10/05/2024

Die ZT: Kammer der Ziviltechniker:innen und Ingenieurkonsulent:innen für Wien, NÖ und Burgenland hat kürzlich einen innovativen Weg in Sachen Marketing beschritten, ungewohnt spritzig und provokant. Sie schaltete ein Inserat in der Wochenzeitung Falter mit Titel „I wer narrisch!“ – der Inhalt des Inserats bezog sich auf den jüngst von der Stadt Wien ausgelobten Totalunternehmerwettbewerb zur Neugestaltung des Daches des Ernst Happel Stadions. Christine Müller hat beim ZT: Präsidenten Architekt Bernhard Sommer nachgefragt.

10/05/2024

Ernst-Happel-Stadion in Wien Leopoldstadt, Südansicht, ©Peter Gugerell

Architekt Bernhard Sommer, ©Werner Streitfelder

Was macht Sie an dieser Vorgehensweise denn so „narrisch“? (CM) 
Nun, wir sind der Überzeugung, dass Planen und Bauen strikt zu trennen sind und dass ein Totalunternehmerverfahren nur für ganz spezielle, eher infrastrukturelle Bauprojekte überhaupt adäquat ist – vor allem nicht, wenn es um viel Geld der öffentlichen Hand geht. (BS) 

Die EU-weite Ausschreibung startete am 8. Dezember 2023. Die gesetzliche Mindestfrist von 30 Tagen wurde um 4 Tage überschritten und endete am 11. Jänner. Doch effektiv nutzbar waren insgesamt nur 12 Werktage. Eine zu kurze Frist?
Unzumutbar. Ein Großteil davon fiel auf die Weihnachtsfeiertage. Die Verfahrenswahl hätten wir weniger emotional gesehen, hätte man eine adäquate Abgabefrist vorgesehen. Eine diffizile Situation für jede potenzielle Teilnehmer:in – die sich nach EU-Recht auch Verstärkung durch Ausführende suchen und Konsortien bilden kann. Eine fristgerechte Abgabe einer Bewerbung wurde fast unmöglich, weder ein Besuch des Stadions noch die Einholung notwendiger Informationen waren machbar. Selbst für die wenigen Großunternehmen, die nicht erst Konsortien bilden müssen, war es knapp.

In der Bewerbung sind auch Preise von Leistungen zu berücksichtigen?
Natürlich. Der Bewerber muss einen Preis abgeben und das Projekt auch um diesen Preis bauen. Der muss halten, selbst über mehrere Jahre – das ist alles andere als trivial. Sich innerhalb von zwei Wochen in das Projekt einzuarbeiten, zu verstehen, was es bedeutet in einem denkmalgeschützten Stadion, ein wandelbares Dach umzusetzen, eine komplexe, eigenartig durchmischte Ausschreibung mit funktionalen Positionen in kürzester Zeit erfassen zu können, ist unglaubwürdig. Man geht hier schludrig – und das ist höflich ausgedrückt – mit dem Geld der öffentlichen Hand um – immerhin geht es hier um 50 Millionen Euro. Man verzichtet auf Transparenz und wählt eine extrem verkürzte, für ein so komplexes Bauvorhaben unangemessene Frist – all das wirft ein sehr schlechtes Licht auf das Verfahren. 

Auch Architekt:innen können sich als Konsortium mit Fachplanern und ausführenden Unternehmen bewerben.
Die EU bietet diese unternehmerische Freiheit und erlaubt Architekt:innen oder Bauingenieur:innen, sich zur Umsetzung eines Projekts beliebig zusammenschließen. 

Peter Hacker, der amtsführende Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport sagte sinngemäß, man hätte das Totalunternehmerverfahren gewählt, um Probleme und Diskussionen, die eine Einbeziehung von Architekt:innen mit sich brächte, zu vermeiden. Eine kritische und negative Einschätzung der Architekt:innenschaft.
Nun, Herr Hacker zeigt in dieser Hinsicht eher eine ziemliche Ahnungslosigkeit darüber, wie heute gebaut wird. In der Politik ist man ja nicht unbedingt Expert:in, schon gar nicht als Bauherr:in. Es sei ihm also sein Unwissen verziehen. Allerdings wäre es gut, wenn er sich besser beraten ließe.

Die Kernproblematik liegt im Totalunternehmerverfahren und der fehlenden Trennung von Planung und Ausführung.
Das müsste jeder, der im Rechtsstaat Aufgaben übernimmt, verstehen. Umso mehr sollte sich ein wichtiger politischer Repräsentant damit auseinandersetzen und ein Gefühl dafür haben, wie Transparenz funktioniert. Das bedeutet Unvereinbarkeiten zu vermeiden und Kontrolle einzubauen, vor allem beim Bauen. Denn jedes Gebäude ist ein Prototyp, es wird stets nur einmal errichtet unter Beteiligung unterschiedlicher Personen. Der Auftraggeber liefert sich im gewählten Totalunternehmerverfahren einer einzigen Firma aus. Nur einen Ansprechpartner zu haben, klingt zwar für Vertreter der Politik erstmal verführerisch, als könne man die Verantwortung abgeben – man verzichtet dabei aber auf die Möglichkeit von Steuerung und Kontrolle. Das Resultat ist eine selbstverschuldete Unmündigkeit, die wir seit dem 18. Jahrhundert eigentlich längst abgelegt haben sollten. 

