06/01/2011
06/01/2011

Harun Farocki "Deep Play"

Harun Farocki "Ernste Spiele"

Harun Farocki "Gegen Musik". (Alle Screenshots mit freundlicher Genehmigung des Kunsthauses Bregenz)

Harun Farocki-Personale im Kunsthaus Bregenz. Bis 09.01.2011.

Einer der frühen Filme von Harun Farocki trug 1969 den fast schon programmatischen Titel „Wie nimmt man einem Polizisten den Hut ab?“ Demontieren, zerlegen, aufzuteilen und wieder in eine neue Form setzen, ist das Leitmotiv in Farockis vierzigjährigem Filmschaffen.

„Filmarbeit wird üblicherweise mit Bildern vom arbeitenden Team repräsentiert. Aber jede Arbeit des Bilderorganisierens gehört zum Filmhandwerk und lässt sich schwer wiedergeben, wie andere Organisationsarbeit auch. Wir arbeiten hauptsächlich mit vorgefundenen Bildern“, schreibt dazu der Künstler selbst.

Nach Personalen in der Londoner Tate Modern, im Wiener Mumok und im Kölner Museum Ludwig bespielt das Kunsthaus Bregenz derzeit exklusiv seine Räumlichkeiten mit den Werken des zweifachen dokumenta-Teilnehmers. Es ist die umfangreichste Ausstellung, die bisher von Farockis Material in Österreich zu sehen war. In unterschiedlichen Formaten werden Erstlingswerke aus den Sechzigern genauso gezeigt wie eigens für diese Ausstellung produziertes – oder besser prozessiertes – Material.

Ein Höhepunkt ist sicher die ein ganzes Stockwerk füllende Installation „Deep Play“ der letztjährigen documenta. Farocki seziert hier den vertrauten Teil von Unterhaltungsbildern, öffnet für den Betrachter die dahinter liegende Analytik und Logistik sowie die Kontrollmechanismen einer weltweit verfolgten Großveranstaltung. Auf zwölf Screens präsentiert der Künstler nochmals in voller Länge das durch den Kopfstoß Zinedine Zidanes legendär gewordene WM-Endspiel 2006 zwischen Italien und Frankreich. Neben den bekannten Übertragungsbildern für die TV-Zuschauer laufen Aufnahmen der Überwachungskameras im Umfeld des Stadions, bleiben andere Kameras auf die Reaktionen der Trainer fixiert und begleiten in Großaufnahme einzelne Spieler oder die Kommentatoren. Endgültig musterhaft grafisch wird das gewohnte Bild, wenn Vektorgrafiken die Wege der Spieler, das Lauf- und das Abspielverhalten abstrahieren.

Die für Lille anlässlich des Kulturhauptstadtjahres 2004 produzierte „Gegen-Musik“ verwendet vorwiegend vorgegebenes Material aus Überwachungskameras. In Doppelprojektionen spürt Farocki dem Kreislauf der Abfolgen und Strukturen in Lille nach, formt aus Monotonem und Antithetischem einen spannungsgeladenen Körper der Stadt. Quasi als eine Metamontage durchbricht Farocki sein gefundenes Material mit Bildern von zwei der wohl herausragendsten Experimentalfilmen der 20er-Jahre über die Funktionalität von Städten, Dsiga Wertows Moskauhymne „Der Mann mit der Kamera“ und Walter Ruttmanns „Berlin- Sinfonie der Großstadt“.

Als Europapremiere sind zwei Installationen aus der Reihe „Ernste Spiele“ zu sehen. Dafür wurde bisher kaum veröffentlichtes Simulationsvideomaterial des amerikanischen Militärs verwendet. In einer Installation versuchen sich Rekruten per Joystick an einer Fahrt im gepanzerten Fahrzeug durch eine vom Ausbildner mit Fallen und Hinterhalten präparierten Computerlandschaft in Afghanistan. Während einer der Screens die Animation zeigt, beobachtet eine andere Kamera die Reaktionen der Soldaten, mitunter auch beim eigenen (virtuellen) Tod. Als Antithese dazu werden in der zweiten Installation „Immersion“ Kriegsheimkehrer verfolgt, die aus Therapiegründen nochmals virtuell mit traumatischen Erlebnissen vor Ort konfrontiert werden.

Eine zusätzliche Werkschau des Farocki Oevres im örtlichen Metro-Kino komplettiert die wie immer gelungene Ausstellung eines der spannendsten Kunsthäuser Österreichs.

Harun Farocki Weiche Montagen
Kunsthaus Bregenz
Noch bis 09.01.2011

Verfasser/in:
Emil Gruber, Empfehlung
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