2 Vom besseren Leben oder Was zählt, ist nur, was wahrhaftig vorhanden, benennbar ist: Bretter, Latten, Zäune, Verschläge, Büsche, Geröll und wieder der Staub, der nie zu kehren ist. Und Höfe, aber das ist nur eine Vermutung, Höfe hinter all den Toren, jenen, die die Zwischenräume so luft- und blickdicht verschweißen, dem strengen geometrischen Gesetz der Einkauerei gehorchend: Haus und Tor, so geht’s im Wechsel immerfort. (Notizen zum Chalet als Architektur- und Kulturgeschichte)
*
was weißt du schon von prärie
fragt Daniela Seel
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was weißt du schon von Chalets? schreibe ich und
wem gilt diese Frage?
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was weißt du schon von …?
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was weißt du schon?
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Wasssssssssssssffffffffff?
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notieren: am Anfang des Chalets stehen die Alpen
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na bumsti
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in Dietmar Steiners Buch Häuser im Alpenraum, erschienen 1982,
fndet sich ganz zu Beginn eine Abbildung. Darauf zu sehen: zwei
unterschiedliche Schemata alpiner Architektur im südbayerischen
Raum. die zentralen Begriffe dazu sind: Vielfalt auf der einen und
Monotonie der Hauslandschaften auf der anderen Seite.
Steiner schreibt: Nicht älter als etwa hundert Jahre ist nämlich die
Bauaufgabe, der dieses Buch gewidmet ist: Einfamilienhäuser und
Feriendomizile im Alpenraum sind eine Erfndung des Städters im
19. Jahrhundert. Seit dieser Zeit ist der Bürger, der Fremde aus der
Stadt, überhaupt erst in der Lage, die Schönheit der
wildzerklüfteten Bergwelt zu erkennen. Noch die Reisenden des 18.
Jahrhunderts waren froh, auf ihrer Bildungsfahrt nach Italien die
Alpen überwunden zu haben, aus dieser unharmonischen und
gräßlichen Bergwelt entlassen zu werden.
Steiners' Schreiben ist tendenziös – die Einleitung und auch die
darauffolgenden Kapitel, ja, aber irgendwie genau darum auch
funny, fnde ich. Vor allem, weil er in den zentralen Punkten richtig
liegt, es aus einem Wissen um architekturhistorische Positionen
und Praxis heraus formuliert ist.
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bis weit ins 17. Jahrhundert galten Berge als Wildnis, als leerer
Raum. HIC SUNT LEONES. Es waren Orte der Mythen und
Imagination, bevölkert von Wunderwesen, die man auf keinen Fall
aufsuchen sollte, wollte man nicht auf ewig verloren gehen. Etwa
der Forstteufel, gesehen in einem Waldstück nahe Salzburg,
aufgezeichnet u.a. von Conrad Gessner 1551. Wer es dennoch
versuchte, erfuhr Konsequenzen. 1387 etwa sperrte man den
Mönch Niklaus Bruder und fünf weitere geistliche Begleiter ein,
beim Versuch den Pilatus, eine Gebirgsgruppe am
Vierwaldstättersee, zu besteigen.
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schlage Bildungsreise nach, Grand Tour, eine Angelegenheit des
Adels, später des gehobenen Bürgertums, beginnend in der
Renaissance. Die Reise war das vorläufge Ende der Erziehung-
Vertiefung von Sprachkenntnissen, Kultur, Status, Prestige.
Von hier nur mehr die Welt. Der Weg nach Italien, zu den Orten
und Stätten des antiken Roms führte schließlich und stets durch die
Alpen. Immer wieder die Alpen.
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mit der Aufklärung,der Klassik, allen voran der Romantik im 18
Jhdt. beginnen sich Bezug und Verhalten zur Natur zu verändern.
