Bereits zum 71. Mal lud die Bürgerinitiative “MEHR Zeit für Graz” am 23. Mai 2024 zu einem ihrer Foren, diesmal unter dem Titel: “Der Entwurf zu einem neuen Steiermärkischen Stadt- und Ortsbildgesetz: Was wird besser, was ist ein Nachteil für die Stadt Graz und das Weltkulturerbe?”
Trotz des lauen Sommerabends sind einige der Einladung gefolgt. Nicht nur vor dem Rathaus, sondern auch im prunkvollen Gemeinderatssitzungssaal – von der Stadtpolitik offenbar wohlwollend zur Verfügung gestellt – herrscht vor Beginn eine angenehme Atmosphäre. Bekannte Gesichter begrüßen einander, andere tauschen ein paar Worte mit Kolleg:innen aus. Langsam nehmen die etwas über 30 Zuhörer:innen Platz, um sich fachliche Expertise zu holen, Fragen zu stellen und selbst Position zu beziehen.
Bernhard Seidler, Sprecher der Initiative, begrüßt und klärt mit einleitenden Worten Anlass, Ziele und Methoden des Abends. Die Veranstaltung reagiert auf die Aufregung rund um den kursierenden Entwurf des Steirischen Ortsbildgesetzes, kurz SOG. Mit Expert:innenvorträgen und einer offenen Debatte will man Bürger:innen bei der Meinungsbildung unterstützen. Dazu lassen sich die geladenen Beamt:innen des Landes und der Grazer Altstadtanwalt Rainer Beck entschuldigen.
Im ersten Referat beleuchtet Gertraud Strempfl-Ledl mit ihrer Expertise als langjährige Vorsitzende der Grazer-Altstadtsachverständigenkommission (ASVK) und Mitglied der Grazer UNESCO-Welterbe Koordinationsstelle den aktuellen Stand des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes, kurz GAEG. Es besteht seit 1974, gilt aber als “Lex specialis” der Steiermärkischen Bauordnung nur für die Landeshauptstadt. Es schützt nicht nur den öffentlichen Raum und den historisch gewachsenen Bestand, sondern bezieht auch ihre historische Funktion und damit den wirtschaftlichen Aspekt der Gebäude mit ein.
Novellierungen aus den Jahren 2008 und 2015 sowie drei Verordnungen stärken das GAEG, die jeweils die Dachlandschaftserhaltung, die Fenstergestaltung und die Ankündigungsgestaltung betreffen. Darüber hinaus schützt es auch vor Abbruch und enthält damit ein Instrument, das nicht in der Landesgesetzgebung, sondern nur im Denkmalschutzgesetz (DSG) des Bundes zu finden ist. Im Gegensatz dazu bezieht sich das GAEG aber nicht auf einzelne Objekte, sondern legt großräumige Schutzzonen fest.
Mit der Verabschiedung des Welterbe-Managementplans hat sich der Gemeinderat 2007 einstimmig zum Erhalt des Welterbes verpflichtet. Das GAEG ist in diesem Plan das zentrale Instrument zum Schutz des Welterbes, das ausgehend von den UNESCO-Bestimmungen verbindlich festgelegt und eingehalten werden muss. Strempfl-Ledl betont in diesem Zusammenhang, dass sich die rechtlichen Grundlagen des Welterbeschutzes durch das künftige SOG nicht verschlechtern dürfen. Denn neben dem Status als UNESCO-Welterbe steht auch der historische Lebensraum Stadt auf dem Spiel.
Gertraud Strempfl-Ledl schließt ihren Vortrag mit den Kritikpunkten der Stadt Graz am bestehenden GAEG aus dem Jahr 2008, die sich grob in drei Forderungen zusammenfassen lassen: Mehr Ressourcen für die Landesgeschäftsstelle und die Arbeit der Mitglieder der ASVK, Klärung der Fragen zur Befangenheit der Gutachter:innen und eine bessere Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt und der Baubehörde.
