Guest Editors: Matthias Castorph und Julian Müller
Die zwanzigste Ausgabe von GAM begibt sich auf die Suche nach dem Alltäglichen in der Architektur. Der Titel „The Infraordinary“ bezieht sich auf den von Georges Perec eingeführten Kunstbegriff „L’infra-ordinaire“, der als Gegenteil des Extraordinären das, was wirklich geschieht, „das Banale, das Alltägliche, das Selbstverständliche, das Allgemeine, das Gewöhnliche“[1], in den Blick nimmt. Im Kontext der Architektur bezeichnet der Begriff das programmatische Vorhaben, sich eingehender mit dem Nicht-Außergewöhnlichen zu beschäftigen. Dessen Bandbreite reicht von alltäglichen Gebrauchsweisen außergewöhnlicher Architektur, bei denen sich zum Beispiel eine Bankfiliale von Günther Domenig in einen Supermarkt oder in ein orientalisches Restaurant wandelt, über alltägliche Elemente wie die barrierefreie Schwelle, die das Verhältnis von Innen und Außen neu konfiguriert, bis zu schlichtweg banalen Architekturen, die im Laufe der Geschichte eine Um- oder Aufwertung erlebt haben.
Wenn das Alltägliche sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Dinge ihren gewohnten Gang gehen, steht jede Auseinandersetzung mit dem Alltag vor der Herausforderung, wie man sich dem Gewöhnlichen nähern kann, ohne es zu intellektualisieren, zu ästhetisieren oder zu ironisieren. Jenseits einer Idealisierung des Hässlichen oder einer Emphase des Banalen geht es GAM zunächst darum, das Infraordinäre durch die Linse der Architektur zu betrachten. Der erste Grundsatz dabei ist, dass sich Architektur zumeist anders darstellt und auch anders funktioniert, als es ihre Repräsentation in Hochglanzzeitschriften oder auf den Webseiten von namhaften Architekturbüros zu suggerieren versucht. Um größtmögliche Sachlichkeit bemüht, fragt GAM 20 nach dem Ausdruck und der tieferen Bedeutung des Infraordinären auf unterschiedlichen konstruktiven und kulturellen Ebenen: Welche neuen Wahrnehmungs- und Beurteilungskriterien erfordert eine Perspektive auf das Infraordinäre in der Architektur? Wie lassen sich Nutzungsprozesse und -zyklen in eine soziale Geschichte des Bauens integrieren? Wo verläuft die entscheidende Trennlinie zwischen dem Nicht-Außergewöhnlichen und dem Beliebigen?
GAM lädt interessierte Autor*innen aus unterschiedlichen Disziplinen dazu ein, das Unspektakuläre, Nicht-Sehenswürdige, Ungeplante oder Provisorische in der Architektur zu erkunden. Abstracts (max. 500 Wörter) zum Thema „The Infraordinary“ können gemeinsam mit einer Kurzbiographie bis zum 21. Mai 2023 an gam@tugraz.at eingereicht werden. Der Einsendeschluss für finale Beiträge ist der 15. September 2023.
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[1] Perec, Georges: „Annäherungen an was?“, in: Warum gibt es keine Zigaretten beim Gemüsehändler?, Übers. Eugen Helmlé, Bremen 1991, 7–10, hier 8.