Die Berge werden entdeckt, als Sehnsuchtsort, als Möglichkeit,
einer Erfahrung, die es so nirgends anders zu geben schien. Eine
Erfahrung nah am Himmel, losgelöst von den Alltäglichkeiten des
Lebens. Die Berge werden beschrieben, gezeichnet, erstiegen.
Auch der Alpinismus fndet seinen Anfang, ist eine europäische
Erfndung, eine Erfndung, um auf Dietmar Steiner
zurückzukommen, der Stadt, allen voran London. Jeder der großen
Alpengipfel ist eine Geschichte des Empires und des 19 Jhdts.
Generell: das 19. Jhdt. Fuck me. Gefühlt, und ja, feelings sind keine
politische und historische Kategorie, still, alles oder vieles erscheint
dort und dann und manchmal und oft genug frage ich mich, was,
wenn es anders gewesen wäre, wenn es sich zurückgehen ließe.
Nationalstaaten formulieren sich, die Idee der Nation und all das
daran hängende Ideenkonstrukt. Heimat etwa, ist ein Begriff, der
bis dahin nicht existiert. Erst die Gebrüder Grimm entwerfen ihn. In
mancher Hinsicht ist das 19. Jhdt. Triebfeder, Zündschnur vieler
jener Konfikte und Entwicklungen, die das darauffolgende 20.
Jhdt. heimsuchen und bis heute weiter wirken.
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notiere: Heimsuchung=Schicksalsschlag, den man als Prüfung oder
Strafe Gottes empfndet; Begegnung der mit Jesus und Johannes
dem Täufer schwangeren Frauen Maria und Elisabeth im Hause
Elisabeths; oder Synonym zu Haussuchung
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(wieder) an Gespenster denken. wie Berge, sind auch sie gemacht
und gewachsen aus einer Kulturgeschichte, nie gewesen, sondern
stets Ausdruck von Zeit und Gesellschaft:en, etwa unser Bild der
Farbe Weiß, s. Casper the friendly ghost, etc. reicht zurück ins 18
Jhdt., die Tradition der Totenbestattung mit ungefärbter Wolle,
Leinen, etc. schreibt Susan Owens.
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Robert Macfarlane schreibt Was wir als Berg bezeichnen, ist also in
Wirklichkeit ein Zusammenwirken der physischen Formen der Welt
mit der Vorstellung der Menschen - ein Berg des Geistes. Und die
Art und Weise, wie sich Menschen einem Berg gegenüber
verhalten, hat wenig oder gar nichts mit den eigentlichen Objekten
aus Fels und Eis selbst zu tun. (...) sie sind in die Existenz gedacht
worden.
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auch das Chalet wird imaginiert. In die Welt geschrieben,
gezeichnet, später getragen. Auch hier immer und immer wieder in
und aus den Städten. Die Bewegung der Bildungsreisenden, die
Sehnsucht nach einer Ursprünglichkeit und Natürlichkeit, aus dem
Geist, den Gespenstern der Romantik heraus, trägt dazu bei, dass
aus einer historisch und funktional gewachsenen Architektur
Kulisse wird, Zitat, Sehnsucht, Imagination. Diese fndet sich quer
über den Kontinent verteilt in sämtlichen europäischen
Metropolen. Eng angebunden an die Geschichte der
Landschaftsgärten - der Nachbildung von Natur gemäß eigener
Absicht und Vorstellung - fnden sich Chalets in ebendiesen, vor
allem in jenen des Adels und des gehobenen Bürgertums. Prince
Albert, Ehemann der englischen Queen Victoria erhält 1850
ebenso ein Schweizer Chalet geschenkt, wie Erzherzog Johann
1803 ein Tiroler Haus in den Schlossgarten Schönbrunn setzt,
inklusive eines Bergbauern aus Tirol, der zur Beschauung der
Flanierenden samt einigem Tier dort lebt. Das Versetzen und die
Zurschaustellung der Bewohner:innen aus dem Alpenraum ist
gängige Praxis, vor allem im 19. Jhdt., vor allem im Rahmen der
Weltausstellungen, vor allem unter dem Mantel der Behauptung
nationaler Architektur, Identität, Geschichte ganz grundsätzlich,
sagen zu können, oder wollen: Hier, das sind wir, und dort, dort ist
jemand anderes, ganzganzganz anderes. Das Chalet als Exotismus,
als Konstruktion des Anderen, Fremden reicht so weit, dass es sich
nicht zuletzt in den afrikanischen Kolonien der europäischen
Länder wiederfndet. Als Behauptung, als Bestätigung der eigenen
gedachten, imaginierten Größe.