Daran schließt Anselm Wagner gleich an, mit seinem Referat zur Frage „Gewährleistet der Entwurf für ein neues Stadt- und Ortsbildgesetz (SOG) weiterhin den Schutz der Grazer Altstadt?" Kernaussage des Professors für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften an der TU Graz und langjährigen ASVK-Mitglieds: Ein Gesetz ist nur so gut, wie die ausführenden Personen.
Ziel des SOG ist ein ausreichender Schutz für Altstädte und Ortsbilder in der gesamten Steiermark – unter das bisherige Ortsbildgesetz aus dem Jahr 1977 fallen nur “besondere Bauvorhaben", die auch nur von einem Sachverständigen begutachtet werden müssen. Das neue Gesetz sieht vor, dass dort, wo Schutzzonen festgelegt werden, Sachverständigenkommissionen nach dem Grazer Modell eingesetzt werden. Eine Entwicklung, die laut Wagner nicht hoch genug geschätzt werden kann. Nicht nur, weil Gremien grundsätzlich oft strenger urteilen, sondern auch, weil Gruppen dem Druck von außen besser standhalten und ihre Entscheidungen weniger fehleranfällig sind als Einzelentscheidungen.
Nach Fragen zur Finanzierung der im SOG festgeschriebenen Maßnahmen, wie einer “Gesamterhebung der Schutzgebiete” oder der steiermarkweiten Inventarisierung innerhalb von fünf Jahren, kommt Wagner zum Kern der Sache, den Auswirkungen des neuen SOG auf die Grazer Altstadt. Diese hängen für Wagner ganz von der Kompetenz der handelnden Personen ab.
Nach geltendem Gesetz müsste sich die ASVK ausgewogen aus Expert:innen gestalterischer und historischer Fachbereiche wie Geschichte, Architektur, Kunst oder Archäologie zusammensetzen. Nach dem künftigen SOG dürfen aber nur Architekt:innen mit Planungsbefugnis in die Gremien bestellt werden. Dadurch entstehe ein Ungleichgewicht, so Wagner, denn Architekt:innen neigten in Streitfragen eher zum Bauen und Historiker:innen eher zum Erhalten. Auch liefe eine Besetzung mit Architekt:innen Gefahr, so Wagner weiter, wegen ihrer oft unzureichenden historischen Ausbildung im Studium nach Geschmack und Mode und nicht nach architekturgeschichtlichen Kriterien zu urteilen.
Abschließend fasst Wagner zusammen: Für das Land Steiermark ist das SOG in der vorliegenden Fassung durchaus positiv, für die Stadt Graz nicht nur negativ, sondern ein "enormer Kompetenzverlust” gegenüber dem Status quo.
Im Anschluss an die Referate moderierte Bernhard Possert die Podiumsdiskussion. Über die vielen, oft sehr detaillierten Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum hinaus war im Saal ein klarer, wohlwollender Grundkonsens gegenüber dem Stadt- und Ortsbildschutz zu vernehmen. Einige zentrale Erkenntnisse aus dem Dialog lassen sich in den Aussagen zusammenfassen, mit denen die langjährige Vorsitzende Gertraud Strempfl-Ledl und ein aktuelles Mitglied der ASVK auf allgemeine Kritik an der Arbeit der Kommission entgegnen:
Wie so oft dreht sich alles ums Geld. Davon hängen nicht nur die Fördertöpfe für Erhaltungsmaßnahmen und Vermittlungsarbeit ab. Es braucht auch eine gerechte Bezahlung für die Erstellung der Gutachten – derzeit arbeiten sie für einen “Hungerlohn” von ca. 7 € netto pro Stunde. Zusammen mit Fortbildungsmaßnahmen würde dies die Qualität der Gutachten erhöhen, so dass sie vor Gericht besser standhalten. Hinzu kommt, dass es auf Seiten des Ortsbildschutzes zu wenige Juristen mit baurechtlicher Spezialisierung gibt. Die Hauptschwäche liege aber in der Personalausstattung, die auch in Graz derzeit nicht “ausgewogen” ist. Verstärkt werden all diese Probleme durch die schwierige bzw. fehlende Kommunikation der ASVK mit dem Land, anderen Behörden und auch der eigenen, chronisch unterbesetzten Landesgeschäftsstelle.
