08/07/2025

Vom Besseren Leben – Notizen zum Chalet als Architektur- und Kulturgeschichte, eine im Rahmen des steirischen herbst performte Lecture des Autors Christoph Szalay, erscheint 2025 in zwei Teilen.

Teil I. mit Prolog, wird in der Ausgabe #123 Wutchalet der perspektive Ende Juni 2025 veröffentlicht. Teil II. Notizen zum Chalet als Architektur- und Kulturgeschichte lesen Sie hier auf gat.news.

Am 8.7.2025 liest Chris Szalay ab 17 Uhr beide Teile im Grazer Literaturbüro BLAETTERN, Gartengasse 28.

08/07/2025

Frühe romantische Darstellung der Schweiz mit Chalet. Gabriel Lory Père, Ansicht des Rosenlauigletschers mit Wellhorn und Wetterhorn, 1823. Quelle: Helvetic Archives

2 Vom besseren Leben oder Was zählt, ist nur, was wahrhaftig vorhanden, benennbar ist: Bretter, Latten, Zäune, Verschläge, Büsche, Geröll und wieder der Staub, der nie zu kehren ist. Und Höfe, aber das ist nur eine Vermutung, Höfe hinter all den Toren, jenen, die die Zwischenräume so luft- und blickdicht verschweißen, dem strengen geometrischen Gesetz der Einkauerei gehorchend: Haus und Tor, so geht’s im Wechsel immerfort. (Notizen zum Chalet als Architektur- und Kulturgeschichte)

 

*

was weißt du schon von prärie

fragt Daniela Seel

*

was weißt du schon von Chalets? schreibe ich und

wem gilt diese Frage?

*

was weißt du schon von …?

*

was weißt du schon?

*

Wasssssssssssssffffffffff?

*

notieren: am Anfang des Chalets stehen die Alpen

*

na bumsti

*

in Dietmar Steiners Buch Häuser im Alpenraum, erschienen 1982,

fndet sich ganz zu Beginn eine Abbildung. Darauf zu sehen: zwei

unterschiedliche Schemata alpiner Architektur im südbayerischen

Raum. die zentralen Begriffe dazu sind: Vielfalt auf der einen und

Monotonie der Hauslandschaften auf der anderen Seite.

Steiner schreibt: Nicht älter als etwa hundert Jahre ist nämlich die

Bauaufgabe, der dieses Buch gewidmet ist: Einfamilienhäuser und

Feriendomizile im Alpenraum sind eine Erfndung des Städters im

19. Jahrhundert. Seit dieser Zeit ist der Bürger, der Fremde aus der

Stadt, überhaupt erst in der Lage, die Schönheit der

wildzerklüfteten Bergwelt zu erkennen. Noch die Reisenden des 18.

Jahrhunderts waren froh, auf ihrer Bildungsfahrt nach Italien die

Alpen überwunden zu haben, aus dieser unharmonischen und

gräßlichen Bergwelt entlassen zu werden.

Steiners' Schreiben ist tendenziös – die Einleitung und auch die

darauffolgenden Kapitel, ja, aber irgendwie genau darum auch

funny, fnde ich. Vor allem, weil er in den zentralen Punkten richtig

liegt, es aus einem Wissen um architekturhistorische Positionen

und Praxis heraus formuliert ist.

*

bis weit ins 17. Jahrhundert galten Berge als Wildnis, als leerer

Raum. HIC SUNT LEONES. Es waren Orte der Mythen und

Imagination, bevölkert von Wunderwesen, die man auf keinen Fall

aufsuchen sollte, wollte man nicht auf ewig verloren gehen. Etwa

der Forstteufel, gesehen in einem Waldstück nahe Salzburg,

aufgezeichnet u.a. von Conrad Gessner 1551. Wer es dennoch

versuchte, erfuhr Konsequenzen. 1387 etwa sperrte man den

Mönch Niklaus Bruder und fünf weitere geistliche Begleiter ein,

beim Versuch den Pilatus, eine Gebirgsgruppe am

Vierwaldstättersee, zu besteigen.