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das Chalet also ganz grundlegend als nationale Erzählung. Das
Schweizer Haus, das Norweger Haus, das Tiroler Haus, usw. bis
heute fnden sich diese oder ähnliche Formulierungen in der
Benennung, nicht zuletzt im Rahmen Olympischer (Winter)Spiele,
eine Konstruktion ganz im Geiste nationaler Bestrebungen, die
ihren Anfang im, u guessed it, 19. Jhdt. fnden, fuck me, dieses
ewige 19 Jhdt., dieses Sprechen von Heimat, knappe 200 Jahre
erst alt und nicht mehr loszuwerden. wtffffffff*
würde sich ein Anfang des Chalets behaupten lassen, wäre es der
Blockbau im Berner Oberland, Schweiz sowie im angrenzenden
Waadtland. Im von Ernst Gladbach 1893 herausgegebenen Buch
Charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19.
Jahrhundert, nebst deren inneren Ausstattung heißt es dazu:
Obgleich die ältesten Holzbauten in einigen Gegenden des Berner
Oberlandes wie in Unterseen bei Interlacken als Ständerbauten
auftreten, so scheint sich doch der Blockbau dorten gleichzeitig
damit eingebürgert zu haben. (…) Auch hier erheben sich beide
Holzetagen auf einem als Keller benutzten hohen steinernen
Unterbau. (…) dies also vielleicht als Basis: steinerner Unterbau,
Holzetagen darüber., Blockbau. Außerdem: Translozierung, d.h.
die Möglichkeit, ein Gebäude Stück für Stück abzutragen und an
einer anderen Stelle wieder zu errichten, die Fähigkeit des
Nachbaus, der Nachempfndung, das Bauen, das Basteln einer
Fantasie, Und wieviel, wenn ich an das zeitgenössische Chalet
denke, oder das, was man damit bezeichnet, davon handelt,
ausschließlich davon, ein Gefühl zu evozieren. Die Möglichkeit zur
Translozierung aus dem Blockbau heraus ist vielleicht eines der
zentralen Merkmale des Chalets, zwar nicht inhärent als solches
angelegt, defnitiv jedoch als solches genutzt, vor allem durch die
aufkommende Industrialisierung in der zweiten Hälfte des, here we
go again, 19. Jhdts. Das Chalet, wie es verwendet und begriffen
wird, seitdem es von den Bildungsreisenden entdeckt, für gut
befunden und in die Parks und Gärten der Aristokratie überführt
worden ist, bis hin zu den heute unzählbaren Chalet- und
Almdörfern quer über die Alpentäler und -hänge verteilt, ist in
seiner Verbreitung und Form vor allem auch eines: ein Produkt von
Masse und Geschwindigkeit, mit der die Industrialisierung Fahrt
auf- und Raum eingenommen hat. In dieser Geschwindigkeit
gehen Bezüge verloren, Begriffe. Der Landschaft, der
Formensprache alpiner Architektur, bäuerlicher Architektur, aus
der sich das Chalet gewissermaßen entwickelt. Ausgehend von
den Villen und dem Landschaftsverständnis der venetianischen
Patrizier gelangt Dietmar Steiner in den 80ern zu einer
Beobachtung, die nicht obsolet, sondern weiterhin Gültigkeit
besitzt: Zwei Erfahrungen können wir (…) aus der Konzeption der
Renaissancevilla entnehmen: 1 die Schönheit einer Landschaft zu
sehen, (…) unser ganzes Verhältnis zu ihr, ist bestimmt vom
Gebrauch den wir von ihr machen und den Erwartungen, die wir insie hineinprojizieren.