Kurz vor Schluss macht Anselm Wagner noch das politische Fass auf. Er beginnt mit einer Besonderheit der Schutzgesetze: Es sind Gesetze, die Besitzer:innen davon abhalten, ihren Besitz zu zerstören. Um aber wiederum den Immobilienbesitzer:innen wenig weh zu tun, sieht das Gesetz zwar nach außen hin effektiv aus, bleibt aber möglichst zahnlos. Damit stelle der Gesetzgeber, so Wagner, Klientelpolitik über das Gemeinwohl.
Mit dem Paukenschlag wird das Publikum aus dem offiziellen Teil entlassen. Viele bleiben aber noch etwas und suchen das Gespräch mit den Expert:innen und ihren Kolleg:innen. So geht ein Abend zu Ende, der nicht nur informiert hat, sondern auch zeigen konnte, dass es in der Fachwelt durchaus einen breiten Konsens über Handlungs- und Verbesserungspotenziale rund um das Steiermärkische Ortsbildgesetz gibt. Auf die Frage, wie die hier gewonnenen Erkenntnisse nach außen, an die Verantwortlichen, getragen werden können, gab es zwar noch keine konkrete Antwort. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Früchte des Abends auch dort ankommen.
UNESCO-Welterbe
Positiv zu vernehmen war, dass es eine neue Geschäftsstelle im Denkmalamt geben soll, die sich mit dem Weltkulturerbe befassen wird.
Auszug aus dem BGBl. I - Ausgegeben am 18. April 2024 - Nr. 41
22. Nach § 13 werden folgende §§ 13a und 13b jeweils samt Überschrift eingefügt:
UNESCO-Welterbe
§ 13a. (1) Der Bund hat in enger Abstimmung mit den anderen Gebietskörperschaften die
Umsetzung der UNESCO-Welterbekonvention sicherzustellen, indem er
1. die angemessene Berücksichtigung von Maßnahmen zum Schutz der österreichischen
Welterbestätten in allen relevanten Verwaltungsvorschriften und Planungsinstrumenten anstrebt
und
2. einen aktiven und strukturierten Austausch zwischen allen betroffenen Behörden, Vertreterinnen
und Vertretern der Zivilgesellschaft, Eigentümerinnen und Eigentümern und anderen
Stakeholdern verfolgt, insbesondere zu beabsichtigten Maßnahmen in den Welterbestätten und
BGBl. I - Ausgegeben am 18. April 2024 - Nr. 41 9 von 22
www.ris.bka.gv.at
deren Pufferzonen, die Auswirkungen auf den außergewöhnlichen universellen Wert der
Welterbestätten haben können.
(2) Zur Erfüllung der in Abs. 1 genannten Aufgaben hat die Bundesministerin bzw. der
Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport beim Bundesdenkmalamt eine
Geschäftsstelle einzurichten.
(3) Der Bund hat die Länder und Gemeinden zu informieren und die Länder und Gemeinden ebenso
um rechtzeitigen Informationsaustausch zu ersuchen, sobald für eine Welterbestätte relevante Umstände
zu Maßnahmen im Sinne des Abs. 1 Z 2 im jeweiligen Wirkungsbereich einer dieser
Gebietskörperschaften bekannt werden.
Finanzielle Zuschüsse
§ 13b. Der Bund kann im Rahmen der im jeweiligen Bundesfinanzgesetz vorgesehenen budgetären
Bedeckung vorsehen, dass
1. finanzielle Zuschüsse zum Welterbefonds gemäß Art. 15 der UNESCO-Welterbekonvention,
2. sonstige Hilfeleistungen zur internationalen Unterstützung von Vertragsstaaten der UNESCOWelterbekonvention wie zum Beispiel die Entsendung internationaler Expertinnen und Experten
im Rahmen von Missionen der UNESCO, oder
3. finanzielle Zuschüsse oder sonstige Beiträge für Projekte und Maßnahmen, die im
Zusammenhang mit dem Schutz, der Erhaltung, Erforschung und Vermittlung des UNESCO
Kultur- und Naturerbes der Welt in Österreich stehen,
gewährt werden.“