25/02/2025

Das medial vermittelte politische Bewusstsein ist aus einem Netz von Lügen gesponnen. Dabei handelt es sich weder um einen Irrtum noch um Missverständnisse, sondern um einen bewussten Betrug durch Politikschaffende an den Wählenden. Darauf angesprochen, wird stets die eigene Unschuld beteuert und auf die Lügen der Kontrahierenden verwiesen. 

25/02/2025

a parasitic being inside, 2025

©: Severin Hirsch

„Pseudos kann auf Griechisch Falschheit, List, Irrtum, Täuschung, Betrug, aber auch poetische Erfindung bedeuten, was die Missverständnisse darüber, was ein Missverständnis bedeuten kann, noch vergrößert.“ (Jacques Derrida, Geschichte der Lüge. Prolegomena. Wien 2015. S. 14.) 

Es ist ein Missverständnis, dass es sich bei der Lüge um einen Irrtum handeln kann, die Lüge ist bewusst und auf andere gerichtet, bezieht das Andere, die Anderen mit ein, zielt auf andere, das Andere. Es kann ein Irrtum sein, Lügen zu glauben oder auch nur glauben zu wollen, es kann ebenso ein Missverständnis, ein Missverstehen von Sprache sein. Diejenigen jedoch, die die Lüge aussprechen, tun dies in vollem Bewusstsein, andere auf Irrwege führen zu wollen. „Der Lügner muss wissen, was er tut und zu tun beabsichtigt, wenn er lügt. Man muss ab sofort auf diese Pluralität und Komplexität, sogar Heterogenität, bestehen. Die vorsätzlichen Handlungen richten sich an den anderen, an einen anderen oder andere, um sie, vor jeder anderen Konsequenz, durch die einfache Tatsache, sie an das glauben zu machen, von dem der Lügner weiß, dass es unwahr ist, zu täuschen, zu schädigen, zu hintergehen. Diese Dimension des Glauben-Machens, des Fürwahrhaltens, des Kredits, des Glaubens ist hier irreduzibel, obgleich sie unklar bleibt.“ (Ebda. S. 23.)

Der Kredit, den wir anderen gewähren, ist ein anderer Ausdruck für den Glauben, für ein Vertrauen in den Menschen, in die Menschen, in die Menschheit. Die Lüge ist demnach ein Verrat an der Authentizität, der Wahrhaftigkeit, der Aufrichtigkeit eines Gegenübers, am Glauben an die Menschen, der angerichtete Schaden betrifft daher nicht nur den Sachverhalt, über den gelogen wird, sondern geht weit darüber hinaus und trifft etwas viel Allgemeineres im Inneren des Menschen – seinen Glauben selbst, sein Vertrauen. Wir wollen anderen glauben, wollen darauf vertrauen, dass sie aufrichtig sind, es ernst meinen mit uns, unseren Anliegen, unseren Bedürfnissen, unseren Ängsten, vor allem aber wollen wir ihren Inhalten glauben, wenn sie uns von Lösungen, von Auswegen aus den Krisen erzählen. Wir wollen ihnen glauben, wenn sie uns die Gründe erklären, weshalb sich unsere Existenz in einer Misere befindet und welche Wege sie anbieten, damit es für uns alle besser wird. Lügen erwachsen dem Bewusstsein und sind auf Betrug, auf den Glauben, das Glauben-Wollen von anderen ausgerichtet. „Die Möglichkeit der Lüge ist mit dem Bewusstsein selbst gegeben, es ermisst sowohl deren Größe als auch deren Erbärmlichkeit. Und so wie die Freiheit nur frei ist, weil sie zwischen dem Guten und dem Bösen wählen kann, so liegt die Dialektik der Lüge ganz und gar in jenem Missbrauch der Macht, der dem erwachsenen Bewusstsein eigen ist.“ (Vladimir Jankélévitch, Von der Lüge. Hamburg 2016. S. 15.)

Die Funktionsweise (rechts)populistischer Politik ist auf einem System von Lügen aufgebaut. Inhaltlich richtet sich die Lüge gegen Außenstehende und (politisch) Andersdenkende, die für die Missstände und Ungleichheiten im System, die diese Art der Politikmache zu beseitigen gelobt, verantwortlich gemacht werden. Das heißt in anderen Worten: Diejenigen, über die gelogen wird (die „Bauernopfer“) unterscheiden sich von denjenigen, die belogen werden, wie auch der Inhalt der Lüge (die politische Tarnung) seine Präsenz in der Gegenwart entfaltet, während der Betrug (die Enttarnung der Lüge) an den Kreditgebenden, den Glauben-Wollenden in die Zukunft aufgeschoben wird, in der Hoffnung, dass die versprechenden Lügen bis dahin vergessen sind. Wir werden um unsere Zukunft betrogen, wenn wir im Jetzt den Lügen glauben. Leidtragende und Geschädigte sind zweifelsohne beide Parteien: die Belogenen und Betrogenen, die ihr Heil in der Zukunft suchen und diejenigen, über die die Lügen verbreitet werden und die Reaktionen darauf schnell zu spüren bekommen. Die Auswirkungen machen mit zeitlicher Verzögerung alle zu Betroffenen, was eigentlich – und paradoxerweise – zu einer Solidarität beider Parteien führen sollte. Würden wir die Lügen entlarven, führte das zu dem Ergebnis, dass oftmals die von der Lüge Betroffenen und die Adressaten der Lüge im selben Boot sitzen und am selben Strang ziehen. Im Glücksfall trifft es dann ab und an auch die dritte Partei, die Lügen Verbreitende. Das ist dann aber zumeist wieder schnell vergessen.

