08/11/2024

Die Architektur zweier bedeutender Synagogen, der einen in Mainz und der anderen in Graz, reflektiert nicht nur religiöse Praxis und Geschichte, sondern auch die Herausforderungen jüdischer Gemeinschaften. Diese Synagogen stehen als markante Symbole für die Widerstandsfähigkeit und Vielfalt des jüdischen Lebens, wobei jede ihre eigene Geschichte und Bedeutung trägt.

08/11/2024

Mainzer Synagoge, Architektur: Manuel Herz, Wettbewerb 1999, Umsetzung bis 2010

©: Julia Panasyuk

Mainzer Synagoge, Architektur: Manuel Herz

©: Julia Panasyuk

Grazer Synagoge, Architektur: Ingrid und Jörg Mayer, 2000

©: Julia Panasyuk

Jeden Freitagabend an Schabbat gehen meine Mutter, mein Opa und ich gemeinsam in die Mainzer Synagoge. Drei Generationen pflegen und leben die Geschichte, Traditionen und den Glauben. Mein Opa, als Überlebender des Holocaust, meine Mutter, die den Glauben an meine Schwester und mich weitergetragen hat, und ich, die den jüdischen Glauben lebt. Auch während meines Auslandssemesters in Graz wollte ich nicht darauf verzichten, am Schabbat in die Synagoge zu gehen. Als Jüdin empfinde ich eine starke Verbundenheit zu den Synagogen, die nicht nur als religiöse Stätten dienen, sondern auch als Symbole für die Geschichte und Identität unserer Gemeinschaften stehen. 

Die Synagoge in Mainz, auch bekannt als die „Neue Synagoge", ist ein Beispiel für die Wiedergeburt des jüdischen Lebens in Deutschland nach dem Holocaust. Ihr Design, entworfen vom Kölner Architekten Manuel Herz, vereint traditionelle jüdische Symbolik mit modernen Bauelementen. Die Keramikfassade zeigt eine Farbpalette von Grüntönen bis zu glänzendem Schwarz und verbindet sich in stumpfen und spitzen Winkeln. Mit der einzigartigen und außergewöhnlichen Formensprache in der Architektur bricht Manuel Herz bewusst mit konventionellen Bauformen. Er schafft damit eine Verbindung zwischen Vergangenheit und dem Jetzt.

Mainz hat eine der ältesten und traditionsreichsten jüdischen Gemeinden Europas. Die 1912 errichtete Hauptsynagoge wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 geplündert und niedergebrannt. Fast 70 Jahre später, im Jahr 2010, wurde an gleicher Stelle eine neue Synagoge errichtet, ein sichtbares Zeichen für den Wiederaufbau und die Wiedergeburt des jüdischen Lebens in Mainz.

Die Form der Neuen Synagoge erinnert an das hebräische Segenswort Kiddusch (קְדוּשָּׁה), welches "Heiligung" oder "Erhöhung" bedeutet. Sein architektonisches Werk basiert auf den überlieferten Texten der Tora. Die Eingangstür ebenfalls beschriftet mit: „Meor Hagola - Beth Knesset Magenza“, was „Leuchte der Diaspora - Synagoge Mainz“ bedeutet. Das trichterförmige Dach des Gebetsraumes, das nach Osten (Jerusalem) gerichtet ist, symbolisiert ein Schofar. In der Mythologie repräsentiert das Schofar die Kommunikation mit Gott. „Das Gebäude ist kein Mahnmal, sondern verweist auf die schöpferische Kraft der Diaspora“, sagt Architekt Manuel Herz (Brüggemann, 2011, S. 62).


Die Synagoge steht in einem urbanen Umfeld und ist ein integraler Bestandteil des Stadtzentrums von Mainz. Umgeben von modernen Bauten und historischen Gebäuden, ist sie leicht zugänglich und liegt in unmittelbarer Nähe zu wichtigen städtischen Einrichtungen. Der Weg hinein fühlt sich durch den großen Vorplatz offen und einladend an, was den Geist der Offenheit und Integration widerspiegelt, den die Synagoge verkörpert. Doch der Schein trügt.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Realität für Jüdinnen und Juden leider drastisch verändert. Der weltweite Anstieg des Antisemitismus hat dazu geführt, dass Synagogen primäre Ziele der Gewalt und des Hasses geworden sind. Sicherheitskräfte am Eingang der Synagoge sind bedauerlicherweise zur Normalität und unvermeidlich geworden.

Jedes Mal, wenn ich mit meiner Familie die Synagoge betrete, werde ich durch die Polizisten daran erinnert, wie ernst die Lage ist. Gleichzeitig bin ich dankbar, dass für die Sicherheit der Jüdinnen und Juden gesorgt wird. Videokameras überprüfen, ob die Personen Gemeindemitglieder sind, bevor die Tür geöffnet wird. Das Paradox liegt darin, dass die Synagoge trotz aller Gefahren mein sicherer Hafen bleibt. Die familiäre Gemeinschaft in der Gemeinde bleibt unantastbar, und es fühlt sich an wie ein zweites Zuhause. 
 

Die Synagoge in Graz ist ebenfalls von Zerstörung und Wiederaufbau geprägt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, während der deutschland- und österreichweiten Pogromnacht, organisierten die Nationalsozialisten eine massenhafte Zerstörungsaktion gegen jüdische Einrichtungen. In dieser Nacht wurde die Grazer Synagoge bis auf die Grundmauern niedergebrannt. 

