24/04/2011
24/04/2011

Rotes Rathaus auf dem Breitscheidplatz

Rotes Rathaus auf dem Breitscheidplatz, Modell

Alte Nationalgalerie auf dem Ernst-Reuter-Platz

Alte Nationalgalerie auf dem Ernst-Reuter-Platz, Modell

ICC auf dem Schlossplatz

ICC auf dem Schlossplatz, Modell

Siegessäule/Reichstag, Modell

Siegessäule/Reichstag, Modell

Holocaust Memorial (Peter Eisenman ) auf dem Hackeschen Markt

Holocaust Memorial (Peter Eisenman ) auf dem Hackeschen Markt

Forum des Volkes/Kreative Industries, Modell

Forum des Volkes/Kreative Industries, Modell

Marx und Engels auf dem Leipziger Platz, Modell

Marx und Engels auf dem Leipziger Platz

Moschee auf dem Mehringplatz

Moschee auf dem Mehringplatz. Fotos: Konstanze Noack

KONSTANZE NOACK
Hybride Räume

Was ist Raumproduktion der Berliner Republik? Diese Fragestellung spielt an auf zweierlei Ebenen der Stadt – die alltägliche performative Raumproduktion und die politische Konnotation der Wechselwirkung von Stadt und Gesellschaft, Architektur als res publica, als öffentliche Angelegenheit.
Architektur gibt den menschlichen Bedürfnissen und ihrem Ausdruck Raum, sie ermöglicht gemeinschaftliche Räume im Kleinen und spiegelt die gesellschaftliche Ordnung, ihr Selbstverständnis, ihren Repräsentationswillen und ihre Hierarchie in der architektonischen Typologie und Stadtstruktur wider. Stadt ist ein räumliches Palimpsest des Selbstverständnisses einer Gesellschaft verschiedener Zeiten, welches stetig überschrieben, transformiert und modifiziert wird. Selbstredend ist eine Gesellschaft nicht homogen, dennoch gibt es einen zeitbezogenen Grundkonsens der Werte und Normen, des Umgangs mit sich neu herausbildenden Herausforderungen und Möglichkeiten, aber auch ein breites Spektrum unterschiedlicher Lebensweisen und Interessenlagen, die sich entsprechend ihrer Einflussmöglichkeiten und Freiräume entweder dominant, unhinterfragt in ihrem routinierten Alltag oder subversiv räumlich artikulieren. Architektur ist somit stets politisch, zum einen bezogen auf ihren Herstellungsprozess und zum anderen in der sozialen Produktion des Raums, d.h. seiner spezifischen Aneignung. Der städtische Raum ist der Mediator zwischen der nahen und der fernen Ordnung (1), dem privaten und dem öffentlichen Leben, bzw. - abstrakt betrachtet - den gesellschaftlichen Einflussfaktoren, auf die kein direkter Zugriff möglich ist. Dennoch ist auch das Unnahbare und Globale lokal rückgebunden in den Alltag, in dem es produziert wird, bzw. den es beeinflusst.

Stadt ist ein gesellschaftliches Produkt, welches immer wieder neu von den einzelnen Individuen in seiner Benutzung (re-)produziert wird. Die spezifische Urbanität einer Stadt kann als die dialektische Wechselwirkung von physisch-materiellem, abstrakt-gesellschaftlichem, konkret-sozialem und subjektiv-erlebtem Raum in der performativen Realisierung der inhärenten Möglichkeiten des Raums beschrieben werden. Die Typologien und Strukturen einer Stadt eröffnen Möglichkeiten der Benutzung, die von jedem Benutzer andersartig realisiert werden. Jeder Mensch hat einen anderen Lebensentwurf und Aktionsradius, sowie Fähigkeiten und Präferenzen der Aneignung, der Transformation oder Unterwanderung des aktuellen Raums.

