23/07/2024

Als Russland in der Ukraine einmarschierte, lag der Hoffnungsschimmer für ein schnelles Kriegsende in den eigenen politischen und militärischen Reihen Putins. Attentate und Militärputsche bleiben zumeist die letzte Hoffnung auf politische Umbrüche, wenn die Bevölkerung davor zu lange selbsternannten Autokraten beim Walten und Schalten zusah.

Zu Themen, die die Gesellschaft aktuell bewegen. Jeden 4. Dienstag im Monat.

23/07/2024

king kong

©: Severin Hirsch

„To be rich today is merely to own the largest number of meaningless objects – to possess the greatest amount of poverty.”

(Donald Trump, zitiert in: CrimethInc, Days of War, Nights of Love. Crimethink for Beginners. Atalanta 2001. S. 69.)

 

Wer wird wohl zum nächsten Präsidenten/zur nächsten Präsidentin der USA bei den am 5. November stattfindenden Präsidentschaftswahlen gewählt werden? Joe Biden ja wohl eher nicht mehr, hat er doch aufgrund seiner altersbedingten und viel kritisierten geistigen und körperlichen Verfassung bereits für Kamala Harris, bisherige Vize-Präsidentin mit jamaikanisch-indischen Wurzeln, den Platz im Rampenlicht geräumt. Und dann wäre da noch ein gewisser Donald Trump, seines Zeichens Ex-Präsident, Milliardär, Zampano, Betrüger, Widerständler (gegen die Staatsgewalt) und nicht zuletzt Rädelsführer beim Sturm aufs Kapitol in Washington 2021. Obwohl er nur vier Jahre jünger als Biden ist und sein Leben lang durch dubiose Machenschaften hart an der Grenze zur Kriminalität und große Sprücheklopfereien aufgefallen ist, zweifelt bei ihm kaum einer an seiner geistigen Verfassung – oder aber seit jeher. Um seine physische Konstitution dürfte es jedenfalls nicht zum Schlechtesten stehen, Trump ist ein Stehaufmännchen, weder Insolvenzen noch Anklagen noch Kugelsalven können ihn in die Knie zwingen, sein Geltungszwang und Machtdrang helfen ihm immer wieder zurück auf die Beine, zurück auf die Bühne. Seit dem 13. Juli 2024, dem Tag des Attentats auf Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania, ist Trump zudem auch Märtyrer und Wiederauferstandener. Widerstand ist zwecklos, ebenso wie dem großen Blender zu widerstehen. Selbst seinen größten Kritiker:innen wird seine Willenskraft und sein Kampfgeist – eine erhobene Faust direkt nach dem ohrenbetäubenden Attentat und der Aufruf zum Kampf – imponieren. Trump gibt der Welt ein Zeichen, setzt ein Zeichen und sich selbst ein Denkmal. Die Erlösung ist nahe.

Ich verlasse meinen Platz im Schatten der Vergangenheit, um mich dem Licht der Sonne zu stellen. Ich gehe für euch und bleibe für mich. Ich trage nun diesen Geist zu Grabe, als Sinnbild der Zeit, als Zeichen der Hoffnung, um wieder Raum für neues Leben entstehen, auferstehen zu lassen. Gewaschen mit den Wassern, die die Mühlen der Zeit in Gange setzen, gerädert am Rad der Zeit, tritt er nun ein in die Ewigkeit, ein Schatten seiner eigenen Vergangenheit, zu stark zum Leben, zu schwach zum Sterben. 

Ein Befreiungsschlag gegen ein Selbstzerstörungskommando, das nach unendlichen Wortgefechten mit maschinengewehrartigen Wortsalven unter unzähligen leeren Worthülsen begraben liegt.

Exakt eine Woche später, dafür 80 Jahre früher, fand das bedeutendste Attentat des militärischen Widerstands auf Adolf Hitler statt. Die „Operation Walküre“, so der Deckname des Umsturzversuchs unter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, scheiterte (mehrmals), Hitler überlebte die Explosion am 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier Wolfsschanze mit leichten Verletzungen und von Stauffenberg und weitere Mitverschwörer wurden noch in derselben Nacht exekutiert. Über 200 Mittäter:innen und Mitwisser:innen wurden in weiterer Folge nach dem Attentat durch Hitlers Gefolgschaft getötet oder in den Tod getrieben. Der Militärputsch war gescheitert, das Wissen, nichts unversucht gelassen zu haben, erleichterte das Gewissen und den Tod. Anlässlich des 80. Jahrestags des Attentats wurde im Berliner Bendlerblock, heutiger Sitz des Verteidigungsministeriums und damaliger Ort der Hinrichtung von Stauffenbergs und seiner Mitverschwörer, im Rahmen einer Gedenkfeier unter Teilnahme des Bundespräsidenten Steinmeier, des Bundeskanzlers Scholz sowie weiterer politischer Prominenz des aufopfernden Widerstands gegen das damalige NS-Regime und des scheinbar aussichtslosen Kampfes zur Erhaltung und zum Schutz der heutigen Demokratie gedacht. Die deutsche Politik setzt ein Zeichen gegen die wachsenden demokratischen Ressentiments und den massiven Rechtsruck. Der Druck erhöht sich, die Unterdrückung wird keine Abhilfe schaffen und nicht lange auf sich warten lassen.