2 die Villa am Land war über Jahrhunderte
hinweg der ideale Haustyp um städtisches Leben in freier Natur
auszudrücken. Die Aktualität dieser Erfahrungen für unsere heutige
Situation verblüfft: was sind die bunten Landschaftsbilder in den
Tourismusprospekten denn anderes als Ideallandschaften. (…) das
freistehende Einfamilienhaus in den Alpen hat mit Sicherheit mehr
historische Verwandtschaft mit der Vorstellung einer, von einem
großen Park umgebenen Villa, als mit dem, ebenfalls freistehenden,
aber aus einem anderen Gebrauch der Landschaft resultierenden,
Bauernhaus. (…) Die Landhäuser und Chalets waren mit
klassizistischen und neugotischen Elementen geschmückt, (…).
diese Form der kulturellen Besetzung des Landes war nur gemildert
durch das schlechte Gewissen, das folglich zu folkloristischen
Motiven griff; nicht Bäuerliches vom Ort, Volkstümliches aus der
ganzen Welt wurde an Häuser angebracht. Im Laufe des 19. Jhdts.
präzisierte sich dieses Konglomerat an Vorstellungen und
Wünschen zum „Heimatstil“. Getreu den – auch ästhetischen –
Marktgesetzen handelte es sich hier um eine totale
Industrialisierung formaler Elemente.
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Ich erinnere mich, noch mehr Begriffe auf einem Zettel stehen
gehabt zu haben, als eine Art Alphabet des Chalets, nach einem
ersten Gespräch mit der Bereichsleiterin Architektur und
Hausforschung am Ballenberg Freilichtmuseum der Schweiz in
Hofstetten bei Brienz. Irgendwo scheint er jedoch verloren
gegangen zu sein. Mit ihm die Überlegungen, Begriffe, der
Versuch einer Sprache, eines Sprechens.
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Nachdenken über Verlust, während ich ans Chalet denke. Über das
Verlorensein, das Verlieren von Sprache, von Bezügen,
Bezugnahme, Wissen um Herleitungen, Verbindungen. Höre einer
Freundin zu, Architektin, während wir gemeinsam an einem
Nachmittag durch einige der vielen Alpen- und Chaletdörfer in den
uns umgebenden Landschaften laufen. Sie erzählt vom Bauen mit
der Landschaft nicht in sie hinein, vom Wissen um Material und
Ausrichtung, lokalen und regionalen Typologien des Bauens, die
eine Einordnung der unterschiedlichen Hauslandschaften möglich
machte, vor allem auch im alpinen Raum, von der Ausrichtung nach
dem Wetter, der Faserrichtung von Holz, der Fassade, die die
Funktion des Grundriss widerspiegelt: wo Wohnraum, wo
Lagerstätten, wo das Tier zu fnden gewesen ist, usw. sie sagt,
während wir durch die künstlich angelegten Dörfer gehen, ich
habe hierfür keine Begriffe, keine Referenzen, keine Herleitungen,
keine Vorbilder, weder konstruktiv, funktional oder als Bezogenheit
auf etwas. Ich kann das als Architektur nicht verhandeln. Alles, was
ich sehe, was ich hier fnde, existiert ohne Einordnung, in einer
Verlorenheit. Es könnte, als Setzung in der, eigentlich in die
Landschaft, überall, oder nirgendwo sein. Als Architektur bleibt hier
nichts übrig, außer der Name, das Etikett. Ich wandle, wie durch
eine Kulisse, eine Staffage, eine Sammlung von und aus Zitaten, die
in keiner Beziehung zueinander stehen.
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wie also weiter von hier? oder
was weißt du schon von prärie