19/06/2024

Die Bedeutung der ASVK für eine ausgewogene und resiliente Gestaltung der (Innen-)Stadt Graz sollte nach 50 Jahren nicht mehr erklärt werden müssen. Dennoch hat dieses Expert:innengremium zunehmend mit strukturellen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Wie und was gerade passiert (oder warum auch immer nicht passiert?), schildert dieser offene Brief der Sachverständigenkommission der Grazer Alt- und Innenstadt.

19/06/2024

Zwei Ansichten von Graz 

©: Mehr Zeit für Graz

GRAZER ALTSTADTSACHVERSTÄNDIGENKOMMISSION
Offener Brief an die entsendenden Institutionen, Ämter, Hochschulen und Universitäten: 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Dieses Schreiben hat den Zweck, an die Zielsetzungen des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes GAEG und der ASVK zu erinnern, die problematischen Entwicklungen des letzten Jahres aufzuzeigen und auf die Folgen hinzuweisen. Die ASVK ist im GAEG als selbstständige und sachlich weisungsfreie Körperschaft, angegliedert an die Abteilung 09 des Landes Steiermark, eingerichtet. Durch strukturelle Umstellungen in der Landesverwaltung im Jahr 2023 wurde die ASVK in die Abteilung 09 eingegliedert und die Geschäftsstelle der ASVK – ohne Abstimmung mit der ASVK – so umstrukturiert, dass die Arbeit des Gutachtergremiums schwer beeinträchtigt ist. Daraus ergeben sich folgenschwere Auswirkungen:

• Die Geschäftsstelle ist seither nicht mehr weisungsfrei, sondern weisungsgebunden an die Abteilung 09 angeschlossen. 
• Das Amtsgeheimnis der ASVK wurde durch die zwangsweise Benutzung des allgemeinen Kulturservers des Landes aufgehoben. 
• Die ASVK-eigenen Akten wurden aus der Geschäftsstelle der ASVK in das Landesarchiv verlegt. Eine zugesagte Digitalisierung der Akten erfolgte nicht. Damit wird die Gutachtertätigkeit deutlich erschwert. 
• Die Geschäftsstelle wurde personell beschnitten, obwohl die Anzahl der Anfragen durch zusätzliche Aufgabenstellungen (PV-Anlagen, Werbemaßnahmen etc.) stark steigen.
• Die Handlungsfähigkeit der Geschäftsstelle wurde massiv eingeschränkt. Dadurch kommt sie ihrer Informationspflicht an die Antragsteller nicht mehr nach. Die Geschäftsstelle kann ihren Aufgaben der Kommission gegenüber und auch in der Kommunikation nach außen nicht mehr erfüllen. 

Gerade erst wurde das fünfzigjährige Jubiläum der Gesetzwerdung des GAEG und seiner Institutionen gefeiert. Natürlich sind 50 Jahre in der Legislative kein langer Zeitraum und einen Gesetzestext und seinen Vollzug kann man auch nicht wirklich feiern. Zu würdigen sind aber durchaus die sichtbaren Folgen des Gesetzes, die Erhaltung wichtiger Ensembles und Gebäude in den Schutzzonen und eine konsensuale Weiterentwicklung der im Bewusstsein der GrazerInnen so geschichtsträchtigen wie identitätsstiftenden Baukultur. 

Auch die tausenden Stunden unbezahlter Gutachtertätigkeit könnte man positiv erwähnen, obwohl die GutachterInnen selbst dies nie eingefordert hatten. In Zeiten aussterbender Stadtzentren und einer immer komplexeren Identitätspolitik, in der universalistische gesellschaftliche Werte aus dem Blick geraten und politisch nicht mehr durchgesetzt werden können, ist das GAEG noch immer eine Erfolgsgeschichte zivilgesellschaftlicher Bemühungen zur Erhaltung der schutzwürdigen Baukultur und der ausbalancierten Weiterentwicklung der Schutzzonen. Schließlich waren als Grundlage der Gesetzeswerdung – man erinnert sich heute kaum mehr daran – in einer Petition der Kleinen Zeitung über 107.000 Stimmen der Grazer BürgerInnen gegen gewisse Bauvorhaben der Spätmoderne zusammengekommen, die wesentliche Teile der Grazer Altstadt hypertrophen Verkehrslösungen geopfert hätten. 