*

schlage Bildungsreise nach, Grand Tour, eine Angelegenheit des

Adels, später des gehobenen Bürgertums, beginnend in der

Renaissance. Die Reise war das vorläufge Ende der Erziehung-

Vertiefung von Sprachkenntnissen, Kultur, Status, Prestige.

Von hier nur mehr die Welt. Der Weg nach Italien, zu den Orten

und Stätten des antiken Roms führte schließlich und stets durch die

Alpen. Immer wieder die Alpen.

*

mit der Aufklärung,der Klassik, allen voran der Romantik im 18

Jhdt. beginnen sich Bezug und Verhalten zur Natur zu verändern.

Die Berge werden entdeckt, als Sehnsuchtsort, als Möglichkeit,

einer Erfahrung, die es so nirgends anders zu geben schien. Eine

Erfahrung nah am Himmel, losgelöst von den Alltäglichkeiten des

Lebens. Die Berge werden beschrieben, gezeichnet, erstiegen.

Auch der Alpinismus fndet seinen Anfang, ist eine europäische

Erfndung, eine Erfndung, um auf Dietmar Steiner

zurückzukommen, der Stadt, allen voran London. Jeder der großen

Alpengipfel ist eine Geschichte des Empires und des 19 Jhdts.

Generell: das 19. Jhdt. Fuck me. Gefühlt, und ja, feelings sind keine

politische und historische Kategorie, still, alles oder vieles erscheint

dort und dann und manchmal und oft genug frage ich mich, was,

wenn es anders gewesen wäre, wenn es sich zurückgehen ließe.

Nationalstaaten formulieren sich, die Idee der Nation und all das

daran hängende Ideenkonstrukt. Heimat etwa, ist ein Begriff, der

bis dahin nicht existiert. Erst die Gebrüder Grimm entwerfen ihn. In

mancher Hinsicht ist das 19. Jhdt. Triebfeder, Zündschnur vieler

jener Konfikte und Entwicklungen, die das darauffolgende 20.

Jhdt. heimsuchen und bis heute weiter wirken.

*

notiere: Heimsuchung=Schicksalsschlag, den man als Prüfung oder

Strafe Gottes empfndet; Begegnung der mit Jesus und Johannes

dem Täufer schwangeren Frauen Maria und Elisabeth im Hause

Elisabeths; oder Synonym zu Haussuchung

*

(wieder) an Gespenster denken. wie Berge, sind auch sie gemacht

und gewachsen aus einer Kulturgeschichte, nie gewesen, sondern

stets Ausdruck von Zeit und Gesellschaft:en, etwa unser Bild der

Farbe Weiß, s. Casper the friendly ghost, etc. reicht zurück ins 18

Jhdt., die Tradition der Totenbestattung mit ungefärbter Wolle,

Leinen, etc. schreibt Susan Owens.

*

Robert Macfarlane schreibt Was wir als Berg bezeichnen, ist also in

Wirklichkeit ein Zusammenwirken der physischen Formen der Welt

mit der Vorstellung der Menschen - ein Berg des Geistes. Und die

Art und Weise, wie sich Menschen einem Berg gegenüber

verhalten, hat wenig oder gar nichts mit den eigentlichen Objekten

aus Fels und Eis selbst zu tun. (...) sie sind in die Existenz gedacht

worden.