Der urbane Raum kann demnach als das spezifische Verhältnis von privat, kollektiv und öffentlich beschrieben werden, seiner Ausformulierung und der Grenzen, Übergänge und Wechselwirkung miteinander. In jedem dieser Räume bewegen wir uns auf eine andere Art und Weise. Hans Paul Bahrdt beschreibt dies als den Grad der Integration (2). An jedem Ort seines Alltags besitzt der Mensch eine andere Identität, schlüpft in eine andere Rolle, offenbart verschiedene Seiten seiner Person, die etymologisch betrachtet die Maske oder Rolle des antiken Schauspielers bezeichnen: Zuhause identifiziert man sich mit sich selbst, der Radius ist die Wohnung, hier hat man keine Maske auf. Geht man aus dem Haus und erledigt alltägliche Dinge, ist man Bewohner eines Quartiers. Man kennt und unterhält sich, meist in urbaner Distanz. Fährt man zur Arbeit, taucht man an einem anderen Ort aus der U-Bahn auf, ist nun Mitglied eines bestimmten Berufsstandes und der Aktionsradius erschließt sich von dort. Abends geht man ins Theater und fühlt sich allen Theaterliebhabern verbunden oder geht auf eine Konferenz und ist dort Teil einer wissenschaftlichen Community. Man bewegt sich in seinem hodologischen Raum (3) durch die Stadt, der sich an ausgezeichneten Orten, die man mit Bedeutung belegt und sich angeeignet hat, entlangführt. Relevant ist nicht die materialisierte euklidische Konfiguration einer Situation, sondern deren subjektive Einordnung, das subjektive Erleben. Diese hodologischen Wege verankern die Person physisch, die Radien der Zugehörigkeit - die Verknüpfung mit den spezifischen Situationen - mental in der Wirklichkeit.

Die Stadt ist durchwoben von Strukturen und Bewegungen unterschiedlicher Intention. Unsere Welt besteht auf verschiedenen Maßstabsebenen aus einer Vielzahl von strukturellen räumlichen Beziehungen. Christopher Alexander entwickelte 1967 das Modell der Pattern Language (4), deren Grundlage die Handlungspattern als Vermittler zwischen Handlung und Raum sind. Für ihn schließt jede räumliche Organisation eine anthropologische Organisation mit ein. Mit dem Begriff Pattern definiert er die morphologische und anthropologische Gegebenheit. Form und Inhalt werden zur Kongruenz gebracht. Ein Pattern vereint die Handlung und den Raum, in dem diese Handlung stattfinden kann: Handlung und Raum sind unteilbar. Die Handlung wird durch diese Art von Raum getragen. Der Raum trägt diese Art von Handlung. Die beiden bilden eine Einheit, ein Handlungspattern im Raum (5) Die Welt besteht aus einer Matrix von Pattern, wobei die Beziehungen zwischen den Elementen den Elementen selbst immanent ist. Die einzelnen Elemente existieren nicht ohne den räumlich-funktionalen Kontext und - diesen erweiternd - seiner semantischen Dimension. Diese Pattern sind kulturell und zeitbezogen gesellschaftlich belegt – doch jeder benutzt sie graduell auf andere Art und Weise, seinem Habitus6 (6) entsprechend. Der Raum ist strukturiert durch die Überlagerung einer Vielzahl von Pattern, die mehr

Die Architektur formt den absoluten euklidischen Raum auf architektonische Art und Weise. Der Raum ist nicht mehr isotrop, er bekommt einen architektonischen Wert (7), der über seine reine Funktion hinausgeht. Die Architektur, genauer die Typologie, gibt dem Raum einen Rahmen der Realisationsmöglichkeit. Sie bietet Anknüpfungspunkte durch ihre kommunikative Bestimmtheit und eröffnet Möglichkeiten der Aneignung durch ihre kommunikative Unbestimmtheit (8). Typologien als architektonische räumliche Konfigurationen sind Grundformen unserer räumlichen Organisation, die zu jeder Zeit gesellschaftsbezogen unterschiedlich benutzt und mit Bedeutung belegt werden. Komplexere Typologien (z.B. Wohnhäuser und öffentliche Gebäude) entwickeln sich aus der jeweiligen Form des kulturell bedingten Lebens und den Anforderungen bestimmter Zeiten heraus. Sie beschreiben die Organisation des privaten Lebens und das Selbstverständnis - die Konventionen - einer Gesellschaft. Danach basiert die Architektur auf einem begrenzten Satz von wiederholbaren Typen mit einer eigenen inneren Logik, die, in eine Form gegossen, mit den Nutzern eine Beziehung durch ein soziales Gebilde eingehen, welches wir architektonische Bedeutung nennen. Diese Bedeutung kann sich im Laufe der Zeit verändern, wobei die Form unverändert bleiben kann. Doch auch die Formen und die ihnen zugrunde liegenden Typen verändern sich, wenn auch langsamer und nach anderen Gesetzen als jenen, welche die architektonische Bedeutung regieren. (Lerup) (9) Wir handeln in unserem Alltag routiniert und präreflexiv und benötigen somit eine Vorbestimmung durch die Architektur. Eine Typologie ist zu einer bestimmten Zeit für und unter bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen entwickelt worden und gibt somit durch die Bestimmung (die Einschränkung der Alternativen) den Bewohnern Halt. In unserem Alltag nehmen wir die Dinge als Typen wahr, wenn sie nicht in unserem Fokus stehen, so dass wir konstatieren können: Der Typus ist so etwas wir ein Filter zwischen den Menschen und den Dingen. (Lerup) (10)

