Das umgebaute Schlachthofareal in der Karlsruher Oststadt ist ein bemerkenswertes Beispiel für die gelungene Umnutzung eines historischen Gebäudeensembles. Wo damals Tiere geschlachtet wurden, findet man heute ein lebendiges Quartier. Das Schöne ist: Das Quartier durfte seine Geschichte behalten, aus folgendem Grund: Die während der Industrialisierung entstandenen Schlachthöfe sind in ihrer Architektur nicht das, was man mit den funktionalen Schlachthöfen der Gegenwart verbindet. Sie sind keineswegs reine Zweckbauten, sondern wurden sorgsam gestaltet.
Als der Schlachthof 2006 geschlossen wurde, erkannte man die Qualität der Gebäude aus dem wilhelminischen Kaiserreich. So durften sie stehen bleiben. Wo damals eine hohe Mauer vor Blicken schützte, ist heute ein einladender offener Ort entstanden, der nicht nur Platz für Büros und Kreativwirtschaft bietet, sondern auch Besucher*innen zu Kunst, Kultur und zum Flanieren einlädt. Auf eine schöne Weise wurde der ehemalige Schlachthof mit einem zeitgemäßen Konzept komplett neu erfunden. Vielleicht war die Art der Transformation sogar so neu, dass manche Ansätze dem Architekten des Pferdeschlachthausumbau Matthias Tebbert selbst an zu progressiv war.
Es gab bereits viel Anerkennung für die Umwandlung des Schlachthof Areals und für einzelne Gebäude darauf: Für die herausragende Arbeit bei der Umwandlung des Pferdeschlachthauses erhielten zwo/elf Architekten zusammen mit Studio Urbane Strategien und Schelling Architekten die renommierte Hugo-Häring-Auszeichnung vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). Schon zuvor gingen Hugo-Häring Auszeichnungen an Umbauprojekte: Etwa an den Umbau des ehemaligen Schweinestalls durch zwo/elf Architekten 2014 und an den Umbau der Fleischmarkthalle durch fluidlab architektur design Architekten und Ingenieure PartG mbB. – Zurecht, tragen diese Gebäude ja dazu bei, dass das Schlachthof Areal, nicht nur eine baukulturelle Attraktion ist, sondern zu einem wichtigen Ort der Kunst und Kulturszene in Karlsruhe geworden ist.
Ursprünglich wurde der Schlachthof 1885 vom damaligen Leiter des städtischen Hochbauamts der Stadt Karlsruhe Arnold Strieder geplant. Das rund acht Hektar große Gelände stellte eine typische Bauaufgabe gegen Ende des 19. Jahrhunderts dar. Um den Bedarf der durch die Industrialisierung wachsenden Städte zu decken, sollten die kleineren, in der Stadt verteilten Schlachthöfe ersetzt werden. Auf diese Weise wurden die Bewohner*innen von der erheblichen Geruchsbelastung befreit, die von den dezentralen Schlachthöfen ausging. So befand sich der ehemalige Schlachthof am Rand der Stadt. Heute liegt er zentral südlich an die Oststadt an.
Das Areal wurde über mehrere Jahrzehnte bis in die 1920er Jahre entwickelt und verbindet Historismus und Jugendstil mit der Neuen Sachlichkeit 1920er Jahre. Besonders dem 1914 entstandenen Pferdeschlachthaus ist eine Mischung der architektonischen Stile anzusehen. Eine plastische, symmetrisch geordnete Fassade zeugt von einem historistischen Ansatz und geht hier Hand in Hand mit einem nüchternen Treppenhaus, das sich durch rohe Betonoberflächen und einfache Innenausstattung auszeichnet. Jugendstilelemente sind etwa in der markanten, türkis korrodierten Dachlaterne zu erkennen. Sie wiederholen sich in fein geschwungenen Türüberdachungen. Das Gebäude wurde unter Friedrich Beichel entwickelt, dem nachfolgenden Leiter des städtischen Hochbauamts.
Nach der Schließung des Schlachthofs konnte die Arbeitsgemeinschaft ASTOC Architects and Planners / Feigenbutz Architekten im städtebaulichen Wettbewerb mit einem behutsamen Gesamtkonzept überzeugen. Ihre Arbeit trug wesentlich dazu bei, dass der Alte Schlachthof mit seiner Geschichte heute noch erlebbar ist.
Wenn man von der Durlacher Allee das Gelände betritt, ist die funktionale Organisation des Areals noch zu erkennen. Linear angeordnet, rechts und links des Weges und den noch genutzten Straßenbahnschienen, blickt man auf ein- bis zweigeschossige pavillionartige Gebäude, nach französischem Vorbild.
Der Architektur ist die ehemals blutige Funktion zunächst nicht anzusehen. Doch Wer genau beobachtet, sieht hier und da Elemente der ursprünglichen Nutzung. Bewusst verweilen etwa Fleischerhaken an ihrer Originalposition um als Zeitzeugen von der Geschichte des Areals zu erzählen. Tatsächlich finden die ehemaligen Fleischerhaken auch eine neue Funktion: Sie werden als Kleiderhaken verwendet, was beim ein oder anderen gemischte Gefühle hervorrufen könnte.
Das ehemalige Pferdeschlachthaus liegt südlich im Schlachthofareal, direkt am Otto-Dullenkopf-Park, der durch die Öffnung der Schlachthofmauern nun zu Fuß und per Tram mit der nördlichen Durlacher Allee verbunden ist. Etwas versteckt sieht man das heutige Atelier- und Bürogebäude erst auf den zweiten Blick.
