02/08/2021

Das Unmögliche zu wünschen

Adina Camhy zum Projekt PLATZEN am Hauptplatz von Graz-Andritz

PLATZEN – School for Civic Action ist ein Projekt von public works (GB) mit Studio Magic (A) für NORMAL – direkter Urbanismus x 4 (transparadiso) – im Rahmen von Graz Kulturjahr 2020. NORMAL versucht den Austausch zwischen der Peripherie und dem Zentrum der Stadt zu fördern.

Das Programm von PLATZEN (12.7.-18.7.2021) umfasste neben „Wunschschilderproduktion“ und dem Bauen von „Platzaneignungsmöbeln“ auch „Briefe vom Wandernden Turm“ mit Sigrid Verhovsek und eine „Demonstration der Wünsche“ mit Jimi Lend. Das anfangs geplante intensive, einwöchige Workshopformat musste coronabedingt abgeändert werden.

bevorstehende Termine:
1.-15. September 2021: Ausstellung der Projektergebnisse NORMAL – direkter Urbanismus x 4 im Forum Stadtpark

02/08/2021

Der „Wandernde Turm“ als Basisstation mit Signalwirkung vor dem Marktkiosk

©: PLATZEN

Die Aquarellzeichnung von public works ist Teil der Recherche für PLATZEN

©: PLATZEN

Jeden Abend wird der „Wandernde Turm“ gekippt

©: PLATZEN

„Mehr Grün“

©: PLATZEN

„Blumenschutzbank“

©: PLATZEN

„Stammtisch“

©: PLATZEN

Schilder werden bunt bemalt und Holzlatten gesägt, während die Sonne prall auf den Asphalt brennt. Vor dem Marktkiosk, wo zwei Mal pro Woche ein Bauernmarkt stattfindet, sind temporäre Holzstrukturen – ein Turm und Plateaus – sowie provisorische Arbeitstische aufgebaut. Auf einer großen Flagge steht in Großbuchstaben PLATZEN.
Das Setting am Andritzer Hauptplatz erinnert zugleich an Platzbesetzung, politische Kundgebung und Werkstatt. PLATZEN – School for Civic Action wurde im Juli 2021 als fünftägige Intervention von public works (UK) und Studio Magic (AT) umgesetzt.

Der Begriff „Platz“ wird in ein prozesshaftes PLATZEN überführt, das einen Impuls geben soll zu aktiver Teilhabe am Stadtraum. Das Konzept der School for Civic Action weiterführend, die von public works in Roskilde (DK) als pädagogisches Experiment realisiert wurde, versucht PLATZEN – auf Basis von Gesprächen mit Nutzer*innen und mittels Mikrointerventionen – den Andritzer Hauptplatz um Wunschdenken und utopische Ideen zu erweitern, Aktionen anzuregen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Welche Rolle spielt der Bezirkshauptplatz im Leben der Menschen? In welchem Verhältnis steht er zum Hauptplatz der Stadt? Abseits des innerstädtischen Zentrums stellt PLATZEN Fragen nach öffentlichem Raum und seiner Nutzung, nach Gemeinschaft und Identität sowie nach Beteiligung und Mitsprache.
Der Hauptplatz des im Norden gelegenen Grazer Außenbezirks Andritz gründet auf dem dörflichen Ortskern von Unterandritz. 2002 wurde der Platz nach Plänen des Grazer Architekten Herwig Illmaier umgebaut – dafür wurde großflächig asphaltiert und große Bäume wurden gefällt. Heute ist er geprägt von seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt. Die Straßenbahn zieht an ihrer Endstation eine Schleife, in deren Mitte sich neben einigen Standln und einem Brunnen auch Haltestellen von Stadt- und Regionalbussen befinden. Die am nördlichen Rand liegenden Kaffeehäuser und Lokale sind durch die Andritzer Reichsstraße vom restlichen Platz abgeschnitten. Peter Laukhardt und Erich Cagran (Bürgerinitiative Andritz) legten 2019 ein Konzept für eine Verkehrsberuhigung und Begrünung vor. [1] Eine Umgestaltung als Begegnungszone bzw. „Grüne Meile“ wurde diskutiert, jedoch ist trotz Versprechen seitens der Politik bis jetzt nichts weiter passiert.
„Um das Mögliche zu erweitern ist es wichtig, das Unmögliche zu wünschen” thront als Schriftzug über einer Aquarellzeichnung, die als Flagge an dem hölzernen Turm weht. In der zeichnerischen Vision bleiben Autos „draußen“. Sie verdeutlicht den Rechercheprozess und zitiert die vielen Referenzen, auf die das Projekt aufbaut. So bezieht sich PLATZEN auf das pädagogische Konzept der „exploding school“ des britischen Schriftstellers und Anarchisten Colin Ward, der die Stadt als Klassenzimmer ohne Wände verstand. [2] Die Methode der kollektiven Wunschproduktion wiederum greift das in den 90er Jahren in Hamburg realisierte partizipative Kunst- und Beteiligungsprojekt „Park Fiction“ auf. [3]