Die Strukturalisten nennen diesen Filter den In-between realm und das Gestalt gewordene Zwischen. Das Zwischen hat hier eine zweifache Bedeutung – als das dialogische Verhältnis der Architektur zum Menschen, sowie das soziale Zwischen, was durch sein Stattfinden am konkreten Ort wiederum in die Architektur eingeht. Die Bezogenheit von Architektur kann nicht vom konkreten Ort und der konkreten Situation gelöst werden: Was Raum und Zeit als abstrakte Begriffe auch immer bedeuten, Ort und Ereignis bedeuten mehr. Denn Raum im Bilde des Menschen bedeutet Ort, während Zeit im Bilde des Menschen Ereignis bedeutet. ‚Raum’ bietet keinen Platz und ‚Zeit’ keinen Augenblick. Der Mensch bleibt ausgeschlossen. (van Eyck) (11) Durch die Aneignung, die performance, wird die competence des architektonischen Raums - seine inhärenten Möglichkeiten - zum Ort.

Die Typologien, Handlungspattern und ihre competence geben dem Raum eine gewisse Vorbestimmung, an die in der Benutzung angeknüpft werden kann. Doch jede Architektur, jede räumliche Struktur, ist ein gesellschaftliches Produkt, was bedeutet, dass sie zusätzlich zu der räumlichen, eine semantische Bestimmung transportiert. Der architektonische und städtische Raum spiegelt ein gesellschaftliches Selbstverständnis wider, dem eine gesellschaftliche Ordnungsstruktur, seine Hierarchien und eine spezifische räumliche Distribution inhärent sind. Wir eignen uns diesen Raum an, indem wir diese Semantik unbewusst anerkennen, sie bewusst unterwandern oder Räume, die ihre Semantik in der heutigen Zeit verloren haben, uminterpretieren und transformieren. Jeder Raum eröffnet mehr oder weniger große Spielräume der Aneignung oder mehr oder weniger starke Determinationen.

Berlin

Machen wir nun einen Sprung auf die Maßstabsebene der Stadt als Ganzes. Jede Stadt hat ihren eigene Gestalt, die durch ihre Geschichte, ihre Bedeutung in der globalen Städtekonkurrenz, dem Blick von außen und ihrem Selbstimage, bzw. dem Umgang mit den aktuellen Herausforderungen, gekennzeichnet ist.

Berlin ist Hauptstadt und größte Stadt Deutschlands. In ihrem repräsentativen öffentlichen Raum akkumulieren sich die Ebenen der Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart in einem Raum der Stadt. Was bestimmt die Stadt Berlin, ihren öffentlichen Raum? Was ist überhaupt Öffentlichkeit? Hat sie die antike und in den 60er Jahren wieder aufgegriffene und in den 80ern neu formulierte (sozial-)politische Konnotation? (12) Um diese Frage beantworten zu können, muss man die Stadtphysiognomie diachron und synchron betrachten - Berlin hat eine Geschichte, die maßgeblich von ihrer preußischen Vergangenheit, ihrer Bedeutung im Nationalsozialismus, ihrem verkehrsgerechten Wiederaufbau, der Teilung und Wiedervereinigung und ihrem Hauptstadtstatus geprägt ist. Wie wird Berlin von außen wahrgenommen und wie stellt sich Berlin selbst dar? Berlin steht im weltweiten Fokus als Hauptstadt Deutschlands und in Zeiten der Globalisierung in Konkurrenz mit den Hauptstädten Europas, wenn nicht vielen europäisch geprägten Städten ähnlicher Größe oder Attraktivität der ganzen Welt - deren Raumproduktion wiederum lokal, im Alltag der Berliner, rückgebunden ist. Berlin versucht sich ein Image zu geben, welches sich aus der Wechselwirkung seiner repräsentativen Hauptstadtfunktion, der Hochkultur, den räumlichen Ressourcen für Großevents und der Subkultur, den kreative Industries, speist. Doch die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse der Stadtproduktion führen auch zu Gentrifizierungsprozessen und Segregation, zu Verinselungen und Fragmentierungen verschiedenster Art oder privatisierten öffentlichen Räumen.

