off gallery Graz
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Paolo Rosselli beschäftigt sich seit etwa 40 Jahren explorativ mit dem Verhältnis von Fotografie und Stadt. Die Fotografien, die in dieser Ausstellung gezeigt werden, dokumentieren zwei unterschiedliche Zugänge zu diesem Spannungsfeld.

Paolo Rosselli hat die Innenstadt Ost-Berlin 1983 in Schwarz-Weiss-Aufnahmen dokumentiert, deren Kompositionen deutlich Zentrales und Periferes, mehr und weniger Relevantes, Dauerhaftes und Vorübergehendes, Vordergründe und Hintergründe unterscheiden. 2006 hat er in Tokio bei Aufnahmen mit einer Digitalkamera auf eine Kontrolle der Bildgegenstände verzichtet. Farbige, nahezu Sujet-lose Bilder registrieren die visuellen Besonderheiten urbaner Situationen in dieser Megastadt.

Paolo Rosselli ist einer der bekanntesten Architektur- und Stadtfotografen Italiens. Er hat das Handwerk des Fotografierens bei Ugo Mulas erlernt, die Werke italienischer und internationaler Architekten dokumentiert und seit den 70er Jahren Städte in Asien und anderen Kontinenten aufgenommen. Er publizierte seine Arbeiten in zahlreichen Büchern. Zugleich ist er als Essayist und Kurator eine wichtige Stimme im Diskurs über Fotografie in Italien. Die off_gallery freut sich, dass er im kuratorischen Team mitarbeitet.

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Paolo Rosselli: Eine kurze Geschichte der Ausstellung The City – Die Stadt

Die Ausstellung ist auch eine Erinnerung an Erika Petrić, die die off_gallery mit uns gegründet hat. Paolo Rosseli hat in einem kurzen Text beschrieben, wie es zum Konzept der Ausstellung gekommen ist:

Vor ein paar Jahren wollte Erika Petrić ein paar meiner Arbeiten in der off_gallery ausstellen. Die Eröffnung war für Mitte Dezember 2020 geplant. Die Fotografien, die sie ausgewählt hatte, lagen zeitlich und in ihrem Stil weit zurück. Ihre Auswahl bewies genaue Wahrnehmung und eine untergründige pädagogische Absicht, die aus ihrer Frage sprach: "Wie hast du es geschafft, von den Berlin-Fotografien zu den Tokio-Bildern zu kommen?" Die hier ausgestellten Fotografien entsprechen der ursprünglichen Auswahl Erikas, die im Laufe von ein paar Stunden eine Gruppe von Bildern, die 1983 in Berlin aufgenommen wurden, und zwei Bilder aus Tokio aus dem Jahr 2006 ausgesucht hatte. Die Unterschiedlichkeit der beiden Bildtypen springt ins Auge – nicht nur, weil es sich einmal um Schwarzweiß- und einmal um Farbaufnahmen handelt, sondern auch wegen des ganz anderen Zugangs zu dem, was wir gewöhnlich als Stadt der Gegenwart und ihre Wahrnehmung bezeichnen.

Ich habe Erikas Frage so beantwortet: "Weißt du, 1983 schaute ich in den Sucher des Fotoapparats und komponierte die Fotografie, wobei ich der Idee einer Hierarchie folgte. 2006 habe ich damit begonnen, die Ebenen und die Hintergründe in einem einzigen Bild zusammenzudrängen, ohne die Komposition im Sucher zu kontrollieren. Tatsächlich schoss ich die jetzt ausgestellten Bilder in Tokio, indem ich den Fotoapparat in Magenhöhe hielt, ohne die Anordnung der Objekte zu kontrollieren – mit dem Ergebnis, dass sich alle Ebenen vermischen und überlagern. Man könnte sagen, dass das Auge für die Repräsentation programmiert und geschult wurde und dass es gerade wegen dieser betonten Haltung manchmal sehr heilsam wäre ihm diese Fähigkeit zu verweigern.

Es gibt vielleicht auch eine andere Art und Weise, um diesen Unterschied in der Wahrnehmung der Wirklichkeit zu definieren. Es geht um die Verschiedenheit zwischen Geschichte und Konzept. Die Fotografien aus Berlin gehören zur Geschichte, die aus Tokio lassen sich einen Konzept zuordnen. Zwischen Geschichte und Konzept besteht insofern eine Unvereinbarkeit, als die erste ein Fluss ist, das zweite eine Idee, ein Wort, das eine Synthese fixiert. Zugleich hat das Konzept seinen Ursprung in der Geschichte, während die Geschichte auf ein Konzept angewiesen ist, um verstanden zu werden. Auch hinsichtlich der Technik sind die Bilder, die Sie hier sehen können, in entgegengesetzter Weise angelegt: die ersten mit einem Weitwinkelobjektiv, die anderen mit einem Halbtele. Das Weitwinkel-Objektiv unterstreicht den Kontext und beschreibt ihn, das andere komprimiert ihn und hebt ihn auf.

In der allgemeinen Konfusion und Ungenauigkeit, die seit einigen Jahrzehnten in der Fotografie-Kritik herrscht, werden diese technischen Aspekte der Fotografie unterschätzt. Stattdessen ergeht man sich in Diskursen über den vorgeblichen künstlerischen Charakter des Werks. (Übersetzung: Heinz Wittenbrink)

Veranstalter
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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