Nachruf auf die bedeutende Kulturanthropologin, deren Arbeit auch für den Fachbereich Architektur von unschätzbarem Wert ist. Einige der zahlreichen Schriften von Elisabeth Katschnig-Fasch zu den Themen Stadt und Wohnen wurden mit freundlicher Genehmigung auf www.gat.st veröffentlicht.
IN BLEIBENDER ERINNERUNG
Gerlinde Malli und Judith Laister
Ihr mit einem Nachruf gerecht zu werden, ist nicht möglich, so wenig, wie wir mit unserer kulturanthropologischen Forschung unserem Gegenstand gerecht werden können. Das hat Elisabeth Katschnig-Fasch so gesehen. Eine Annäherung kann es sein und vor allem etwas, in dem die persönliche Geschichte zum Ausdruck kommt. Ohne Leidenschaft, ohne Hingabe, ohne „Brennen für das Thema“ ist jede Forschung zum Scheitern verurteilt.
Elisabeth Katschnig-Fasch lehrte und wirkte seit 1976 am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Karl-Franzens-Universität Graz. Als Lehrende und Forschende setzte sie durch ihre inhaltlichen Schwerpunkte im Bereich der Geschlechterforschung, der Lebensstil- und Wohnforschung, der Urbanethnologie und der Erforschung der Auswirkungen sozialer und kultureller Umbrüche auf den Alltag einschneidende und wegweisende Impulse für Graz, für Österreich als auch auf internationaler Ebene.
Vielfältige Initiativen und Gründungen, u.a. der Gruppe WIDEE (Wissenschaftlerinnen in der Europäischen Ethnologie), der Zeitschrift „Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur“ oder ihr Wirken als Mitglied des editorial boards der Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie, zeugen von Elisabeth Katschnig-Faschs Schaffenskraft für das Fach.
Ihr Engagement, mit dem sie wissenschaftliches Wissen über das universitäre Feld hinausgetragen hat, zeigte sich in unzähligen öffentlichen Auftritten und Medienbeiträgen, z.B. in Gesprächen mit Politikern und Wirtschaftstreibenden, im Symposium „Hinter den Kulissen der flexibilisierten Gegenwart“ im Forum Stadtpark oder in ihrer Aufforderung an die Grazer Stadtpolitiker und -politikerinnen, die Lebenswelten der Punks zu verstehen. Ihre Präsenz in der (lokalen) Öffentlichkeit zeugte nicht zuletzt davon, dass ihre Forschungsarbeiten immer wieder den Nerv der Zeit trafen.
Über den lokalen, nationalen Kontext hinaus stand Elisabeth Katschnig-Fasch in langjährigem dialogischem Austausch mit Ina-Maria Greverus, Begründerin des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie in Frankfurt am Main, an dem Elisabeth Katschnig-Fasch in den Jahren 1997 und 1998 lehrte und forschte. Weitere internationale Kontakte bestanden u.a. mit Rolf Lindner, Karin Wilhelm, Rada Iveković, Florence Weiss, Mario Erdheim, Maya Nadig, Anna Bergmann, Johannes Moser und Franz Schultheis. Elisabeth Katschnig-Fasch war Mitglied des editorial boards der international und interdisziplinär ausgerichteten, von Ina-Maria Greverus und Christian Giordano gegründeten Fachzeitschrift „Anthropological Journal on European Cultures“ und der IACSA (International Assiciation for Cultural Studies in Architecture).
Im Bereich der Stadtanthropologie zählt Elisabeth Katschnig-Fasch zu den Pionieren des Faches. Seit den 1970er Jahren forschte und lehrte sie kontinuierlich zu städtischen Wohn- und Lebensweisen, wobei sie vor allem die kulturellen und sozialen Verhältnisse der Stadt Graz intensiv erkundete. Bereits in ihrer Dissertation über „Vereine in Graz“ (1976), vor allem aber in zahlreichen Wohnstudien, die in ihre Habilitationsschrift „Möblierter Sinn. Städtische Wohn- und Lebensstile“ (1998) mündeten, fokussierte sie Stadt und Raum als wesentliche Kategorien menschlichen Daseins. Mit ihrem Wissen über die Macht des Raumes in Bezug auf soziale Exklusionsmechanismen sowie über den Eigensinn von Graz brachte sie sich immer wieder in den öffentlichen Diskurs der Stadt Graz ein. Ab 2007 war sie im Stadtforum Graz vertreten, eines der vier Instrumente des Grazer Modells zur nachhaltigen Stadtentwicklung und Sicherung der Baukultur, und lieferte mit ihren Beiträgen wichtige Inputs für zahlreiche Gespräche und Diskussionen.