Rochade –urban switch
In diesem Zusammenhang soll das Projekt Rochade - urban switch (13) vorgestellt werden, welches sich mit den Bedeutungsebenen des öffentlichen Raums der Stadt Berlin kritisch auseinandersetzt. Das Projekt thematisiert die verschiedenen Momente, die den repräsentativen öffentlichen Raum in der heutigen Zeit in Berlin bestimmen, indem konstituierende Gebäude oder räumliche Situationen in einem vollkommen anders auratisierten Raum kontextualisiert werden. Wie bei der Rochade des Schachspiels wird der Turm und der König getauscht, wodurch erstaunliche neue hybride Räume entstehen, die die unterschiedlichen Bedeutungsebenen des öffentlichen Raums, seine äußere und innere Identität und die konfligierenden Interessen sozialer, politischer und ökonomischer Akteure, sichtbar machen. Das Wort hybrid hat seine etymologischen Wurzeln in der griechischen hybris. Ursprünglich negativ konnotiert, wollen wir in unserem Zusammenhang den Begriff neutral als Grenzüberschreitung und Transzendierung einer bestehenden Ordnung verwenden. (14) Das vorgestellte Projekt soll durch die Konfrontation der unterschiedlichen semantischen Räume die Möglichkeit eröffnen, die verschiedenen Bedeutungsebenen des Berliner Raums offensichtlich zu machen, die in unserem Alltag durch ihre Verankerung am Ort vielfach zur Selbstverständlichkeit geworden sind.

West/Ost Wiedervereinigung
Rotes Rathaus auf dem Breitscheidplatz

Berlin war Jahrzehnte lang eine geteilte Stadt, deren Westteil durch verkehrsgerechte Planung geprägt ist. Auch der Breitscheidplatz, das Herz des Westteils, wurde dementsprechend umgebaut. Er ist das Symbol des Westberliner Wiederaufbaus, repräsentiert das Wirtschaftswunder, war und ist die Flanier- und Shoppingmeile Westberlins. Zur Weihnachtszeit oder zu entsprechenden Feierlichkeiten versinkt der Platz im Kitsch der Buden. Hier steht die Ruine der Friedrich-Wilhelm-Gedächtniskirche, die seinerzeit als Mahnmahl gegen den Krieg erhalten wurde. Was für ein Raum würde entstehen, wenn hier das Rote Rathaus stehen würde und auf einmal Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart, Shopping und Bürgerproteste aufeinander träfen?

Autogerechte Stadt/Hochkultur
Alte Nationalgalerie auf dem Ernst-Reuter-Platz

Auch der Ernst-Reuter-Platz ist von der verkehrsgerechten Nachkriegsplanung geprägt, die die Straße ihrer ursprünglichen Funktion entledigt. Hier befindet sich die Technische Universität, als eine der drei Universitäten Berlins.
Die Alte Nationalgalerie, entworfen von Friedrich August Stüler, Schüler von Friedrich Schinkel, vereint Tempel- und Kirchenarchitektur und ist heute als Teil des UNESCO Kulturerbes der Museumsinsel Anlaufpunkt für viele Touristen, ein wichtiger Teil der Hochkultur, mit der Berlin für sich wirbt.
Wie würde der Tempel der Kultur die Atmosphäre der überdimensionalen Verkehrsinsel des Ernst-Reuter-Platzes verändern?

Big Event/Identität durch Geschichte
ICC auf dem Schlossplatz

Die Wiederaufbaupläne für das zu Zeiten des geteilten Berlin gesprengten Schlosses als Symbol des preußischen Absolutismus sind Gegenstand der bundesweit emotional geführten Debatte Identität durch Geschichte.
Das ICC, seinerzeit eines der größten Kongresszentren der Welt, verkörpert die 70er Jahre Devise Urbanität durch Dichte und steht in diesem Modell, an dem historisch aufgeladenen Ort des Berliner Stadtschlosses, stellvertretend für die Großevents, die Berlin regelmäßig ausrichtet und deren Bilder, wie die der Fußballweltmeisterschaft 2006, um die Welt gehen - und der berühmte Blick Schinkels aus dem Alten Museum bekäme ein vollkommen neues Gegenüber.