Sie haben als teilnehmendes Bieterkonsortium Einspruch erhoben.
Genau. Wir haben gemeinsam mit Kolleg:innen ein Konsortium gebildet. Wenn man als Auslober:in schon ein Totalunternehmerverfahren möchte, sollte die gesetzte Frist doch wenigstens einen normalen marktwirtschaftlichen Wettbewerb zulassen. Ebendiese inadäquat bemessene Frist haben wir als Konsortium aufgezeigt und einen gerichtlichen Nachprüfungsantrag gestellt. Dieser wurde am 14. Februar abgewiesen. Das Gericht war der Meinung, dass wir unser Interesse nicht plausibilisieren konnten, daher keine echten, ernstzunehmenden Bieter seien und somit auch keine Antragslegitimation hätten. Daher gehen wir in die nächste Instanz.

Es wurde Ihnen also verwehrt, sich zu beteiligen.
Gewissermaßen kommt das unserem Ausschluss an einer Beteiligung gleich. Dieses Verfahren beinhaltet aber rechtlich viel Fragwürdiges. Die Frist ist als Mindestfrist zwar vergaberechtskonform, allerdings für das kleinste, unkomplexeste Projekt. 

Ihr Einspruch galt der Verfahrensform?
Auch das wird hier nachgeprüft. Die Ablehnung unseres Antrags in erster Instanz bedeutet ja: „nicht mit euch Ziviltechniker:innen“. Es ist die einfachste Art unbequeme Fragen auszuschließen, indem man sagt, ihr dürft gar keine Frage stellen. Wir sind daher auf die Entscheidung gespannt.

Die Neugestaltung des Stadiondachs ist aber doch nicht nur konstruktiv interessant.
Das Dach steht unter Denkmalschutz und soll mit einer wandelbaren Membran verschließbar sein – eine herrliche gestalterische Herausforderung.

Die existente Struktur bleibt also bestehen?
Ja und diese darf auch nicht angerührt werden, auch für Statiker:innen eine phantastische Aufgabe. Wir haben so viele begabte Ingenieur:innen in Österreich, unverständlich wieso man auf diese geistige Kraft, auf deren Expertise verzichtet.

Das Totalunternehmerverfahren umfasst also keine ästhetischen Aspekte eines Ingenieurbauwerks.
Genau. Der Ausschreibung liegen lediglich schematische Vorschläge zu Grunde. Der eigentliche Knackpunkt ist die wandelbare Membran, sie ist nur funktional beschrieben. Im Sinne eines Qualitätssicherungsdenkens lässt das den Schluss zu, die Auftraggeber:in hätte großes Vertrauen in ein bestimmtes Unternehmen, das bereits als Auftragnehmer:in feststeht oder man lässt sich auf ein ziemliches Risiko ein. Denn im Detail durchspezifiziert ist das nicht. Es macht einen Unterschied, ob eine unabhängige Planung in bestimmten Leistungsphasen Planungsschritte präsentiert und die Auftraggeber:in die Möglichkeit hat, diese freizugeben oder auch nicht. Sie kann Preise von Firmen einholen und diese in der Umsetzung von der Planer:in kontrollieren lassen. In einem reinen Totalunternehmer:innenverfahren gibt es diese Möglichkeit nur einmal – zu einem Zeitpunkt, zu dem noch gar nicht klar ist, was eigentlich gebaut wird.

Neben der Verfahrensart steht auch die Transparenz in der Kritik?
Ein Generalunternehmer:innenverfahren mit vorgeschalteter unabhängiger Planung hätte zumindest ermöglicht, noch einmal nach der Planung und vor der Ausschreibung einzugreifen. 

Das Bundesdenkmalamt (BDA) ist mit dieser Verfahrensart einverstanden?
Als Berufsvertretung haben wir dem Bundesdenkmalamt schon vor geraumer Zeit erklärt, wie wichtig korrekte und offene, transparent abgewickelte Verfahren sind. Dennoch bin ich immer wieder mit Ausschreibungen für denkmalgeschützte Objekte konfrontiert, in denen die Verfahrensart „bereits mit dem BDA besprochen“ und nicht mehr verhandelbar ist. 

Wie ist das zu erklären?
Das ist wohl ein Grundunverständnis. Eigenartig aber, dass es einerseits heißt, man hätte nichts mit der Vergabeart zu tun und ist dennoch in Projekte ohne transparentes offenes Verfahren involviert. Vom BDA sollte man erwarten, möglichst die ganze Geisteskraft abholen zu wollen, die das Land oder eigentlich Europa zu bieten hat. Es sollte vertraut werden, dass die Jury in einem offenen Wettbewerb imstande ist, das beste Projekt herauszufinden – genau dieses Verständnis aber fehlt. 