Das Wissen um die Geschichte und gleichzeitig ein verantwortungsvoller Blick in die Zukunft ist dem Gesetz eingeschrieben und den Gutachtern Maßstab ihrer Entscheidungen. Es gibt kaum ein Gremium in der Stadt, das so breit aufgestellt ist, von so vielen Institutionen beschickt wird und mit derartigem Fachwissen ausgestattet ist wie das Gutachtergremium der ASVK. Hier wird im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten ein hochwertiger demokratischer Diskurs über das Gebaute und das noch zu Bauende geführt. Die organischen Funktionen der Stadt – wie es im Gesetzestext heißt –, sowie die Abstimmung mit Bauamt, Stadtplanung, Bundesdenkmalamt und Welterbe-Büro sind dabei immer im Blick der Entscheidungsfindung. Natürlich kann ein Gutachtergremium alleine mit seinen Gutachten nicht wirksam werden. Adornos berüchtigter Vortrag „Wer Kultur sagt, muss auch Verwaltung sagen“ verweist auf eine grundsätzliche gegenseitige institutionelle Abhängigkeit. Wenn Politik, Verwaltung und alle Ausprägungen der Zivilgesellschaft Kultur bedingen, schaffen und weiterentwickeln, dann wirken sich Problemstellungen nicht isoliert auf eine Institution, sondern immer auch auf die anderen übergreifend aus. Schwierigkeiten im Verwaltungsapparat, die das Gutachtergremium in seiner Arbeit nachteilig beeinflussen, können, wie sich zeigt, nicht immer subsidiär behandelt werden, sondern müssen auch von der übergeordneten Politik wahrgenommen und gelöst werden.

Zur Erstellung, Bearbeitung und Durchsetzung der Anliegen des GAEG bedarf es einer hochfunktionalen Verwaltung. Insbesondere der Geschäftsstelle der ASVK, die die Vorarbeit für die ASVK leisten muss, als Ansprechstelle für alle Beteiligten fungiert und die Gutachten der ASVK an Antragsteller und Baubehörde exportiert, kommt eine entscheidende Bedeutung in den Prozessen des GAEG zu. Wir GutachterInnen wissen genau, dass die bis dato unbestrittenen Anliegen des Gesetzes nur von Politik, Verwaltung und ASVK gemeinsam bewältigt werden können. Dieses Boot, in dem wir immer schon gemeinsam gesessen waren und zusammengearbeitet hatten, wurde in den letzten Jahren deutlich unbequemer. 

Bei aller angemessenen Selbstkritik müssen wir die momentanen Schwierigkeiten in der Gutachtertätigkeit und die diffuse Dauernervosität zwischen ASVK, Verwaltung und Politik auf die verwaltungsrechtliche Unklarheit der Stellung der ASVK und der Geschäftsstelle als nicht selbstständige Körperschaft innerhalb des Organigramms der Steiermärkischen Landesregierung und somit eine seit der Eingliederung in die Kulturabteilung (Abteilung 9) systemische Krise der Geschäftsstelle der ASVK zurückführen. Mit der Eingliederung wurde die eigenständige und sachlich weisungsfreie Handlungsfähigkeit der ASVK außer Kraft gesetzt. Eine selbständige ASVK samt ihrer Geschäftsstelle kann aber der Abteilung 9 nur angegliedert 3 sein, um nicht in Fragen der Büroorganisation, des sachlichen Entscheidungsrechts und Weisungen der Abteilung 9 bzw. dem rechtlichen und faktischen Weisungsrecht der Landesregierung zu unterliegen. Deshalb sehen wir es als unsere Verpflichtung, alle Beteiligten vor einem möglichen Kollaps des derzeitigen Systems zu warnen und gegensteuernde Maßnahmen einzufordern. Insbesondere beziehen wir uns auf nachfolgende Punkte:

1. Die ASVK ist vom Gesetz und von der Geschäftsordnung her als eine selbstständige und weisungsfreie Sachverständigenkörperschaft konstituiert, der als Unterstützung von der Abteilung 9 der Steiermärkischen Landesregierung die sogenannte Geschäftsstelle zugeordnet ist. Die Geschäftsstelle, vertreten vom Geschäftsstellenleiter, muss alle Bauvorhaben entgegennehmen, ordnen, auf Vollständigkeit und sachliche Richtigkeit überprüfen und dem Gutachtergremium so vorbereitet vorlegen, dass eine zeitlich und inhaltlich angemessene Bearbeitung möglich ist. Die fertigen Stellungnahmen und Gutachten sind von der Geschäftsstelle ehestens an die Zuständigen, also Bau- und Anlagenbehörde, Ersteller einer Voranfrage, etc., zu übermitteln. Die Geschäftsstelle ist in den letzten Jahren auf Grund ihrer personellen Unterbesetzung nicht mehr in der Lage diese Arbeiten so zu erbringen, dass die Gutachten und Stellungnahmen zeitgerecht hergestellt werden können. Damit der Prozess überhaupt noch gewährleistet werden kann, müssen zurzeit Vorsitzender und GutachterInnen Arbeiten der Geschäftsstelle übernehmen bzw. diese immer wieder nachträglich einfordern. Da die GutachterInnen aber schon hunderte Stunden ohne Bezahlung leisten, werden diese Mehrleistungen in Zukunft nicht mehr erbracht werden können. 

2. Durch die Zurückstufung des bisherigen Geschäftsführers Mag. Richard Wittek-Saltzberg und die Einsetzung eines nicht entsprechend fachlich ausgebildeten neuen Leiters der Geschäftsstelle ohne kunstgeschichtliche Kenntnisse entstand eine Situation, die nicht dem Gesetzestext und der Geschäftsordnung der ASVK entspricht. Die vielfachen zusätzlichen Verpflichtungen von Mag. Wittek-Saltzberg im Bereich des Ortsbildschutzes und seine deutlich zur Schau gestellte Betroffenheit führen dazu, dass der Kommunikationsfluss nur beschränkt gegeben ist. ArchitektInnen berichten uns, dass die Geschäftsstelle tagelang nicht erreichbar war oder keine fachlichen Auskünfte erteilt werden konnten. Fragende wenden sich verständlicherweise dann an ihnen bekannte GutachterInnen, die aber nicht für eine Auskunftstätigkeit bestellt sind und diesen Mehraufwand nicht zu leisten vermögen. 

3. Die beiden Sachbearbeiterinnen der Geschäftsstelle erwecken den Eindruck einer ständigen Überforderung. Der erwartbare Ausfall auch nur einer der beiden würde einen Zusammenbruch des Systems bedeuten. Das Versprechen der Kulturabteilung, dass Ersatz jederzeit zur Verfügung stehe, ist insofern problematisch, da andere Sachbearbeiterinnen weder die erforderlichen Sachkenntnisse mitbringen, noch in das Prozedere der ASVK eingearbeitet sind.