Demokratie/Totalitarismus
Siegessäule/Reichstag

Berlin hat nicht nur eine preußische, auch eine nationalsozialistische Geschichte, die ihre Spuren hinterlassen hat. Sie würde präsent mit der Rückplatzierung der Siegessäule vor den Reichstag, dem aktuellen Sitz des Deutschen Bundestages, die die Nationalsozialisten im Rahmen ihrer megalomanen Stadtvision versetzt hatten.

Gedenken/Tourismus
Holocaust Memorial auf dem Hackeschen Markt

Als Hauptstadt hat Berlin die Aufgabe, sich kritisch mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen, was sie u.a. in Form von Gedenkstätten realisiert. Das Denkmal der ermordeten Juden wurde prominent an einer Straßenecke platziert, welches die Touristen auf ihrem Weg vom Brandenburger Tor zum Potsdamer Platz tangieren.
Was würde passieren, wenn das Denkmal auf den Hackeschen Markt, den Anlaufpunkt der Touristen par excellence, versetzt würde?

Privat/Öffentlich
Gated Community im Tiergarten

Eine Stadt ist, nach Hans Paul Bahrdt, umso urbaner, je ausgeglichener das Verhältnis von öffentlich zu privat ist. Kontrastieren die beiden Sphären zu stark, verneint sich die Stadt. Das urbane Leben zeichnet sich durch die fruchtbare Möglichkeit der Begegnung mit dem Anderen aus. Gated Communities produzieren keinen hybriden Raum, die besetzen einen Raum und schotten sich inselhaft von ihrem Kontext ab.

Regierungsspange/Spreeschwimmbad
Forum des Volkes/Kreative Industries

Symbolisch wird Ost und West mit der städtebaulichen Spange des Regierungsbandes verknüpft - doch das in seiner Mitte vorgesehene Bürgerforum ist nie realisiert worden. Aber kann man der politischen Artikulation der Öffentlichkeit einen bestimmten Raum explizit zuweisen? Wir besetzen die dort nun befindliche Verkehrsschneise mit dem Spreeschwimmbad, exemplarisch ste¬hend für die „Kreative Industries“.

Kapitalismus/Kommunismus
Marx und Engels auf dem Leipziger Platz

Die bauliche Zusammenführung der Stadt wird durch den Wiederaufbau des Potsdamer und Leipziger Platzes verkörpert – der neuen, aus dem Nichts heraus kritisch rekonstruierten Mitte Berlins. Hier repräsentieren sich große Firmen und Kanzleien, die sich die Mieten leisten können, touristische Attraktionen und Shopping im großen Maßstab. Als Berliner frequentiert man diese neue Mitte allenfalls zur Zeit der Berlinale, des Internationalen Filmfestivals. Der Potsdamer Platz teilt das Schicksal der meisten in kürzester Zeit realisierten Quartiere, keine städtische Atmosphäre erzeugen zu können.
Was wäre, wenn man diesen desingten Raum des Konsums mit Marx und Engels, als wichtigsten Vordenkern der fortschreitenden Abstraktion der Beziehungen, aber auch repräsentativ stehend für die im totalitären Staat auf Kosten der Freiheit versuchte Umsetzung ihrer Ideen, konfrontieren würde?

Kollektives Wohnen/Freiheit
Moschee auf dem Mehringplatz

Der Mehringplatz ist ein Ort, der durch seine Eindimensionalität hervorsticht. Seinerzeit von Hans Scharoun als Ort des kollektives Wohnens geplant, ist er nun zu einem Durchgangsort geworden.
Was wäre, wenn dieser Platz, dieses problematische Rund einen inhaltlichen Fokus bekäme, der Zwischenraum der Kreise mit einer adäquaten Nutzung gefüllt würde? Wenn auf dieser geogra¬phischen Mitte Berlins als Katalysator der Toleranz und Integration, der Verinnerlichung der Differenz (15) und als Ausdruck der heutigen globalen aber lokal rückgebundenen Beziehungen eine Moschee stände?
Eine Stadt besteht aus einer Vielzahl sich überlagernder, nebeneinander stehender, sich wechselseitig beeinflussender Räume, ist ein Gewebe unterschiedlicher Typologien, Strukturen und Patterns, die durch die bunten Fäden der Bewegung der Menschen durch die Stadt realisiert, modifiziert oder transformiert werden. Die Räume haben unterschiedlichste Konnotationen, eröffnen mehr oder weniger große Spielräume der persönlichen Aneignung, determinieren eine Benutzung, sind hybrid, mehrdeutig oder eindimensional, kontrolliert, organisiert oder offen. Jeder Mensch lebt seine eigene Urbanität, bewegt sich relational in seinen persönlichen mentalen Radien. Eine Stadt ist umso urbaner, je polyvalenter und hybrider ihre Räume sind, je mehr Ambivalenzen, Überdeterminiertheiten, Widersprüchlickeiten und Differenzen sie beinhalten, je mehr diese Tausend Plateaus (16) zu einem vieldimensional miteinander verwobenen Rhizom werden.

