16/08/2004
16/08/2004

Jörn Köpplers Diskussionsbeitrag als GAT Kommentar wie folgt:

to whom it may concern
Liebe Mitstreiter,
eine kurze Bemerkung des „einen Assistenten“ (des Schlimmen), der in dem Brief Daniel Bauers und dem anGedacht 020 von Karin Tschavgova immer damit zitiert wird, daß er auf der Nachsitzen-Veranstaltung in der TU Graz vom 23.6.04 eine „ausschließlich dienende, funktionellen Rolle der Architektur“ behauptete, worauf dann Volker Giencke der Hut hochgegangen wäre, was für den Assistenten durchaus beleidigend gewesen sein soll. Zum ersten wäre zu sagen, daß man schon wirklich sehr großzügig den Inhalt meiner Wortmeldung zur Rolle des Architekten in der Gegenwart interpretieren muß, um zum Ergebnis einer Aussage zu kommen, die in „der gekonnten Erfüllung von Bauherrenwünschen“ durch den Architekten (anGedacht 020) mündet. Nur kurz sei angemerkt, daß anderes gesagt war, daß nämlich Poesie in der Architektur – auf die wir uns als Ziel sicherlich alle einigen könnten – nicht mit einem halslauten Ich-Geschrei herbeizitiert wird, sondern vielmehr, dem griechischen Wortsinn der poiesis folgend, aus dem Hervorbringen des Anderen, Nichtsubjektiven, mit Adorno gesprochen: dem Nichtidentischen erwächst. Poetische Architektur wäre so verstanden das Sagen des Anderen, der Natur, den Dingen, anderer Wirklichkeit also, die im Sagen Achtung erfahren, die subjektive Herrschaft – in unserer Disziplin oft und ausreichend durch die selbststilisierten Künstlerarchitekten ausgeübt – ihnen einst nahm. Nachzulesen wäre das übrigens in der Ästhetischen Theorie des bereits genannten Adorno, auch Heidegger schreibt hierzu wichtiges und nicht zuletzt Rudolf Schwarz wäre zu nennen, der in diesem Sinne schon 1929 von einer Demut des Bauens sprach, ohne die die Moderne einer Krisis entgegengehen würde, was dann in anGedacht 020 wohl mit der Demut vorm Bauherren verwechselt wurde (bei Interessse ist unter http://baukunst.tugraz.at/koeppler/; >Essay ein Text von mir, „Neues, neues Bauen“, zur These der Demut von Schwarz publiziert). Zum zweiten ist zu sagen, daß ich gar nicht beleidigt bin, eher erstaunt über die Art und Weise, in der Volker Giencke sich diesen Thesen glaubte wehren zu müssen. Sein wildes, verbales Wirtshausumsichschlagen war durchaus lustig, das hilflose, argumentlose auf den Tisch hauen „so geht es aber nicht, daß hier einer zu denken anfängt“ aus Perspektive des Spektakels sicherlich interessant, aber: Einen von mir jederzeit geschätzten und gern praktizierten „inhaltlich geführten Streit“, bzw. Streitkultur, wie von Daniel Bauer und Fabian Wallmüller eingefordert, sollte man das dann doch nicht nennen. Deshalb wohl auch die Ausladung aus der GAD-Jury, denn so sollte man nicht an einem Ort des Geistes auftreten. Ist uns dieser Geist etwas wert, sollten wir einen Stil, der eher aus Nachmittags-Talks und schlechten politischen Debatten bekannt sein dürfte, eben dort lassen. In diesem Sinne sehe ich nichts, was erschreckend an der Ausladung von Volker Giencke aus der GAD-Jury sein sollte, zumal ich selbst Mitglied der Vorjury des GAD-Awards bin, ein Aufeinandertreffen zwischen uns in der Endjury also ebenso unvermeidlich wie gleichzeitig völlig unkonstruktiv gewesen wäre. Zur Transparenz des Verfahrens des GAD-Awards wäre noch zu sagen, daß alle Vorjury-Protokolle auf der Homepage des Architektur-Dekanats veröffentlicht sind, zudem am 1.7.04 eine gut besuchte, öffentliche und allseits angekündigte Diskussionsveranstaltung zur Auswahl der Diplomarbeiten für die Endjury im Foyer des Hauptgebäudes stattfand, in der jede bis jetzt ausgewählte Arbeit gemeinsam mit den VerfasserInnen vor Publikum noch einmal gemeinsam besprochen wurde. Mit freundlichem Gruß, Jörn Köppler

