geben.

Kein Architekt ist so wienerisch wie er, keiner kann die Lebenskultur dieser Stadt, ihrer Bauten, Geschichte und den spezifischen Charakter ihrer Menschen auch nur annähernd so präzise in Architektur transformieren. Es gibt kaum eine Architekturaufgabe, die gleichzeitig ephemerer und unbarmherziger ist als die Gastronomie. Ob ein Lokal funktioniert, zeigt sich am ersten Abend. Die Restaurants und Cafés, die Czech gestaltet hat, sind legendär und haben sich längst in ihre DNA der Stadt eingeschrieben. Besagte „Wunder-Bar“ (1975), „Das kleine Café“ am Franziskanerplatz (1979/73/77/85), das „Salzamt“ (1981-83), das vormalige „Gasthaus Immervoll“, jetzt „Pöschl“ (2000), das Buffet CinCin (2015-16).

Zum Franz Josefs Kai hin dominiert Städtebau. Dort hängen projektierte Hochhäuser auf sternförmigem Grundriss jenseits des Donaukanals, ein kritischer U-Bahnnetzentwurf (mit Friedrich Kurrent, Johannes Spalt, Hugo Potyka, Otto Steinmann), der wohl einzige soziale Wohnbau Wiens, in den eine U-Bahn einfährt, eine Gloriette mit zwei Glaskuppeln am Flachdach, die Winterverglasung der Oper, die Christian Kühn im Spectrum an eine Zahnspange erinnerte und vieles mehr. An der Wand hängt ein Arcadia-Schild, von dem einige Buchstaben der Eingangstür zum Opfer fielen. Sie zierte die Musikalienhandlung in der Oper. Humor à la Czech.

Neben der existierenden Treppe aus schwarzem Stahl führt eine eigenwillig gewendelte Stiege, gerade einmal 50 cm schmal, hinunter in die Welt der Lokale, Cafés und Ausstellungen. Sein erster Auftrag war das Restaurant Ballhaus, das seinem Vater Josef gehörte. Er gestaltete es 1961-62 mit Wolfgang Mistelbauer und Reinald Nohàl neu. Die Methodik der Wahl ist eine manieristische Collage aus Hoffmann-Zitaten aus unterschiedlichen Jahrzehnten in mutiger Farbigkeit, das gewählte Sesselmodell des Jahres 1929 hat ein Loch in der Mitte. „Das hat eine gewisse komische Wirkung, weil, wenn man sich nur wenige Zentimeter auf dem Sessel bewegt, sitzt man anders. Das ist eine dichte körperliche Erfahrung“, so Czech, der ja eigentlich Adolf Loos und Josef Frank viel mehr schätzt. Hier feiert ein Teil der Bar des verblichenen MAK-Cafés seine Wiederauferstehung und steht ein Sessel aus dem Palais Schwarzenberg. Unbedingt hingehen!

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