Der Wiederaufbau gestaltete sich aufgrund der historischen Umstände als langwieriger Prozess, der Jahre in Anspruch nahm. Letztendlich wurde die Synagoge im Jahr 2000 wieder errichtet und auf das architektonische Erbe der Originalsynagoge zurückgeführt. Der Entwurf des Architektenpaars Jörg und Ingrid Mayr interpretiert die Merkmale der alten Synagoge unter Einbeziehung moderner Elemente neu, um eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Dabei wurde ein zentraler Bau mit einem Grundriss geschaffen, der auf der alten Synagoge von 1892 basiert, jedoch in einem kleineren Maßstab.

Die Verwendung der originalen Ziegel des Vorgängerbaus für die Außenmauern und die Rekonstruktion der Türme auf den 1988 entdeckten Fundamenten der Gründerzeit-Synagoge verdeutlichen symbolisch, dass aus den "alten Mauern neues Leben erwächst" (Lamprecht, 2004, S. 257).

Im Innenraum wurde besonders auf die Platzierung der Almemor und der Heiligen Lade geachtet. Die Almemor ist das erhöhte Podest, auf dem der Tisch für das Lesen der Tora steht und von dem aus die Gebete geleitet werden. Die Heilige Lade (Aron Kodesch) ist ein Schrein, in dem die Tora-Rollen aufbewahrt werden und der heiligste Ort in der Synagoge. Diese zentrale Platzierung betont die Bedeutung der religiösen Zeremonien und der Tora im jüdischen Glauben. Die gläserne Kuppel, die sich über den gesamten Zentralraum wölbt, ist ein wesentlicher Faktor für die entstehenden Lichtstimmungen und soll an die Fragilität des Schatzes friedlichen menschlichen Zusammenlebens erinnern. Die Kuppel wird von zwölf Stützen getragen, welche die zwölf Stämme Israels symbolisieren und sich zu einem Davidstern vereinen.

Die Synagoge steht nicht im Stadtzentrum von Graz, sondern in einem ruhigeren Wohnviertel. Dies verleiht dem Ort eine gewisse Abgeschiedenheit, aber auch eine Distanz zur Hektik des Stadtlebens. Der Zugang zur Synagoge wird durch Sicherheitsmaßnahmen wie Zäune und Wachpersonal geregelt. Bei meinem Besuch an Pessach musste ich mich vorher anmelden und meinen Ausweis vorzeigen, um hineingelassen zu werden. Diese Sicherheitsvorkehrungen sind notwendig, um die Gemeinschaft zu schützen, beeinträchtigen aber das Gefühl der Freiheit beim Betreten der Synagoge. Es ist immer wieder aufs Neue ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man Sicherheitskontrollen wie am Flughafen durchlaufen muss, um seinen Glauben ausleben zu dürfen.

Die Nebenräume der Grazer Synagoge werden für verschiedene Aktivitäten genutzt. Im Untergeschoss befindet sich das Gemeindezentrum, in dem Kidduschim (Segensfeiern), Feierlichkeiten und andere Veranstaltungen der jüdischen Gemeinde stattfinden. In der Mainzer Synagoge werden die Nebenräume ebenfalls vielseitig genutzt. Neben den religiösen Aktivitäten finden dort auch kulturelle und soziale Veranstaltungen statt. Die Synagoge umfasst unter anderem einen Kindergarten, Verwaltungsbüros und Jugendräume. Diese Einrichtungen bieten der Gemeinde Platz für Bildungs- und Freizeitangebote, die das Gemeinschaftsleben stärken und unterstützen​.

 

Der Vergleich zwischen der Synagoge in Mainz und der in Graz verdeutlicht die Vielfalt und die unterschiedlichen Herausforderungen, mit denen jüdische Gemeinschaften konfrontiert sind. Während die Synagoge in Mainz eine Erneuerung des jüdischen Lebens in Deutschland symbolisiert, verkörpert die Synagoge in Graz die Kontinuität und den Widerstand gegen das Vergessen. Beide Synagogen sind nicht nur religiöse Stätte, sondern auch Zeugnisse einer lebendigen und vielfältigen jüdischen Kultur, die sich trotz aller Widrigkeiten behauptet.

Sowohl in der Grazer als auch in der Mainzer Synagoge werden beispielsweise nicht nur Gottesdienste abgehalten, sondern auch Führungen angeboten. Durch die Führungen können Besucher nicht nur die architektonische Schönheit der Synagoge bewundern, sondern auch mehr über die Kultur, Traditionen und Geschichte erfahren. Ich finde es ermutigend, dass trotz der Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, die Türen der Synagogen für alle offen stehen. Gemeinsames Lernen und Wachsen wird damit erst möglich.

Im Sommersemester 2024 schrieben Studierende des Architektur-Masters und des PR und Journalismus Masters an der FH Joanneum Graz gemeinsam für www.gat.news – betreut durch Stefanie Weinrauch und Wolfgang Kühnelt auf Seiten der FH und von Petra Kickenweitz und Claudia Gerhäusser aus der Redaktion. Die Themen reichen von Innenstadtrevitalisierung, Tourismus bis zu Boden- und Ressourcenschutz. Wir veröffentlichen ab Herbst sukzessive die Texte der Studierenden.

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