In Österreich leben Schätzungen zufolge 1,3-1,6 Millionen Menschen unter oder an der Armutsgrenze, in Deutschland sind es ca. 14 Millionen. Im Vergleich dazu wurden in Österreich über die letzten zehn Jahren etwa 400000 Asylanträge gestellt, in Deutschland waren es in diesem Zeitraum gut 2,5 Millionen. Laut Innenministerium betrugen die Bundesausgaben 2023 bei 42000 Asylsuchenden 340 Millionen Euro. Es sind Zahlenspielereien, letztendlich geht es um Menschen, aber anhand dieser Zahlen, die in Österreich und Deutschland pro Kopf ähnlich sein werden, sollte zumindest ersichtlich sein, dass mithilfe eines Einwanderungsstopps keine Budgetdefizite saniert und keine Existenznöte beseitigt werden können, zumal sich die Armutsgrenze wie auch die Alterspyramide weiter nach oben verschieben, da die Fertilitätsrate in beiden Ländern (1,4-1,5 Kinder pro Frau) weit unter der Erhaltungsrate von 2,1 liegt, was uns und unsere Wirtschaftsleistung wiederum von der Migration abhängig macht. Kein Wunder also, dass wir uns an Lügen klammern wie an einen rettenden Strohhalm angesichts solch pessimistischer Offenbarungen.

Die Zukunft ist schon allein deshalb bedrohlich, weil wir sie nicht kennen, weil sie uns fremd ist. Da brauchen wir nicht noch leere Versprechungen und ausgehöhlte Lügen von außerhalb, die uns als geplatzte Seifenblasen, als erloschene Hoffnungen ans Ende unserer Träume führen. „Die Lüge dagegen richtet sich an Niedere; keineswegs, um sich mit ihnen gemein zu machen, nicht einmal, um, wie mit einem ungehobelten Klotz, ihm in letzter Minute aus der Klemme zu helfen; sondern vielmehr, um dem Rätsel beim Ertrinken behilflich zu sein.“ (Ebda. S. 41.)

Mit den niederen Sphären der Gesellschaft will die Politik eigentlich nichts zu tun haben, es sei denn, es geht um Wahlen. Sie sind Klotze am Bein, ob gehobelt oder nicht, Fußvolk, das zurückgelassen wird, wenn es schnell gehen muss, Kanonenfutter im Kriegsfall. Nicht der Rede wert, aber immerhin der Lüge. Es wäre ja durchaus denkbar, ein Ministerium zur Armutsbekämpfung zu schaffen und mit davon betroffenen Leuten zu besetzen, um eine Ernsthaftigkeit an diesen Problematiken zu demonstrieren. Am Bildungsniveau – gemessen an heutigen Politikschaffenden – würde es bestimmt nicht scheitern. Oder man schafft eine Abteilung für Regierungseffizienz, besetzt sie mit Elon Musk, der sogleich unzählige Staatsbedienstete, darunter hunderte Angestellte der Atomsicherheitsbehörde, entlässt. Zweiteres wäre wirklich lachhaft und absurd, es sei denn, Donald J. Trump strebte eine Kernfusion mit der zweiten großen Atommacht Russland an, um Europa in die Mangel zu nehmen. Es wird bedrohlich, wenn als pseudodemokratische Despoten getarnte Lügenbarone den globalen Diskurs diktieren, egal, wie ernst sie es meinen. Trumps Schulterklopfen bei Putin, seine gemeinsamen Pläne mit Israel zur „Säuberung“ des Gaza-Streifens, würden jedenfalls nicht zu einer Milderung der angespannten Weltsituation beitragen, sondern neue und verstärkte Flüchtlingsströme nach Europa forcieren. Vielleicht ist das (s)ein Plan, Europa weiter zu schwächen und zu spalten, neuerliche Flüchtlingswellen loszutreten, um den Rechtspopulismus als Sympathiekundgebung in seine Richtung im Vormarsch zu halten, um überall ein amerikatreues Wirtschaftselitesystem zu etablieren, das blind und unbarmherzig wie ein Panzer über die niederen sozialen Schichten rollt.

In Deutschland, wo die AfD ihren Stimmenanteil verdoppeln konnte, und in Österreich, wo die Kickl-FPÖ trotz geplatzter Koalitionsverhandlungen und Kanzlerträume in Wahlumfragen weiter zulegt, obwohl sie die Streichung/Reduktion von Sozialleistungen zur Budgetsanierung ohne Wimpernzucken mitgetragen hätte. Hat wohl wieder kaum wer mitbekommen. Die Lügen kommen von den andern. Es gibt keinen Klimawandel, es gibt keine Umweltkatastrophen und -probleme, es gibt genug Geld für uns alle, sofern es keine Flüchtlinge gibt, die Politik interessiert sich für jede/n Einzelne/n, besonders aber für die sozial Schwachen, es gibt kein Gendern, weil es nur zwei Geschlechter gibt und die Frauen sich sowieso lieber im Hintergrund, sprich im Haushalt, aufhalten.

Auch wenn wir gewohnt sind, das, was auf den Tisch kommt, zu essen, lassen wir uns keine Lügen auftischen, solange wir nicht den Löffel abgeben und ins Gras beißen.

„Niemand hat je bezweifelt, daß es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers und des Staatsmannes zu gehören. Ein bemerkenswerter und beunruhigender Tatbestand.“ (Hannah Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays. München 2017. S. 44.) 

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