14/11/2023

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

14/11/2023

Materialien im Ausstellungs- und Kulturbereich sind wertvolle Ressourcen wie bei circulART vermittelt wird.

©: Wenzel Mraček

Max Gansberger mit Hund Lula bei circulART, 2023

©: Wenzel Mraček

circulART Materialhalle mit Materalien zur Wiederverwendung, 2023

©: Wenzel Mraček

circulART nutzt als Zwischennutzer Räume in der Rösselmühle in Graz

©: Wenzel Mraček

Es ist inzwischen mehr als 20 Jahre her. Ich arbeitete damals für eine Grazer Galerie, die an einer Kunstmesse in Wien teilnahm. Auf riesiger Fläche waren Kojen aus Holzplatten aufgebaut, die mit Molino(-Leinwand) verkleidet waren. Zu Ende der Messe wurden die Kojen sofort abgebaut und ich konnte beobachten, wie tausende Quadratmeter Molino abgerissen und in zur Entsorgung bereitgestellte Müllcontainer verfrachtet wurden. In verhältnismäßig geringen Mengen versorgten sich zwar noch einige Kunststudenten mit Material, der Rest aber ging wohl auf die Deponie. Von Ressourcenvergeudung oder dem Ansinnen um Wiederverwertung noch brauchbaren Materials war damals keine Rede. Kosten-Nutzenrechnungen wurden offenbar noch anders geführt als heute, und der zwar aus dem 18. Jahrhundert stammende Begriff „Nachhaltigkeit“ sollte – verbunden mit dem einsetzenden Bewusstsein um den Klimawandel – erst später wieder gefunden werden.

Dass sich Kulturinstitutionen inzwischen immerhin mit Maßnahmen zur Verringerung von CO₂-Ausstoß, Reise- und Transportaufkommen und letztlich Mehrfachverwertung von Ausstellungsmaterial befassen, zeigte eine Umfrage bei 79 internationalen Institutionen (darunter die Österreicher MAK und mumok), die vor drei Jahren vom deutschen Kunstmagazin art durchgeführt wurde (art, September 2020).

Für einen Buchbeitrag im Playbook Klimakultur zum Thema Nachhaltigkeit im Kunstbetrieb gab mir vor zwei Jahren Katia Huemer, Kuratorin am Kunsthaus Graz, Auskunft. Hinsichtlich nachhaltigen Anspruchs an Ressourcen seien es gerade die Kunst und ihre Vermittler, die vorausdenken und als „Impulsgeber“ gesellschaftliche Ambitionen beeinflussen können. Auch entsprechend dem Maßnahmenkatalog für das österreichische Umweltzeichen (mit dem das Kunsthaus Graz seit 2021 zertifiziert ist) wurden im Haus Abfallwirtschaft, Wasser, Energie, Beleuchtungsmittel untersucht. Für Ausstellungsgestaltungen werden möglichst recycelte Materialien verwendet, die in Folge aufbewahrt werden, um damit kommende Projekte auszustatten.

Als damals noch technischer Leiter der Halle für Kunst Steiermark (vormals Künstlerhaus Graz) hatte sich der Grazer Max Gansberger freilich zuvor schon mit Gedanken um Weiterverwertung von Materialien der Ausstellungsarchitekturen getragen. Der entscheidende Moment ergab sich angesichts der einem antiken Tempel nachempfundenen Styroporfassade zur Ausstellung Europa: Antike Zukunft (2021)die damals bei einem Maturaball (Thema Antike) in Liezen neue Verwendung erfuhr. Die Kulissenkonstruktion führte aber auch in die Idee, Teile von Bühnen-Installationen – Gansberger dachte an die Vereinigten Bühnen Graz – an kleinere Theater weiterzuvermitteln.

Mit den Vorständen Max und Claudia Gansberger wurde nun der Verein circulART-Materialhalle gegründet. Noch gebrauchsfähiges und funktionstüchtiges Material aus dem Kulturbereich beziehungsweise Ausstellungsbetrieb soll „gerettet und weitergegeben“ werden.

Die 150 m² große Materialhalle des Vereins befindet sich auf dem Areal der Grazer Rösselmühle. Während des Gesprächs mit Max Gansberger sitzen wir auf Sesseln, die aus dem Großen Minoritensaal stammen. Nach Neuanschaffung waren etwa 300 Stühle seit 2019 zwischengelagert und wurden nach Anfrage Gansbergers dem Projekt circulART kostenfrei überlassen. Der Großteil wurde inzwischen über ein Online-Angebot verkauft, 50 Stück verbleiben weiterhin, um vermietet zu werden. Und so geht’s zu Anfang: Aus dem Verkaufserlös konnte begonnen werden die Lagerhalle zu renovieren . Gefördert wurde das Projekt inzwischen von Umweltamt und dem Kulturamt der Stadt Graz. Unterstützungserklärungen liegen seitens des Universalmuseums Joanneum, dem Referat für Abfallwirtschaftscontrolling der Stadt Graz vor sowie der Wiener Initiative BauKarussell, die sich mit kreislauffähigen Projekten im Bereich der Bauwirtschaft befasst. BauKarussell haben auch ihre Mitarbeit zur Berechnung der CO₂-Äquivalenz avisiert, eine Erhebung nämlich um die Verringerung von CO₂-Ausstoß durch die Wiederverwertung von Materialien aus dem Kunst- und Ausstellungsbetrieb. Dafür sollen in Deutschland bestehende Datenbanken herangezogen werden, in denen das CO₂-Aufkommen von Erzeugung bis Eliminierung spezifischer Objekte dargestellt ist. Die erhobenen Daten könnten damit Teil von Nachhaltigkeitsberichten der Institutionen sein, die circulART Materialien zur Weiterverwendung überlassen wollen.

In Österreich ist circulART die erste und bislang einzige Initiative, die sich für Mehrfachverwendung und Vermittlung gebrauchter Teile in Bereichen des Kulturbetriebs engagiert. Zur Vereinsgründung entschlossen sich Claudia und Max Gansberger nach einem Treffen in Basel, zu dem der dort ansässige Verein Offcut eingeladen hatte. Mit Sitzen in St. Gallen, Luzern, Bern, Zürich und Basel vermittelt Offcut seit 2013 diverse Materialien, seit 2020 etwa auch über das Offcut Atelier für nachhaltige Szenografie in Zürich. Ebenfalls seit 2013 besteht die Hanseatische Materialverwaltung in Hamburg. Der „gemeinnützige Fundus“, „rettet“ vorwiegend ausrangiertes Material, hochwertige Requisiten und Bühnenbilder großer Theater und Filmsets. Trash Galore (Leipzig) sind auf Messen spezialisiert und Vorreiter in der CO₂-Berechnung. Sie vermitteln Material an gemeinnützige Vereine in ganz Deutschland unter dem Aspekt der kürzesten Wege zwischen Abbau und Neunutzern in Direktvermittlung, ohne Lagerung. Und ähnlich wie circulART vermitteln treibgut in der Kunst- und Kulturszene Münchens.

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