Eisenerz war Schauplatz der 2. Leerstandskonferenz von nonconform architektur vor ort
Die Stadt Eisenerz mit dem ikonenhaften Erzberg als Quelle der Eisenstraße ist ein, in der Zeit der Bergarbeiter eingefrorenes Industriedenkmal und eines der signifikantesten Beispiele einer schrumpfenden Stadt im Alpenraum. Sie verlor seit den 1950er-Jahren mehr als die Hälfte ihrer einst 13.000 Einwohner.
Ziel dieser Konferenz war es, sowohl praxisorientierte Strategien und konkrete Beispiele vorzustellen als auch ein Forum zu etablieren, in dem komplexe Fragen über die Produktion und den Gebrauch der gebauten Umwelt diskutiert werden können. Leerstand war dabei nur eine der sichtbarsten Auswirkungen von Schrumpfung, mit welcher sich die Konferenz beschäftigte: Wie können betroffene Dörfer dem bevorstehenden Verfall vorbeugen? Welche Strategien gibt es, um sterbende Ortskerne zu aktivieren oder noch existierende Nutzungen umzuverteilen? Wie kann man weiterhin auf die Anforderungen des Katastrophenschutzes reagieren, die notwendige Versorgung dauerhaft erhalten und gleichzeitig mit der obsolet gewordenen Infrastruktur umgehen? Abreißen, verfallen lassen oder in der Hoffnung auf bessere Zeiten weiter erhalten?, so lauteten weitere Fragen, die in der Konferenz behandelt wurden.
Die Vortragenden und Teilnehmenden kamen aus den Bereichen Architektur, Raumplanung und Geografie, aus den Sozialwissenschaften sowie aus Politik und Verwaltung. In ihren Beiträgen wurden unterschiedliche Dimensionen von Schrumpfung und Leerstand erörtert und aus den unterschiedlichen Fachgebieten heraus beleuchtet.
Nach der Begrüßung und Einleitung beschrieb Frau Bürgermeister Christine Holzweber die Situation in Eisenerz aus ihrer Sicht und machte deutlich, dass sie weiterhin an der Hoffnung auf Aufschwung festhält.
Die Kuratoren Judith Leitner und Roland Gruber erklärten, warum ein Architekturbüro eine derartige Konferenz organisiert, erläuterten einige der Hintergründe von Schrumpfung und zeigten an ausgewählten Beispielen ihren sehr ausgefeilten partizipativen Architekturzugang. Gratulieren darf man dem Architekturbüro nonconform an dieser Stelle zu der wohlverdienten Ehrung „Österreicher des Jahres 2012“ für ihre einzigartige Architektur- und Gesprächskultur.
Prof. Alfons Dworsky, Vorstand des Instituts für regionale Architektur und Siedlungsplanung an der Leibniz-Universität Hannover, zerlegte den Landschaftsbegriff in seine unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungen, teilte seine Erfahrung als Ortsbildsachverständiger und zeigte diagrammatisch die Suburbanisierung von Alpenstädten.
Frau Sigrid Günther, Leiterin des Stadtmuseums in Eisenerz, zeigte die historischen und kulturellen Schätze von Eisenerz. Von deren Vielfalt und Schönheit konnten sich die TeilnehmerInnen in den späteren Exkursionen, u. a. zur Oswaldikirche, der Gerberei oder zum Bergmannplatz im historischen Stadtzentrum von Eisenerz mit dem neu renovierten Stadtmuseum selbst überzeugen.
Der Architekt Werner Nussmüller und der Soziologe Rainer Rosegger präsentierten „re-design Eisenerz“, das Konzept zum Umgang mit der Schrumpfungssituation in Eisenerz. Das Projekt startete im Jahr 2004 mit der Analyse eines leer stehenden Wohnbaues, mittlerweile entwickelte sich dieses zu einem Gesamtkonzept für die Stadtentwicklung. „Zurück zur Mitte“ lautet die Umsiedlungsstrategie, welche die Altstadt stärken und die Wohnsituation durch ein konzertiertes Abriss- und Rückbauprogramm verbessern soll. Die Herausforderungen, die sich bei einem solchen Umzug für viele der älteren BewohnerInnen ergaben, beschrieb die Geografin Elisa Rosegger-Purkrabek.
