04/11/2025

Seit Jahren sorgen die umstrittenen Pläne für eine neue Markthalle am Ende des Wiener Naschmarkts für Diskussionen und Schlagzeilen – so auch jetzt wieder, da ihre Fertigstellung kurz bevorsteht. Die Tageszeitung Kurier etwa widmete dem Bauvorhaben kürzlich eine ganze Seite. Zu Wort kommen Vertreter*innen der Stadt Wien, ebenso Gegner*innern des Projekts – sowie jene, die dort künftig ihre Marktstände betreiben werden. Sogar Teile des geplanten Warenangebots werden vorgestellt. So soll es dort bald „Biofleisch aus dem Waldviertel, Fisch oder kultivierte Speisepilze aus dem 22. Bezirk“ geben.

04/11/2025

Erfahrene Zeitungsleser*innen wissen, wo zu suchen ist: Die Namen der Planer*innen finden sich mit etwas Glück in der Regel in den Copyright-Hinweisen unter den abgedruckten Bildern
Collage: Gerhard Flora, Harald Trapp

Im Kern aber versammelt der Artikel – begleitet von Schaubildern und Baustellenaufnahmen – eine Fülle polemischer Kommentare zum architektonischen Entwurf der Markthalle: Für die einen ist sie ein „massives Beton-Stahl-Glas-Monster“, für die anderen eine „überdimensionierte Tankstelle“. Einig ist man sich, dass sie „das Jugendstil-Ensemble Otto Wagners“ verschandle.

Eine besondere Leistung des Berichts – und bezeichnend für ein medial auf Anekdoten verkürztes Verständnis von Baukultur – liegt jedoch wie so oft in der Kunst, eine ganze Seite lang über Architektur zu schreiben, ohne dabei die Architekt*innen zu nennen, geschweige denn diese zu Wort kommen zu lassen. Auch bei wiederholtem Lesen sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf das mit der Planung beauftragte Architekturbüro. Stattdessen werden auf politischer Ebene gleich zwei Verantwortliche namentlich genannt: Stadträtin Uli Sima (SPÖ) und Vizebürgermeisterin sowie Märktestadträtin Bettina Emmerling (NEOS).

Nun fragt man sich, ob es in einer öffentlichen Debatte über Baukultur denn wirklich keine Rolle spielt, dass unsere gebaute Umwelt nicht bloß das Produkt von Investor*innen oder Politiker*innen ist, sondern ebenso das Werk von Architekt*innen, die sie entwerfen und planen. Dass die Entscheidungsträger*innen auf politischer Ebene in die Verantwortung zu nehmen sind, ist selbsterklärend. Befremdlich wird es aber spätestens dann, wenn zugleich der Eindruck entsteht, zwei Wiener Stadträtinnen hätten dafür gesorgt, dass „pilzförmige Gebilde am Dach offenbar Lüftungsrohre verdecken sollen“.[1]

Hätten sie mit ihrer politischen Expertise nachdrücklicher in die Arbeit der Architekt*innen eingreifen müssen, hätten sie die Entwerfer*innen über Adolf Loos` Unterscheidung zwischen „Form und Förmchen“ belehren sollen, um an der Schnittstelle zwischen Architektur und Haustechnik holprigen Manierismen vorzubeugen? Zu welch halbinformierter Diskussion wollen derartige Berichte anregen? So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, und so fordern aufgebrachte Kommentatoren im Online-Forum sogleich die Umbenennung der „Tankstelle in Uli-Sima-Halle“, oder attestieren der „Gemeinde Wien“ eine grundsätzliche Tendenz zur architektonischen „Grauslichkeit“.

Unabhängig davon, ob der Entwurf und seine städtebauliche Setzung gelungen sind, ist das konsequente Übergehen der Vertreter*innen einer ganzen Disziplin in den Medien symptomatisch. Diese Gleichgültigkeit hat in der österreichischen Presselandschaft beinahe System. Abenteuerlich auch der Fall des Wiener Foto-Arsenals. Von dessen Eröffnung berichteten der ORF sowie sämtliche große Tageszeitungen – beispielsweise Presse, Kurier, Krone, Standard – ausführlich. Auch hier erfährt man aus keinem einzigen Medium wer den Entwurf verfasst und den Bau geplant hat. Dafür erfährt man, dass „jeder Scheinwerfer […] auf ein halbes Lux gedimmt werden kann“, dass die Räumlichkeiten „voll klimatisiert sind und über eine Fußbodenheizung verfügen“, oder dass „210.680 Ziegel neu verbaut wurden.“

Dem Mangel an Interesse für Architekt*innen und Baukultur jenseits von Schäden und Kosten steht ein Verantwortungsdruck gegenüber, der einmal mehr ausweist, dass Architektur keinesfalls den schönen Künsten zuzurechnen ist. Denn die Verjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen aufgrund von Baumängeln beträgt in Österreich teilweise bis zu 30 Jahre, was bei komplexen Bauaufgaben fast zwangsläufig zu Rechtsstreitigkeiten führt. Insbesondere beim nun so vehement geforderten Um- oder Weiterbau, wo sich ursprüngliche oder über die Jahre entstandene Schäden der Originalsubstanz vor Baubeginn oft nur sehr schwer entdecken lassen. Das zeigt das Beispiel eines anderen Wiener Architekturbüros, das vor Jahren bei der Restaurierung des Stadthallenbades fast um seine Existenz gebracht worden wäre. Ein bereits einsturzgefährdeter Lüftungsturm und andere Bestandsmängel, aber vor allem der Bruch des Hubbodens während des Umbaus 2011 führten zu einem Rechtsstreit mit dem Auftraggeber, der Stadt Wien, in dem diese schließlich Forderungen von 13,3 Millionen Euro erhob. Selbst der Stadtrechnungshof (damals Kontrollamt) wies in seinem Prüfbericht auf „‘grundsätzliche Fehler’ bei der Projektvorbereitung (Verzicht auf eingehende Zustandserfassung und -beurteilung) und beim Projektmanagement (unklar definierter Sanierungsumfang)“ hin.[2] Nach jahrelangen Auseinandersetzungen, die für den Architekten –  diesmal natürlich namentlich immer in der Presse benannt –  wirtschaftlich und persönlich zu einem Überlebenskampf wurden, einigte man sich schließlich außergerichtlich.