*

auch das Chalet wird imaginiert. In die Welt geschrieben,

gezeichnet, später getragen. Auch hier immer und immer wieder in

und aus den Städten. Die Bewegung der Bildungsreisenden, die

Sehnsucht nach einer Ursprünglichkeit und Natürlichkeit, aus dem

Geist, den Gespenstern der Romantik heraus, trägt dazu bei, dass

aus einer historisch und funktional gewachsenen Architektur

Kulisse wird, Zitat, Sehnsucht, Imagination. Diese fndet sich quer

über den Kontinent verteilt in sämtlichen europäischen

Metropolen. Eng angebunden an die Geschichte der

Landschaftsgärten - der Nachbildung von Natur gemäß eigener

Absicht und Vorstellung - fnden sich Chalets in ebendiesen, vor

allem in jenen des Adels und des gehobenen Bürgertums. Prince

Albert, Ehemann der englischen Queen Victoria erhält 1850

ebenso ein Schweizer Chalet geschenkt, wie Erzherzog Johann

1803 ein Tiroler Haus in den Schlossgarten Schönbrunn setzt,

inklusive eines Bergbauern aus Tirol, der zur Beschauung der

Flanierenden samt einigem Tier dort lebt. Das Versetzen und die

Zurschaustellung der Bewohner:innen aus dem Alpenraum ist

gängige Praxis, vor allem im 19. Jhdt., vor allem im Rahmen der

Weltausstellungen, vor allem unter dem Mantel der Behauptung

nationaler Architektur, Identität, Geschichte ganz grundsätzlich,

sagen zu können, oder wollen: Hier, das sind wir, und dort, dort ist

jemand anderes, ganzganzganz anderes. Das Chalet als Exotismus,

als Konstruktion des Anderen, Fremden reicht so weit, dass es sich

nicht zuletzt in den afrikanischen Kolonien der europäischen

Länder wiederfndet. Als Behauptung, als Bestätigung der eigenen

gedachten, imaginierten Größe.

*

das Chalet also ganz grundlegend als nationale Erzählung. Das

Schweizer Haus, das Norweger Haus, das Tiroler Haus, usw. bis

heute fnden sich diese oder ähnliche Formulierungen in der

Benennung, nicht zuletzt im Rahmen Olympischer (Winter)Spiele,

eine Konstruktion ganz im Geiste nationaler Bestrebungen, die

ihren Anfang im, u guessed it, 19. Jhdt. fnden, fuck me, dieses

ewige 19 Jhdt., dieses Sprechen von Heimat, knappe 200 Jahre

erst alt und nicht mehr loszuwerden. wtffffffff*

würde sich ein Anfang des Chalets behaupten lassen, wäre es der

Blockbau im Berner Oberland, Schweiz sowie im angrenzenden

Waadtland. Im von Ernst Gladbach 1893 herausgegebenen Buch

Charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19.

Jahrhundert, nebst deren inneren Ausstattung heißt es dazu:

Obgleich die ältesten Holzbauten in einigen Gegenden des Berner

Oberlandes wie in Unterseen bei Interlacken als Ständerbauten

auftreten, so scheint sich doch der Blockbau dorten gleichzeitig

damit eingebürgert zu haben. (…) Auch hier erheben sich beide

Holzetagen auf einem als Keller benutzten hohen steinernen

Unterbau. (…) dies also vielleicht als Basis: steinerner Unterbau,

Holzetagen darüber., Blockbau. Außerdem: Translozierung, d.h.

die Möglichkeit, ein Gebäude Stück für Stück abzutragen und an

einer anderen Stelle wieder zu errichten, die Fähigkeit des

Nachbaus, der Nachempfndung, das Bauen, das Basteln einer

Fantasie, Und wieviel, wenn ich an das zeitgenössische Chalet

denke, oder das, was man damit bezeichnet, davon handelt,

ausschließlich davon, ein Gefühl zu evozieren. Die Möglichkeit zur

Translozierung aus dem Blockbau heraus ist vielleicht eines der

zentralen Merkmale des Chalets, zwar nicht inhärent als solches

angelegt, defnitiv jedoch als solches genutzt, vor allem durch die

aufkommende Industrialisierung in der zweiten Hälfte des, here we

go again, 19. Jhdts. Das Chalet, wie es verwendet und begriffen

wird, seitdem es von den Bildungsreisenden entdeckt, für gut

befunden und in die Parks und Gärten der Aristokratie überführt

worden ist, bis hin zu den heute unzählbaren Chalet- und

Almdörfern quer über die Alpentäler und -hänge verteilt, ist in

seiner Verbreitung und Form vor allem auch eines: ein Produkt von

Masse und Geschwindigkeit, mit der die Industrialisierung Fahrt

auf- und Raum eingenommen hat. In dieser Geschwindigkeit

gehen Bezüge verloren, Begriffe. Der Landschaft, der

Formensprache alpiner Architektur, bäuerlicher Architektur, aus

der sich das Chalet gewissermaßen entwickelt. Ausgehend von

den Villen und dem Landschaftsverständnis der venetianischen

Patrizier gelangt Dietmar Steiner in den 80ern zu einer

Beobachtung, die nicht obsolet, sondern weiterhin Gültigkeit

besitzt: Zwei Erfahrungen können wir (…) aus der Konzeption der

Renaissancevilla entnehmen: 1 die Schönheit einer Landschaft zu

sehen, (…) unser ganzes Verhältnis zu ihr, ist bestimmt vom

Gebrauch den wir von ihr machen und den Erwartungen, die wir insie hineinprojizieren. 