Jedes der bunten Schilder, das an dem hölzernen Turm lehnt, repräsentiert einen Wunsch: „Begegnungszone“, „Schatten“ „mehr Grün“, und „Entbetonieren“ steht da ebenso geschrieben wie „Trampolin“, „Lagerfeuer“, Eislaufplatz“ oder „LED-Springbrunnen“. Während sich eine Person „mehr Platz für Hunde“ wünscht und jemand hier gerne Fahrrad fahren lernen möchte, steht auf einem anderen Schild: „kein Mobbing mehr“. Wünsche für den Platz zu formulieren sei für die Passant*innen jedoch gar nicht so einfach, so das Projektteam. Während die einen weder große, noch utopische Wünsche äußern, würden andere Personen eher generelle Probleme mitteilen wollen.
Was sagen die Wünsche aus? Sind sie wörtlich zu nehmen? Welche, vielleicht nicht artikulierten Bedürfnisse und Sehnsüchte stehen dahinter? Wie kann mit jenen spontanen Wünschen, die Menschen im Vorbeigehen kundgegeben, umgegangen werden? Ist die Äußerung von einem Wunsch bereits „Civic Action“/Stadtmachen?
Neben dem Sammeln von Wünschen nimmt PLATZEN vor Ort auch minimale Eingriffe vor. In Austausch und in Gesprächen mit den Menschen vor Ort werden Konfliktzonen oder Leerstellen aufgespürt. Ein paar Jugendliche, die auf ihren Handys zockend in einer schattigeren Ecke des Platzes am Boden sitzen, bekommen Sitzmöglichkeiten und Sonnenschirme bereitgestellt. Ein spontan installiertes „Blumenschutzbankerl“ wiederum soll verhindern, dass sich jemand in die Blumen setzt – einige Personen hätten sich dadurch gestört gefühlt. Auch eine kaputte Bank wird rasch und unbürokratisch repariert.
Nachmittags wird zu einem „Stammtisch“ geladen, bei dem vor allem Personen aus dem Feld der Bezirkspolitik und der Planung erscheinen. Im Gegensatz zu den eher bescheidenden Wünschen werden hier große und konkrete Verkehrs- und städteplanerische Änderungen diskutiert und Pläne ausgerollt. Hier stellt sich – wie bei vielen Projekten, die auf Beteiligung und Teilhabe abzielen – die Frage, wer Macht, Zeit und Wissen hat, sich zu beteiligen und zu sprechen. Welche Stimmen werden gehört und welche nicht? Während am Rand des Platzes diskutiert wird, haben Kinder den Brunnen in der Mitte zu einem Wasserspielplatz umfunktioniert.

PLATZEN setzt einen Impuls, sich mit dem Andritzer Hauptplatz auseinanderzusetzen, fungiert als Vermittler und schafft im öffentlichen Raum einen Ort des Austauschs und der Debatte. Was können wir lernen über und von dem Platz und den Menschen, die sich hier aufhalten? Wie wird der Andritzer Hauptplatz in Zukunft gestaltet werden und wer wird dabei mitreden? Das von außen kommende Projekt PLATZEN kann hier einen wertvollen Anstoß geben.

[1] Peter Laukhardt, Erich Cagran: Grüne Meile Andritz, Vorschlag 10/2019, https://www.gat.st/news/gruene-meile-andritz (13.11.2019) bzw. Artikel unten.
[2] Colin Ward, Antony Fyson: Streetwork: The Exploding School (1973)
[3] Margit Czenki, Christoph Schäfer (Park Fiction): Die Park Fiction Agenda und das Recht auf Stadt, in: Judith Laister, Margarethe Makovec, Anton Lederer (Hg.), Die Kunst des urbanen Handelns, Löcker Verlag, Wien 2014, S. 96-111.

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Neben PLATZEN – School for Civic Action wurden im Rahmen von NORMAL – direkter Urbanismus x 4 drei weitere Projekte in „peri-urbanen“ Räumen umgesetzt: In Waltendorf installierte transparadiso mit 3rd World Congress of the Missing Things ein informelles Kongresszentrum (31.7.-1.8.2021). In Liebenau bespielt orizzontale (Rom) in Kooperation mit Studio Magic mit FLUSSFLUSS – Castaway on the Mur den neu gestalteten Uferraum über das Graz Kulturjahr 2020 hinaus (Eröffnung: 11.06.2021) und in Wetzelsdorf lädt Georg Winter (Saarbrücken) in Auseinandersetzung mit landwirtschaftlichen Flächen am Stadtrand zum TanzPflanzPlan ein (16.4.-31.8.2021).

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