Die Umnutzung und Sanierung des ehemaligen Pferdeschlachthauses wurden mit großem Aufwand und hoher Sensibilität umgesetzt. Es ist nicht nur die Ursprungsepoche erkennbar. Das Gebäude ist außen wie innen heterogen. Die Architekten fanden eine stark veränderte Fassade vor. Teilweise waren die historischen Sprossenfenster zu- und eingemauert. Alles was man an Originalmaterial fand, hat man wieder eingebaut. Die fehlenden Fenster wurden mit neuen, sensibel nachempfundenen Fenstern ersetzt. Im Kontrast zu den historischen Funden wurden nachträgliche Eingangstüren aus Metall auch als erhaltenswert eingestuft. Deren mit Grafitti angetaggte Oberfläche tut dem Image des Künstlerviertels gut.
Unter Berücksichtigung der Anforderungen der Denkmalbehörden entstand ein untypisches, progressives Ergebnis. Sogar progressiver als der Architekt Matthias Tebbert selbst dachte, der hinsichtlich der Hürden, die im Gebäudebestand auftauchten, nicht mit einer Auszeichnung durch den Hugo-Häring Preis gerechnet hatte. Kamen die Architekten doch in bauliche Zwänge, wie etwa die reduzierte Tragfähigkeit des historischen Tragwerks, welche eine formale Erklärung einiger Eingriffe unmöglich macht. So mussten die durch Eisenkorrosion versauerten Eisenbetonträger mit zusätzlichem Material ummantelt werden, um deren Tragfähigkeit wiederherzustellen.
Nun stellt sich die Frage: Nimmt man neue grazile Träger, oder werden die alten ertüchtigt? Hier öffnet sich ein Spannungsfeld in der Architekturdebatte, das offenbar auch im Büro von zwo/elf Architekten nicht einfach zu schließen war: Fehlt nun den reparierten Trägern wegen Ihrer Größe die Grazie, oder sehen wir hier einen avantgardistischen Umbauansatz? Letztendlich haben sich die Architekten für das Ertüchtigen entschieden. Das ist ein suffizientes und progressives Vorgehen, das unserer Zeit gerecht wird.
Die nachträglich entstandenen engen Wände und Einbauten im Inneren wurden vollständig zurückgebaut. So entstehen offene, flexible Räume. Auffallend schön ist das Ergebnis sorgfältiger Restaurierungsarbeit für die Entfernung der nachträglichen Wandfarbe. So kommt in einem ehemaligen Schlachthaus nicht etwa historische Tapete zum Vorschein, sondern simple mineralische Wandfarbe und teils sogar der rohe Beton. Chapeau! Durch genau diese Genügsamkeit setzt man ein Zeichen in einer Gesellschaft, die zunehmend mit Ressourcenknappheit zu kämpfen hat.
Was die Aufwendungen für andere architektonische Details angeht, so könnte man einen Schritt zurück machen. Wenn wir eine Umbaukultur in unserer Gesellschaft verankern möchten, ist es wichtig sich auf das wesentliche zu konzentrieren. Es wurde auf Wunsch des Denkmalamts etwa das Anthrazit des Fensteranstrichs aufwendig an den Abstandshalter zwischen den zweifach verglasten Fensterscheiben angebracht – ein Detail, das selbst dem kritischsten Betrachter nur dann auffällt, wenn er darauf hingewiesen wird. Auf Wunsch der Architekten wurde beispielsweise die Dachlaterne aufwendig aufgearbeitet. Das Ergebnis ist wunderschön. Nur müssen wir uns fragen: Sind solche Aufwendungen wirklich angemessen? Wir sind in der Situation, dass so mancher Eigner seine wertvolle historische Substanz so weit verfallen lässt, dass sie nicht mehr zu retten ist, um dann günstig neu zu bauen, etwa weil die Angst vor unvorhersehbaren Kosten in Bestandsprojekten zu groß ist. Deshalb sollten solche Aufwendungen für die besonderen Liebhaber reserviert sein.
Interessant ist die intelligente Lösung, die erdacht wurde, um den Dachraum nutzbar zu machen. Dafür wurde das Dach des Treppenhauses um etwa einen Meter aufgestockt. Der Eingriff wurde durch einen harmonischen Farbwechsel auf dem betreffenden Wandabschnitt sichtbar gemacht. Nun wird nicht nur eine notwendige Deckenhöhe erreicht, sondern auch Licht kann durch ein Fenster in den oberen Treppenraum gelangen, was zur Aufenthaltsqualität des Dachraums beiträgt.
Die Grundrissorganisation wurde ebenfalls intelligent gelöst. Durch das Einsetzen von Raummodulen für die Nebenräume wie Abstellkammern und Bäder im Inneren des Gebäudes bleibt die historische Substanz weitgehend sichtbar. Außerdem sind so weite Blickachsen möglich bei gleichzeitig sinnvoller Unterteilung der Nutzungsbereiche.
Die BDA-Jury lobt: „Alle neuen Bauteile wurden als Raummodule so behutsam eingefügt, dass die Spuren der Geschichte sichtbar bleiben und ein Gebäude mit eigenem Charakter entstanden ist. Erneut ist es gelungen, den alten Schlachthof mit einem weiteren attraktiven Baustein zu bereichern.“