Frau Prof. Simone Hain, Vorsitzende des Instituts für Stadt- und Baugeschichte der TU Graz, stellte Eisenerz zwar als das prominenteste Beispiel für Schrumpfung in Österreich dar, doch zeigte sie im internationalen Vergleich, dass der Ort durchaus kein dramatischer Fall ist. Schrumpfung ist ein Megatrend, welcher aber bereits auf eine 50-jährige Praxis des Handelns zurückblicken kann. Was Planende und Betroffene in Schrumpfungsgebieten daraus lernen konnten, bleibt jedoch von Fall zu Fall verschieden. 2010 fand unter ihrer Leitung die erste Master-Projektübung mit dem Thema „Kulturelles Erbe und sozialer Wandel“ und 2011 die zweite zum Thema „Jugend(t)räume“ in Eisenerz statt. Die Ergebnisse aus den beiden Projektübungen präsentierten die Studierenden der TU Graz bei der Leerstandskonferenz. Unter der Initiative von Bernhard Schabbauer und Nino Bijelic entstand eine Ausstellung mit dem Titel „Berg der Erfahrung“. Sie beschrieben darin das globale Phänomen der Schrumpfung als eine gesellschaftliche Normalität am Ende einer ökonomischen Wachstumsperiode und zeigten, dass gerade in der Schrumpfung soziales Wachstum liegt. Als Beispiele nannten sie die entstandenen Freiräume für Innovationen und eine mögliche Rückgewinnung der regionalen Autonomie. Dass sich Theorie und Komplexität der Ursachen nicht so leicht zu allgemein gültigen Lösungen vereinen lassen, erlebten sie in ihrer mehrmonatigen Feldforschung in Eisenerz. Aus den Betrachtungen der Studierenden entstand die Frage nach der Verantwortung der Architektur im sozialen Kontext. Die Zusammenhänge wurden in Form eines dreidimensionalen Diagramms am konkreten Fallbeispiel Eisenerz illustriert und mit den eigenen Erfahrungen vor Ort verknüpft.
In den Workshopgruppen der Leerstandskonferenz konnte man eigene Fragen und Erfahrungen diskutieren und sich gezielt den speziellen Themengebieten widmen: Beispielsweise der Kommunikationsschwierigkeit zwischen Planung und Politik, dem finanziellen Aufwand bei Schutz gegen Naturgewalten wie Lawinen und Hochwasser, der Komplexität von Umnutzungsaufgaben von leer stehender Bausubstanz sowie Methoden der Leerstandsermittlung und Marktplatzierung.
Das Themengebiet Schrumpfung ist ebenso komplex wie individuell. Umso deutlicher zeigt sich die Qualität einer interdisziplinären Untersuchung, um die speziellen Qualitäten des Ortes aufspüren zu können, daraus eine eigeninitiativ geführte Strategie zu entwickeln und dem standortpolitischen Wettkampf auszuweichen. Dass Verantwortliche aus Politik und dem Immobilienmarkt wiederholt versuchen, den Leerstand auszuschlachten und sich weiterhin an die Hoffnung auf ökonomisches Wachstum klammern, ohne zu verstehen, dass dies keine nachhaltige Strategie sein kann und den nötigen Paradigmenwechsel behindert, zeigt die Notwendigkeit von fortschreitender Kommunikation, Aufklärung und einer weiteren Leerstandskonferenz.
Es ist geplant, diese in Form regelmäßiger Veranstaltungen auch in den kommenden Jahren fortzusetzen.
alternative Entwicklungsimpulse
Ein fast umfassendes Bild der Konferenz. Schade nur, dass der Autor die auf der Konferenz als alternative Zugänge und Entwicklungsimpulse vorgestellten künstlerischen Arbeiten so einfach unter den Tisch fallen lässt.