08/07/2011
08/07/2011

Ana Husman: „Lunch”, 2008, Videostill, Kunstverein Medienturm

Aktuelle Ausstellungen in den Grazer Galerien Medienturm und handeln von Kontrolle und Konditionierung in der Gesellschaft

In einem Video nimmt Ana Husman (HR) die nicht mehr ganz zeitgemäße Form der Ratgeber für Benimmregeln auf. Mit stocksteif agierenden Darstellern, trockenen Schnitten und einer an die frühen 70er Jahre angelehnten Ausstattung will offenbar demonstriert sein, wie ein Essen mit Gästen im kleinen Kreis zelebriert werden soll. Wann etwa richtet man sich in welcher Form an die Gastgeberin und welche sind deren Aufgaben? Wie benimmt man sich anlässlich einer Einladung zum „Lunch“, so der Titel des Videos, wenn man einer bestimmten Gesellschaftsschicht angehört?
Kuratorin Sabine Winkler hat für die Ausstellung „Schon wieder und nochmal? – Handlungsspielräume“ 14 künstlerische Arbeiten für den Kunstverein Medienturm ausgesucht, die im Prinzip alle von mehr oder weniger subtiler Konditionierung des Individuums in verschiedenen Gesellschaften, Gesellschafts-Räumen und -Situationen handeln. Winkler assoziiert dabei Peter Sloterdijks umfassende Geistesgeschichte zur „anthropotechnischen Wende“ – (Du mußt dein Leben ändern“, Frankfurt a. M. 2009) – nach der sich der Mensch „als Übender“ immer wieder selbst erschafft. Unter welchen Bedingungen dies geschieht und wer nun die Trainer sind, die uns offensichtlich oder unterschwellig zum Üben zwingen, um letzten Endes Menschen in ihrem Sinn heranzubilden, könnte man als die vorrangige Problemstellung für diese Ausstellung bezeichnen.
Die alltäglichen Zynismen der Leistungsgesellschaft werden hier einmal mehr – und deutlich – vor Augen geführt, wenn sie von Künstlerinnen und Künstlern in Form von Paraphrasen im nicht alltäglichen Raum einer Galerie auftreten: Carey Young (US/UK) beispielsweise wird in ihrem Video von einem Personal-Trainer gecoacht. Im kahlen Raum eines Bürogebäudes üben die beiden „presentation-skills“. Nicht sehr erfolgreich fordert der Trainer die Künstlerin immer wieder auf, den hier äußerst paradox anmutenden Satz „I am a revolutionary“ zu sagen, um so ein imaginäres Publikum bzw. Kunden von sich zu überzeugen.
Einer Premiere gleich kommt die thematische Zusammenarbeit zwischen Medienturm und . Vom Wissen um und vom Verlassen persönlicher Routinen könnte eine Kurzfassung zur Ausstellung „Der tägliche Aufstand“ sein. Was sich im Lauf der Zeit auf seinen Arbeitstischen angesammelt hat, zeigt hier Martin Willmann in Fotografien, die seit 2003 entstehen. Diese „Chaosbilder“ scheinen auf den ersten Blick inszeniert zu sein, die Universen der Dinge auf Tischplatten ergeben sich aber laut Willmann gewissermaßen als Nebenprodukt der Arbeitsprozesse an anderem. Es sind jeweils Zustandsbilder, deren Motive sich längst verändert haben respektive in neuer Ordnung verschwunden sind. Seit Jahren dagegen, und täglich, legt der Grazer Ingo Abeska (derzeit auch mit Arbeiten in der Ausstellung „Rückbau West“, Efendi, Münzgrabenstraße, vertreten) ein schier endloses Konvolut von Zeichnungen in Schulheften an. Erster Schritt jeweils ist das Durchpausen der Konturen von Fotos in Tageszeitungen. Diese werden kombiniert, zum Teil collagiert mit weiteren und in jeweils eigenen erzählerischen – und jetzt fiktiven – Zusammenhang gebracht. Unter den sieben im präsentierten KünstlerInnen fällt das Video „Ciao Ghatoul“ von Michael Blum auf, der eine ihn nervende, streunende Katze im Jahr 2007 aus Tel Aviv an die West Bank verbrachte und dort aussetzte. Eine politisch äußerst unkorrekte Aktion, die in übertragenem Sinn allerdings zum Bild für gesellschaftlich politische Umstände wird.

„Schon wieder und nochmal? – Handlungsspielräume“ im Kunstverein Medienturm, Josefigasse 1, und „Der tägliche Aufstand“ bei , Volksgartenstraße 6a in Graz. Beide Ausstellungen sind bis zum 3. September zu sehen.

Achtung Sommerpause : 18.07.–14.08.2011

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
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