Elisabeth Katschnig-Fasch ist in den letzten Jahren den Weg der Thematisierung sozialer und kultureller Umwälzungen und ihrer Auswirkungen auf das Leben der Einzelnen gegangen. Ihre Veröffentlichung „Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus“ wurde 2003 mit dem Bruno Kreisky-Anerkennungspreis ausgezeichnet.
Mit Vehemenz und Leidenschaft erinnerte Elisabeth Katschnig-Fasch nicht nur die scientific community immer wieder an die Welt da draußen: „In welcher Gesellschaft leben wir?“ fragte sie mit bestimmendem Ernst. Ihre Antwort war ebenso klar wie ernüchternd: in einer Gesellschaft, die „kein Sensorium [hat] für den einzelnen Menschen, für seine Biografie, für seine Gefährdung, für seine Sorgen und die zunehmende Unsicherheit, für sein Leben, das aus vielen Anfängen besteht, die zu keinem Ende mehr führen, in dem nichts mehr für länger ist und das sukzessive seine Eigenständigkeit und seinen Eigenwert verliert“ (Das ganz alltägliche Elend, 2003, 7). Diesen gesellschaftlichen Veränderungen, die das Menschliche aus dem Blick verlieren, setzte sie eine mit dem wissenschaftlichen Ziel des Verstehens verknüpfte radikale Perspektive auf den Einzelnen entgegen: weder abstrakte Diagnosen noch distanzierte Analysen waren das Ergebnis, sondern feinkalibrierte Portraits von Frauen und Männern, die von Verschärfungen ihrer Situation am Arbeitsplatz, von ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung, von sozialer Nichtachtung, von Verletzungen der Würde und dem Verlust von Perspektiven und des Selbstwertgefühls berichteten. Diese Art des wissenschaftlichen Arbeitens wagt sich über sich selbst hinaus, ist mutig und ist unbequem. Sie ist das Gegenteil von der für gewöhnlich praktizierten Weltflucht und der Haltung, politischen oder gesellschaftspolitischen Fragen gezielt aus dem Weg zu gehen. Sie löst Irritationen vor allem in akademischen Kreisen aus: Elisabeth Katschnig-Fasch hat, wie Pierre Bourdieu, dessen Werk sie kannte wie kaum ein/e andere/r, die Sorge um akademische Anerkennung und gelehrte Enthaltsamkeit aufgegeben und sich den gegenwärtigen Zuständen, der Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zugewandt. Im Fach der Volkskunde und Kulturanthropologie hat Elisabeth Katschnig-Fasch diesen Weg gewissermaßen im Alleingang beschritten, wie Rolf Linder auf dem Symposium „Eingreifende Kulturwissenschaft“ anlässlich des 60. Geburtstags von Elisabeth Katschnig-Fasch meinte. Er bezeichnete sie als „kognitives Gewissen des Faches“. Sich nicht an der beklemmenden Frage, welche kulturellen und sozialen Konsequenzen die herrschende Ideologie des neuen Kapitalismus mit sich bringt, vorbeizuschwindeln, sondern das Kulturelle und Politische sowohl in der Gesellschaft wie in der Wissenschaft wiederzugewinnen, ist ein Impetus, der sobald nicht an Aktualität verlieren wird.
Am Samstag, dem 4. Februar 2012 erlag Elisabeth Katschnig-Fasch einer kurzen, schweren Krankheit.
Die Trauerfeier findet am Mittwoch, dem 15. Februar 2012, um 12.00 Uhr in der Pfarrkirche Graz-St. Peter statt, die Beisetzung erfolgt im Anschluss am benachbarten Ortsfriedhof St. Peter.
Gerlinde Malli
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Uni Graz. Studium der Soziologie und Kulturanthropologie in Graz, Mitarbeit an der Studie „Das ganz alltägliche Elend“ (Hg. E. Katschnig-Fasch, 2003) und „Bürgerschreck Punk“ (gemeinsam mit Diana Reiners und Gilles Reckinger, 2006). Dissertation im Bereich „Auswirkungen gesellschaftlicher Umbrüche auf die Lebenswelten Jugendlicher“ bei E. Katschnig-Fasch
Judith Laister
Univ.Ass. am Institut für Stadt- und Baugeschichte der TU Graz. Studium der Kulturanthropolgie in Graz, Dissertation im Bereich „Stadtanthropologie“ bei E. Katschnig-Fasch.