BIG und die Universitäten errichten nach Planung des Wiener Architekturbüros fasch&fuchs.architekten nun einen Zentralbau mit sechs Ober- und zwei Untergeschoßen für bis zu 1700 Studierende und 600 Mitarbeiter:innen. Untergebracht werden neben anderen fünf Hörsäle, der größte für 600 Personen. 10.000 Quadratmeter sind für Labors und Werkstätten vorgesehen. Die Bauarbeiten sollen bis 2028 abgeschlossen sein und nach Einrichtungsphase wird der Komplex 2030 an die Universitäten übergeben.
Klaus Grill ist aber auch Fotokünstler, der schon seit der Zeit seines Studiums „die gebaute Landschaft“ mit seiner Kamera „aus persönlichem Blickwinkel“ (Selbstbeschreibung) festhält. Seit Beginn des Rückbaus des Komplexes der Vorklinischen Institute – Anatomie, med. Chemie, med. Biochemie, med. Physik, Physiologie, Histologie und Embryologie, Biologie und Humangenetik waren hier untergebracht – fotografierte Klaus Grill ab 2020 in hunderten Details, mit Innen- und Außenaufnahmen den Fortgang der Bauarbeiten. Er schuf damit die Anatomie eines Gebäudes, das bis zur völligen Auflösung quasi seziert wurde. Auszüge aus diesem Prozess und aus allen Bereichen des nicht mehr existierenden Hauses sind nun in einer Ausstellung im Hauptgebäude der Universität Graz zu sehen.
Im Katalog zur Ausstellung ist auch von der Baugeschichte der „Vorklinik“ und ihres Vorgängerbaues zu lesen – in Verbindung mit Grills Fotografien Dokument einer Grazer Geschichte zur Architektur. So wurde etwa der Trakt mit den Hörsälen A, B und C, gemeinhin als Teil der Vorklinik begriffen, schon ab 1963 nach Entwurf von Viktor Badl an das damals noch bestehende und überhaupt erste Gebäude auf dem Unicampus angefügt. Dieses Institutsgebäude für Anatomie und Physiologie war nach Plänen von Johann Schöbl und Wilhelm Bücher 1870 bis 1872 auf dem Areal des Lenk’schen Gartens errichtet worden. Es folgten die beiden Gebäude für das Physikalische (erbaut 1872-75) und das Chemische Institut (erbaut 1874-78), während das Hauptgebäude der Universität erst zwischen 1891 und 1895 gebaut werden sollte.
Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg waren Pläne für einen Hörsaal-Zubau und neue Institutsräume am Schöbl-Bücher-Bau erarbeitet worden, die aber des Krieges wegen nicht zur Ausführung kamen. Zudem wurde das Gebäude durch Beschuss schwer beschädigt. Aus ökonomischen Gründen konnten in der Nachkriegszeit nur notwendigste Sanierungen vorgenommen werden. Vor allem wegen der zunehmenden Zahl von Studierenden in den 1960er Jahren und der Erkenntnis seitens Landes- und Bundesbaudirektionen, dass eine Sanierung des Altbaus funktionell und finanziell nicht vertretbar sei, wurde das Gebäude 1969 abgebrochen. Der Neubau der Architekten Felix Erich Hoefer und Emo Meister wurde dann 1977 in Betrieb genommen. Knapp 50 Jahre bestand damit das zehnstöckige Scheibenhochhaus mit horizontal umlaufenden Balkongängen auf rechteckigem Grundriss mit zwei Untergeschoßen.
Die Fotos von Klaus Grill geben Einblicke in die jetzt nicht mehr existierende Anatomie der Gebäude der Anatomischen Institute. Zunächst sind es Bilder eines verlassen anmutenden Orts, an dem, in einer Übergangszeit bis zum Start der Bauarbeiten, offenbar betriebsfremde Personen Graffiti angebracht haben. Markante Bereiche wie der große Hörsaal I wurden mehrmals in zeitlichen Abständen aufgenommen. Erst ist es der noch intakte Raum mit blauen Kunststoffsitzen, die auf folgenden Bildern bereits abgenommen sind. Die tragende Struktur der stufenförmigen Sitzreihen erscheint wie skelettiert und Öffnungen für die Saallüftung kommen zum Vorschein, bis schließlich auch die Träger der Deckenkonstruktion demontiert sind. Wie nach einer Vorlesung oder Übung gerade verlassen erscheint die Situation, wenn auf dem Katheder neben Kreidestücken auch noch ein Skriptum zu Sezierkurs I, Gelenke liegt. Entsprechend der Datierung des Fotos müsste diese Konstellation schon gut drei Jahre lang bestanden haben. Ganz im Sinn der „Zustandsdrucke“, die bei druckgrafischen Verfahren von einer weiter zu bearbeitenden Matrize genommen werden – und damit jeweils nicht reproduzierbares Unikat sind –, könnten Grills Aufnahmen als Zustandsfotografien der Details eines nicht mehr existierenden Komplexes begriffen werden. Zu sehen zunächst etwa einer der intakten Seziertische, später dann allein dessen Unterbau. Unwiederbringlich, fanden die Tische Abnehmer aus dem Bereich der Metallwiederverwertung. Laborräume in den Obergeschoßen waren zur elektromagnetischen Abschirmung der hier verwendeten Instrumente mit Kupferplatten verkleidet. Nach deren Abnahme verblieb kurzzeitig die Struktur von Klebeschichten, die auf der Fotografie anmuten wie gestische Malerei. Nach Demontage der Verkleidung von Heizungsrohren im zweiten Untergeschoß kamen deren Markierungen als Zu- und Ableitungen zum Vorschein wie auch Graffiti, die während des Baus der Vorklinik wahrscheinlich noch in den 1970er Jahren von Arbeitern auf den Verputz einer Ziegelwand aufgetragen worden waren. Die Wand im Foyer war danach mit Holzvertäfelung versehen. Angesichts der abgebrochenen roten Sitzreihen im (Badl-)Hörsaaltrakt ABC, einer Anhäufung zerbrochenen Materials, mögen mit Kunst befasste Betrachter:innen an Akkumulationen erinnert sein. Über den gleichwohl dokumentarischen Charakter hinausreichend, erscheinen jedenfalls zwei weitere Bilder wie Kunstwerke. Der Blick auf die Herz-Jesu-Kirche ist durch eine Probebohrung an der Außenwand aufgenommen, mittels der man den materiellen Wandaufbau untersuchte. Im Hochformat dagegen ein durch Spiegelung in einer Wasserlache wie zweigeteiltes Bild an einem Durchbruch in Richtung der Attemsgasse.
Und schließlich bewahrt Klaus Grill ein vormals im Foyer befindliches Kunstwerk als Fotografie. Ein etwa 4 x 3 Meter großes Relief, in vertikal aufgebrachtem Betonguss, stellt den gesamten Komplex um die Vorklinik aus der Vogelperspektive dar. Vermutet wird, dass die Plastik von den Architekten Hoefer und Meister noch zum Abschluss des Baus angebracht wurde, damit wohl spätestens 1977. Der ab 2001 erfolgte Zubau der Zahnmedizin ist darauf nicht abgebildet. Das Relief wurde zwar abgenommen und ein 3D-Scan wurde erstellt. Allein, die Überlegung, den Betonguss am neuen Center of Physics anzubringen, wurde aufgrund des Gewichts von mehreren Tonnen verworfen. Die abstrahierte Aufsicht auf den Komplex bleibt somit in Klaus Grills Aufnahmen eines Gebäudes bestehen, das nun Geschichte ist.