Wilhelm Hengstlers neues Buch flussabwärts, flussabwärts.
Der Autor Hengstler reist gerne, mag aber aus dem Erfahrenen keine Reiseberichte formen. Der Cineast Hengstler führt Regie in literarischen Roadmovies.
Figuren in Roadmovies werden dekonstruiert, verlieren, um so wieder zu finden. Der Rahmen dazu ist die Landschaft, durch die sie sich bewegen. In ihr bieten Gegebenheiten einem Leben neue Strukturen an, weil für einfache Antworten kein Raum, für schnelle Lösungen keine Zeit ist. Unterwegs zu sein heißt, konsequent einen Weg zu gehen, der die Gerade meidet. They play their string out to the end, lautet eine amerikanische Redewendung. Dieses Prinzip verlangt, komme was da wolle, bitteres Ende eingeschlossen, nach konsequenter Haltung.
In flussabwärts, flussabwärts kommt dieser Leitsatz vorerst ins Taumeln.
Eine lange Radreise zum „Nullpunkt“ der Donau, ihrem Mündungsdelta ins Schwarze Meer steht unmittelbar bevor, da blockiert ein Aneurysma in einer Beinvene jedes weitere Vorhaben.
Die menschliche Maschine ist beschädigt. Die schon sicher geglaubte Ungewissheit auf der Straße knickt ins Unbestimmbare, ins Unbewegliche.
Ein winziger Feind im Inneren bedroht den intakt geglaubten Körper, verändert möglicherweise einen Rhythmus und seine Möglichkeiten grundlegend. Hengstler zitiert den Film Die unglaubliche Reise von Richard Fleischer. Auf Blutkörperchengröße geschrumpfte Wissenschaftler müssen unter Zeitdruck in einem Miniaturboot durch einen menschlichen Körper fahren, um ein Leben zu retten.
Ebenso muss der sonst so autark Reisende nun seinen Erlebnisradius verkleinern, andere in seinen Körper hinein steigen lassen. Die Distanz zum Unvorstellbaren, zur eigenen Sterblichkeit beginnt zu schrumpfen, elementare Fragen setzen ein. Das bisherige Leben eine Vergeudung, ein großes Missverständnis? Aus Außen wird Innen. Statt Weite breitet Enge sich aus.
Der Radfahrer tritt als Kranker im Leerlauf. Da fällt ihm ein anderer Eingesperrter ein.
1789 wurde über den Offizier Xavier de Maistre wegen eines Duells zweiundvierzig Tage Zimmerarrest verhängt. Die Reise um mein Zimmer wurde geschrieben, eine pointierte Durchmessung der Welt, in der Reflexion und Assoziation die Beförderungsmittel auf begrenztem Raum lauteten.
In Hengstlers Buch wird der Aufenthalt im Spital zur neuen Reise.
Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist, denn ein chirurgischer Eingriff, Erholung und eine neuerliche Operation folgen, später werden aus einer Reise zwei.
Abenteuer, sagt man, ist eine unsichtbare, unbeschriebene Distanz zwischen den als sicher erscheinenden Wegmarken Anfang und Ende.
Wilhelm Hengstler lässt seinen Protagonisten diese Strecke mehrfach erforschen. In einer Parallelmontage schickt der Autor sein Ich und sein Er aufeinander zu. Anfang mit Ende, Ende mit Anfang werden getauscht, dazwischen beginnen sich die Erkenntnisse der beiden Erzählstränge langsam anzunähern.
Zweimal muss ein Leben abwärts verlaufen, bis es wieder in eine momentane Balance, in der alle Wege offen bleiben, mündet.
Roadmovies erzählen von Bewegungsflüssen, für die jedes Erreichen, jede Ruhe, jede Bestätigung aber auch jede Angst und jeder Zweifel nur vorübergehendes Stocken heißen.
flussabwärts, flussabwärts ist sich dieser Zwischenzeit bewusst. Endless is the road, that leads to nowhere, heißt es auf der letzten Seite des Buchs. Diese Vermutung klingt nicht nach Verzweiflung, sie verlangt nach weiteren Reisen.