Der unbewusste Moment der Gegenwart wird in der ordnenden Versprachlichung seiner selbst bewusst entzeitlicht, wie ein toter Soldat bezieht er artig seinen Platz in der Reihe seiner Ahnen und Kumpanen, um neuen Raum für neues Leben zu schaffen, neue Flüsse und Nebenflüsse. Das Denken begleitet uns wie unser Schatten, ist unser Schatten, die Schattenseite des Lebens, indem es die Eindrücke ordnet, kategorisiert, strukturiert, systematisiert, enträumlicht und entzeitlicht, Konkretes zu Abstraktem macht. Durch diesen Prozess faltet und entfaltet sich Raum und Zeit, gewinnen Bezeichnungen Bedeutung, wird das Leben zum Tode verurteilt.

Am 14. Juli 1789 fand der Sturm auf die Bastille statt, der französische Nationalfeiertag gilt als die Geburtsstunde der Französischen Revolution und als Gründungsereignis des „modernen“ Europas. Das Ideal der Demokratie und Freiheit erblickt das Licht der Welt, einer konkreten Außenwelt, das Volk erkennt seine Macht und Masse, wird zur Massenwaffe gegen selbsternannte Sonnenkönige. Ein langwieriger und blutiger Kampf für die Demokratie breitet sich langsam über Europa aus und bringt die Idee des Einen, Absoluten zugunsten der Vorstellung der Vielheit ins Wanken. „Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? […] Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. Göttingen 2023. S. 119.) 

Doch Gott, die Idee des Einen, Absoluten ist nicht so einfach totzukriegen, der Keim treibt immer wieder aus, treibt sein Unwesen, das Unveränderliche und Ewige, das statische Zentrum eines bewegten Universums ist der Ankerpunkt, wenn es uns fortzureißen droht. Wir bewegen uns auf bebenden Ebenen zwischen Sein und Werden, zwischen Bleibendem und der Veränderung. Der Grat, auf dem wir gehen, ist schmal. Ebenso schmal ist der Grat zwischen Schutz und Unterdrückung der Bevölkerung, zwischen Demokratie und Diktatur. Es ist unsere Verpflichtung unserer eigenen Geschichte gegenüber, einen Weg auf dem Grat zwischen Licht und Finsternis zu finden und ihn anderen zu zeigen, zu zeigen, dass wir aus der Geschichte lernen, uns zu informieren, zu formieren, den uninformierten Uniformierten zu widersprechen, Widerstand zu leisten, (Einigkeit) zu demonstrieren, zu protestieren, Zeichen zu geben, menschlich zu sein, Zeichen zu setzen gegen Unmenschlichkeit und rechtzeitig und gewaltfrei für unsere Freiheit zu kämpfen. Es ist schon spät. Es wird schon eng.

Ein lückenloses Aneinanderreihen von Gedächtnislücken offenbart mir eine bruchstückhafte Welt. In Bruchstücken lässt sie sich leichter ertragen. Poröse Textur. Von Außenperspektiven durchlöcherte Erinnerungen. Wir müssen vergessen lernen. Frag‘ nach bei Nietzsche. Erinnerungslöcher als Voraussetzung für Osmose, für einen Austausch, für die Entstehung von Neuem. Das Draußen dringt gewaltsam in ein Drinnen, durchdringt mein Inneres und ringt in mir um die Weltherrschaft. Das Licht bricht mich. Ich bin gebrochen, Sprache bricht auf, bricht mich auf, bricht in mir auf, quillt mir aus allen Poren, verfugt mir die Atemwege. Ich ersticke, erbreche Wortfetzen, lückenhafte Erinnerungen, verfüge nicht über die richtigen Worte, um mir Luft zu verschaffen. Wortgewandtes Elend. Zu Wort gewandeltes Leben. Wortgewalt.

Plötzlich will das Leben zu Wort kommen, sich Luft verschaffen, atmen. Unterdrücktes Leben. Durch die Wortgewalt unterdrückt, droht es in einer Sinnflut unterzugehen, zu ersticken. Es röchelt, spuckt Blut. Das bin ich. Ich muss das Leben wiederbeleben. Mein Leben. Reanimieren, wieder Geist einhauchen, vom Weltgeist zum Lebensgeist gelangen. Wir bewegen uns auf bebenden Ebenen, sind die Verwebenden zwischen Toten und Lebenden. Lebendig begraben vernehme ich den Schall der Totenglocken. Alles nur Schall und Rauch. Doch nein, halt ein! Der Schein trügt nicht, fügt sich nahtlos ans Tageslicht, sticht mich, kitzelt mich, weckt mich, steckt mich an. Ich will noch nicht aufgeben, klein beigeben, mein Leben vergeben. Ich will leben. Mein Leben leben. Für mich mit Euch.

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