(1) Lefèbvre, Henri: The specificity of the city, in: Writings on cities, hg. v. E. Kofman und E. Lebas, Malden/Oxford, 100-103
2 Bahrdt, Hans Paul: Die moderne Großstadt, Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Reinbek, 1961.
3 hodós, gr. Weg. vgl. Lewin, Kurt: The conceptual representation and the measurement of psychological forces, Durham, 1938.
4 Alexander, Christopher: Eine Muster-Sprache, A Pattern Language, Wien, 1995 (am. 1977).
5 arch+ 73, März 1984, 19. original: Alexander, Christopher: A timeless way of building, New York 1979, 69-70.
6 Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und ‚Klassen’, Frankfurt, 1991 (frz. 1984): ...besteht es vielmehr in der Relation zweier Zustände des Sozialen …, in Gestalt von Institutionen objektivierende Geschichte auf der einen, der in Gestalt jenes Systems von dauerhaften Dispositionen, das ich Habitus nenne, leibhaft gewordenen Geschichte auf der anderen Seite. Der Leib ist Teil der Sozialwelt – wie die Sozialwelt Teil des Leibes, 69.
7 Rossi, Aldo: Architektur der Stadt, Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen, Düsseldorf, 1973 (it. 1966).
8 Ingarden, Roman: Konkretisation und Rekonstruktion (1968), in: Warning, Rainer (Hg.), Rezeptionsästhetik, München 1988.
9 Lerup, Lars: Das Unfertige bauen, Architektur und menschliches Handeln, Braunschweig, 1986 (am. 1977), 7.
10 Lerup ebd. 158.
11 Aldo van Eyck zitiert in: A. Lüchinger: Strukturalismus in Architektur und Städtebau, Stuttgart, 1981, 26ff.
12 vgl. Edgar Salin, Hannah Arendt, Jürgen Habermas, Henri Lefebvre, David Harvey, Edward Soja oder Manuel Castells
13 Rochade – urban switch, Konstanze Noack (Berlin), Katrin Günther (Berlin), Joseph Rustom (Beirut/Berlin)
Ausstellungsbeitrag Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit, Berlin, 2010
14 Ha, Kien Nghi: Hype um Hybridität, Bielefeld, 2005

Dieser Text ist ein Beitrag zur von der akademie c/o (Neuer Berliner Kunstverein) gestellten Frage „Was ist - Raumproduktion der Berliner Republik?“ (akademie c/o: Arno Brandlhuber, Silvan Linden, Christian Posthofen) www.akademie-co.org
Es wird das Projekt „Rochade - urban switch“ vorgestellt, welches als Beitrag für die Ausstellung „Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit.“ konzipiert wurde, die im Oktober/November 2010 im Kraftwerk Mitte in Berlin stattfand. (Kuratoren: Martin Heller, Angelika Fitz, Holzer Kobler Architekturen) www.realstadt.de
Konzeption, Modelle und Collagen: Konstanze Noack, Katrin Günther, Joseph Rustom (Beirut/Berlin)
Fotos, Text: Konstanze Noack, Studio USE - www.urban-space-exploration.de

Über die Autorin:
Konstanze Noack ist Architektin, lebt und arbeitet in Berlin und beschäftigt sich in unterschiedlichen Kooperationen aus wissenschaftlicher, künstlerischer und planerischer Perspektive mit der Erforschung des städtischen Raums als der gegenseitigen Bedingtheit von gesellschaftlichem, physischem und sozialem Raum.

Das Projekt "Rochade - urban switch" ist in Zusammenarbeit mit Katrin Günther und Joseph Rustom entstanden.

Verfasser/in:
Konstanze Noack
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