Was kann die Berufsvertretung hier beitragen?
Wir bieten an, bei Wettbewerben zu kooperieren. Genau das wollten wir bei unserem Besuch im BDA bekannt machen. Uns geht es darum, den Weg zum offenen Wettbewerb zu ebnen. 

Hat die ZT: Kammer neben der Kooperationsbereitschaft Möglichkeiten, sich einzubringen?
Es gibt den bundesweit einheitlichen „Wettbewerbsstandard Architektur“ (WSA), der vor Kurzem überarbeitet wurde. Außerdem treten wir im Rahmen einer Wettbewerbsinitiative in den Dialog mit beratenden Institutionen wie der Bundeswettbewerbsbehörde oder Transparency International, wo es eigentlich auch um eine gewisse Ethik geht und der offene Wettbewerb bei der Vergabe von Bauplanungen im Mittelpunkt stehen sollte. Oder auch mit dem Rechnungshof.

Dieser kann allerdings nur im Nachhinein einschreiten.
Er weist darauf hin, wie man mit Geld besser umgehen hätte können. Das kann Bewusstsein auf verschiedenen Ebenen schärfen. Auch kann man die Kolleg:innen darin bestärken, nicht alles hinzunehmen und manchmal eine Nachprüfung zu veranlassen. Genau darin liegt aber die Schwierigkeit der Rechtspflege, denn, selbst wenn man Recht bekommt, scheitert mit einer Nachprüfung das Verfahren. Viele Kolleg:innen scheuen daher davor zurück, weil sie sich bei Auslober:innen nicht unbedingt beliebt machen. 

Wie bringt sich die Berufsvertretung bei der paritätischen Zusammensetzung von Jurien ein?
Unsere Aufgabe ist es, bestmöglich aufzuklären und zu beraten. Wir können auch eine Art Qualitätssiegel vergeben, einen bestimmten Wettbewerb zur Teilnahme empfehlen, weil er fair, die Aufgabenstellung klar und die Jury richtig, das heißt fachlich kompetent und unabhängig, zusammengesetzt ist. Dann wird man auch kooperieren. Möglicherweise entspricht eine solche Kooperation nicht immer in allen Punkten dem Ideal, wir versuchen aber möglichst nicht zu weit vom WSA abweichen. Fachpreisrichter sollten jedenfalls in der Mehrzahl sein. 

Zur Neugestaltung des Naschmarkts wurde im Vorfeld eines internationalen, offenen Planungswettbewerbs ein partizipativer Prozess gestartet; dass die Wünsche der Anrainer wenig Berücksichtigung in der Entscheidung fanden, hat große Kritik ausgelöst.
Das beruht auf einem Missverständnis. Man partizipiert nicht an der Entscheidung, ebenso wenig wie an der Verantwortung. Partizipation heißt, als Teil der Grundlagenermittlung einen Standpunkt einzubringen, der sonst vielleicht übersehen wird, insofern ist das eine wichtige Rolle. Aber die verschiedenen Gesichtspunkte sind abzuwägen – das ist letztlich die Aufgabe der Auftraggeber, gestützt auf Experten. Und eben das gehört auch klar vermittelt.

Die Problematik liegt auch in der fehlenden Kommunikation.
Es gibt eine klare Fachexpertise, wie man Partizipation erfolgreich abführt. Und die Nachschau ist mindestens ebenso wichtig wie der Prozess selbst. Dessen Ergebnis gehört präsentiert, selbst wenn sich nichts davon im Projekt wiederfindet. Partizipation kann meines Erachtens nicht ohne weiteres prospektiv sein – sie ist rückblickend. Sie erfolgt durch jene Menschen, die in dem Moment zufällig präsent sind. Man darf Partizipation nicht als Entscheidungsprozess sehen. 

Eine Frage der Transparenz.
Auch eine Frage der Gründlichkeit, des Respekts vor den Mitbürgern. 

Beteiligen Sie sich mit Ihrem Büro an Wettbewerben?
Wir haben uns mit dem Architekturbüro auf energieeffizientes Planen und Bauen spezialisiert und sind somit Teil von Generalplaner:innenteams. Alle unsere größeren Projekte sind aus offenen, transparenten Architekturwettbewerben hervorgegangen. Ohne dieses Instrument hätten wir wohl keine Aufträge. Denn – das ist der nächste Irrtum von Herrn Stadtrat Hacker – ein Generalplaner:innenwettbewerb oder Architekturwettbewerb kann heute nicht ohne Fachexpertise erfüllt werden, sonst kann man die Lösung nicht entwickeln – und eben das ist unsere Aufgabe.

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Architekt Dipl.-Ing. Bernhard Sommer ist Gründer und Leiter von EXIKON architektur & nachhaltigkeit. Er forscht und lehrt an der Abteilung Energie Design an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Sommer war von 2017 bis 2020 Gastprofessor für Architekturentwurf an der Estonian Academy of Arts und von 2014 bis 2018 sowie 2020 ehrenamtlich Geschäftsführer der zt:akademie. Seit 19. Mai 2022 ist er für eine vierjährige Funktionsperiode Präsident der ZT: Kammer der Ziviltechniker:innen und Ingenieurkonsulent:innen für Wien, NÖ und Burgenland. 

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