Ein kultureller Begriff von Planung und Entwurf scheint selbst in den Feuilletons wenig ausgeprägt. Ausstellungsarchitekt*innen etwa sind es gewohnt in den Besprechungen der Kunst- und Kulturkritik nicht erwähnt zu werden. So wusste der Ressortleiter der Kulturredaktion des Standard anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Touch Nature“ im Linzer Lentos zwar zu berichten, dass die Ausstellungsarchitektur „dem organischen Grundthema“ folge und „einfach und stimmig“ sei, doch auch ihm schien es nicht der Rede wert, wer sie sich ausgedacht hatte. Architekt*innen wissen freilich, wo zu suchen ist und werden schließlich im Copyright einer Ausstellungsfotografie fündig, welche die drei jungen Gestalter dem Standard zur Verfügung gestellt haben.   

Vielleicht zeigt sich darin der Preis jener Autonomie, die eine ganze Generation von Architekt*innen einst für ihre Disziplin eingefordert hat. Abseits der überschaubaren und zumeist zurückhaltenden Architekturrubriken in den hinteren Feuilletonspalten, spricht man auf den Titelseiten lieber von den vermeintlichen Bausünden der Behörden und Magistrate – oder, noch lieber, von zwielichtigen Investoren und Selfmade-Milliardären, die scheinbar höchstpersönlich Entwürfe für Hochhäuser am Heumarkt, Einkaufszentren auf der Mariahilfer Straße oder Groß-Wohnbauten in der Seestadt anfertigen.

Selbstverständlich fallen wesentliche Entscheidungen auf politischer, finanzieller und stadtplanerischer Ebene lange bevor beauftragte Architekturbüros überhaupt den ersten Strich gezeichnet haben. Aber selbst dann: „Wer bestimmt, wie unsere Städte und Häuser aussehen? Sind das noch die Architekt*innen und Stadtplaner*innen oder haben längst Paragraphen das Ruder übernommen?“ So fragte vor einigen Jahren die Ausstellung „Form folgt Paragraph“ im Wiener AZW. Sind Architekturschaffende in der heutigen Zeit also tatsächlich vernachlässigbare technische Zeichner*innen? Konsequent erscheint es unter diesem Gesichtspunkt jedenfalls, dass auch das AZW in seinem Rückblick auf die Ausstellung die Gestalter*innen unerwähnt lässt.[3] Selbst die Suche in den Bildunterschriften bleibt in diesem Fall ergebnislos. Die Namen werden daher – ebenso wie jene der weiteren erwähnten Architekturbüros – im Abbildungstext zu diesem Artikel nachgereicht.


 


[1]Verena Richter – Termin steht: Wiener Naschmarkthalle wird eröffnet, in Kurier: 16.10.2025

[2]Bernd Vasari – Einigung im Streit um Stadthallenbad, in Wiener Zeitung: 25.08.2016

Gast

Seit Jahren ist es mir als "Architekturvermittlerin"ein Anliegen, die Architekten und Architektinnen als kreative Köpfe, ohne die ein gutes Bauwerk/Baukultur gar nicht existieren würde, ins richtige Licht zu rücken. Deshalb muss ich mindestens 2x pro Jahr an die BIG schreiben und melde mich regelmäßig bei Zeitungen, wenn diese zwar jede/n Hausmeister und Politiker:In nennen, der oder die etwas beigetragen haben zu einem neuen Gebäude (uns sei's nur das Durchschneiden der Bänder), aber die Architekten nicht nennen. Das geht seit 30 Jahren so. Nun wieder bei einem wirklich langen und ausführlichen Report über das ägyptische Archäologische Museum anlässlich seiner feierlichen Eröffnung auf ORF III, dem Kultursender! - 9:43 Minuten ! ohne Nennung der Architekten, dafür mit Interview mit unserer Außenministerin. Ich frage mich, ob dagegen nicht eine eine der Architektur-Institutionen wie Kammer, Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs, die Architekturstiftung oder die ig-Architektur auftreten könnte, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, gegen diese Kulturlosigkeit zu protestieren und , ganz allgemein, sich mehr für die Stellung, den Rang und den Ruf von Architekt:innen zu engagieren. In keiner dieser Genannten sehe ich kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit. Als schlecht bezahlte Fachjournalistin und Vermittlerin habe ich mir den Mund fusselig geredet, gute Berichte/Kritiken über neue Architektur geschrieben (in Selbstausbeutung), Open House in Wien iniziiert, Projekte in Schulen gemacht ect. aber jetzt ist Schluss. Ich mag einfach nicht mehr Unbedanktes machen. Wer protestiert bei ORF III (Sendung am 6.11.) oder bei den BeitragsmacherInnen Mattis Kattnig und Melanie Dzambazov?

Fr. 07/11/2025 15:58 Permalink
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