2 die Villa am Land war über Jahrhunderte

hinweg der ideale Haustyp um städtisches Leben in freier Natur

auszudrücken. Die Aktualität dieser Erfahrungen für unsere heutige

Situation verblüfft: was sind die bunten Landschaftsbilder in den

Tourismusprospekten denn anderes als Ideallandschaften. (…) das

freistehende Einfamilienhaus in den Alpen hat mit Sicherheit mehr

historische Verwandtschaft mit der Vorstellung einer, von einem

großen Park umgebenen Villa, als mit dem, ebenfalls freistehenden,

aber aus einem anderen Gebrauch der Landschaft resultierenden,

Bauernhaus. (…) Die Landhäuser und Chalets waren mit

klassizistischen und neugotischen Elementen geschmückt, (…).

diese Form der kulturellen Besetzung des Landes war nur gemildert

durch das schlechte Gewissen, das folglich zu folkloristischen

Motiven griff; nicht Bäuerliches vom Ort, Volkstümliches aus der

ganzen Welt wurde an Häuser angebracht. Im Laufe des 19. Jhdts.

präzisierte sich dieses Konglomerat an Vorstellungen und

Wünschen zum „Heimatstil“. Getreu den – auch ästhetischen –

Marktgesetzen handelte es sich hier um eine totale

Industrialisierung formaler Elemente.

*

Ich erinnere mich, noch mehr Begriffe auf einem Zettel stehen

gehabt zu haben, als eine Art Alphabet des Chalets, nach einem

ersten Gespräch mit der Bereichsleiterin Architektur und

Hausforschung am Ballenberg Freilichtmuseum der Schweiz in

Hofstetten bei Brienz. Irgendwo scheint er jedoch verloren

gegangen zu sein. Mit ihm die Überlegungen, Begriffe, der

Versuch einer Sprache, eines Sprechens.

*

Nachdenken über Verlust, während ich ans Chalet denke. Über das

Verlorensein, das Verlieren von Sprache, von Bezügen,

Bezugnahme, Wissen um Herleitungen, Verbindungen. Höre einer

Freundin zu, Architektin, während wir gemeinsam an einem

Nachmittag durch einige der vielen Alpen- und Chaletdörfer in den

uns umgebenden Landschaften laufen. Sie erzählt vom Bauen mit

der Landschaft nicht in sie hinein, vom Wissen um Material und

Ausrichtung, lokalen und regionalen Typologien des Bauens, die

eine Einordnung der unterschiedlichen Hauslandschaften möglich

machte, vor allem auch im alpinen Raum, von der Ausrichtung nach

dem Wetter, der Faserrichtung von Holz, der Fassade, die die

Funktion des Grundriss widerspiegelt: wo Wohnraum, wo

Lagerstätten, wo das Tier zu fnden gewesen ist, usw. sie sagt,

während wir durch die künstlich angelegten Dörfer gehen, ich

habe hierfür keine Begriffe, keine Referenzen, keine Herleitungen,

keine Vorbilder, weder konstruktiv, funktional oder als Bezogenheit

auf etwas. Ich kann das als Architektur nicht verhandeln. Alles, was

ich sehe, was ich hier fnde, existiert ohne Einordnung, in einer

Verlorenheit. Es könnte, als Setzung in der, eigentlich in die

Landschaft, überall, oder nirgendwo sein. Als Architektur bleibt hier

nichts übrig, außer der Name, das Etikett. Ich wandle, wie durch

eine Kulisse, eine Staffage, eine Sammlung von und aus Zitaten, die

in keiner Beziehung zueinander stehen.

*

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