 4. Die Eingliederung der Geschäftsstelle in die Kulturabteilung des Landes Steiermark gefährdet die Unabhängigkeit und auch die gebotene Verschwiegenheitspflicht des Gutachtergremiums. Es besteht eine Verpflichtung zur Verwendung der ASVK-E-Mail-Adresse asvk@stmk.gv.at, da nur diese der Anforderung der Verschwiegenheitspflicht genügt. Von der Geschäftsstelle wird aber unter Hinweis auf die Büroordnung der Steiermärkischen Landesregierung auf der E-Mail-Adresse kultur@stmk.gv.at beharrt, die auch für andere Mitarbeiter der Kulturabteilung einsehbar ist. Unter dem gleichen Hinweis wurde den Mitarbeitern der Geschäftsstelle darüber hinaus auch der E-Mail-Kontakt zu den GutachterInnen der ASVK untersagt. Dieses E-Mail-Verbot wird aber in bestimmten Fällen von der Geschäftsstelle selbst unterlaufen, da das Mindestmaß der Kommunikation sonst gar nicht mehr herzustellen wäre. Obwohl die Geschäftsstelle der ASVK direkt zugeordnet sein müsste, nehmen die MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle auch keine Anordnungen des Vorsitzenden der ASVK mehr entgegen, da ihnen dies untersagt wurde. 

5. Viele Vorhaben, die schon seit Jahren immer wieder versprochen und diskutiert wurden, wie beispielsweise die Digitalisierung der ASVK-Akten, ihre Speicherung auf einem für GutachterInnen zugänglichen Datenserver oder ein von den GutachterInnen einsehbarer Zeitplan, der den Fristenlauf der Gutachten zeigt, sind auf Grund des Personalmangels auf unbestimmte Zeit verschoben. Wir, die GutachterInnen der ASVK, warnen aus unserer Verantwortung heraus und aufgrund der Fehlentwicklungen, die wir in den letzten Monaten mehrmals erfolglos aufgezeigt haben, vor den Folgen der Beibehaltung des aktuellen Zustands. Mit diesem Schreiben möchten wir verdeutlichen, dass es uns unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich ist, die Aktivitäten der ASVK in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Wir fordern daher den politischen Willen ein, die gesetzwidrige Strukturierung der Geschäftsstelle sofort zu korrigieren und damit die fachlich und rechtlich gesicherte Gutachtertätigkeit der ASVK wieder zu ermöglichen. Für zielführende Gespräche zur sofortigen Verbesserung der Situation stehen wir jederzeit zur Verfügung. Für die Altstadt-Sachverständigenkommission 

Der Vorsitzende: 
Architekt Dipl.-Ing. Alfred Bramberger Graz, 16.4.2024.

Christian Andexer

Als ehemaliges Mitglied der ASVK habe ich an der Arbeit der Kommission unter Vorsitz von (ohne Titel) Walter Laggner, Gertrude Celedin, Wolfdieter Dreibholz, Gertraud Strempfl- Ledl mitgewirkt. Michael Szyszkowitz ist jahrzehntelang in der ASVK für das Verständnis guter Architektur in Relation zum universellen Wert des Kulturebes eingetreten. Im Vergleich zu anderen Welterbestädten wie zum Beispiel Lublin, Edinbourgh, Valetta, Vilnius oder Regensburg stellt diese Cohabitation ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt Graz dar.
Wer heute eine Schutzzonengrenze passiert erkennt auch als Laie einen deutlichen qualitativen Unterschied zwischen 50 Jahren Qualitätssicherung in den ASVK Zonen und der "normalen" Stadt. In der Arbeit als Gutachter:in ist es ist viel leichter Nein zu Projekten als Ja zu sagen. Eine fundierte Analyse und Selbstkritik gehört natürlich dazu, aber das Ergebnis aus 50 Jahren Altstadtschutz in Graz kann sich europaweit sehen lassen!
Ich möchte daher den Vorsitzenden der ASVK, Architekt Alfred Bramberger und die Mitglieder der ASVK bestärken gegen die beschriebene administrative Mißachtung aufzutreten, um eine kompetente, unabhängige und weisungfreie ASVK auch in Zukunft sicherzustellen und unterstütze die Anliegen vollinhaltlich!
Christian Andexer Architekt, Vorsitzender der Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung (SVK) in Salzburg

Di. 25/06/2024 13:26 Permalink
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