Lieber Jörn Köppler,
unter Mitstreiter versteht man hierzulande Menschen, die mit einem für eine gemeinsame Sache kämpfen - an einem Strang ziehen, sozusagen. Bei dieser Diskussion im GAT (siehe aktuelle Kommentare) werden unterschiedliche Positionen und Behauptungen gegenübergestellt, also scheint mir „Mitstreiter“ nicht angebracht.
Vielleicht lässt sich aus dieser unklaren Wortwahl auch analog ableiten, dass Sie bei jener „Nachsitzen“ Veranstaltung Ende Juni zur Rolle des Architekten etwas gesagt haben, was mit der von Ihnen nun „kurz angemerkten“, dann doch ziemlich ausführlichen Erläuterung zu Ihrer damaligen Wortmeldung, die sie gesagt haben WOLLEN, nichts zu tun hat. Zumindest mit meiner Wahrnehmung als aufmerksamer Zuhörer, aber auch für Giencke, der Sie dann ja völlig missverstanden haben muss.
Ich lasse den Vorwurf sehr großzügiger Interpretation Ihrer Wortmeldung nicht gerne auf mir sitzen und schlage daher vor, das Video der Veranstaltung gemeinsam anzuschauen, um festzustellen, ob die Missverständnisse aus ungenauer, schlampiger Auslegung meinerseits oder vielleicht doch aus undeutlicher, missverständlicher Aussage Ihrerseits entstanden sind. Das müsste doch nachvollziehbar sein.
Gründlich missverstehen wollen Sie jedoch Giencke (den Sie offensichtlich nicht kennen), wenn Sie meinen, dass er sich gegen das Denken und in diesem Fall Ihr „zu Denken anfangen“ wehrt. Diesen Satz von Ihnen, gespickt mit Vokabeln wie „wild, Wirtshausumsichschlagen, hilflos, argumentlos, auf den Tisch hauen, Perspektive des Spektakels“ halte ich übrigens für unangenehm untergriffig und damit den verbalen Kraftmeiereien Gienckes um nichts nachstehend.
Aus Ihren weiteren Ausfolgungen ziehe ich den Schluss, dass Sie weder vom Wesen (Sein, Eigenheit) noch von der davon abzuleitenden Qualität der Architektur der Vertreter der Grazer Schule etwas verstehen können, denn auch die ist geprägt von einer Emotionalität (die sich in skulpturaler Bearbeitung der Form bis zur Üppigkeit, Farbenfreude etc.), die Ihnen fremd sein muss, weil sie nicht auf ästhetische Theorien zurückzuführen ist.
An der TU Graz, in deren Dreier Zeichensaal auch ich meine Lehrjahre verbracht habe, war eine Art zu Diskutieren anerkannter Teil einer Streitkultur, die emotionsgeladen, scharf, in der Hitze des Gefechts auch beleidigend war, weil man eben den Inhalt herausgehört hat und die Form dabei zwar ärgerlich oder schmerzhaft, aber letztlich nebensächlich war. Genauso könnten Sie Volker Giencke sehen, wären Sie in der Lage und willens, ihn zu verstehen. Dann wüssten Sie, dass diese Art, zu diskutieren auch ein „inhaltlich geführter Streit“ sein kann, mit Nachmittags-Talks (ich zitiere Sie) nicht das Geringste zu tun hat und dass es keinen Grund gibt, ihn auszuladen. Was, wie ich vermute, auf Ihre Anregung hin geschehen ist, zumal Sie meinen, „ich selbst Mitglied der Vorjury des GAD-Awards bin, ein Aufeinandertreffen zwischen uns in der Endjury also ebenso unvermeidlich wie gleichzeitig völlig unkonstruktiv gewesen wäre“. Wenn Sie also wirklich nicht beleidigt ob der Giencke‘schen Anwürfe sind, wie sie behaupten, sondern nur erstaunt, wie sich dieser „diesen Thesen glaubte, wehren zu müssen“, dann müsste es gerade Ihr Bestreben sein, Giencke der Jury zu erhalten und treffen zu können, um das mit ihm zu klären - auszustreiten, wie wir hier sagen.
Ohne gescheit irgendwelche Theoretiker zitieren zu können und zu wollen, möchte ich noch eines anmerken: Nicht immer, zumindest nicht oft in der Geschichte, vielleicht sogar nie ist großer Geist (Ihr Wort!) mit Glacehandschuhen aufgetreten und political correctness oberste Maxime gewesen, wenn es darum ging, Meinung zu haben und zu äussern, Zustände anzuprangern, zu diskutieren und zu verändern. Denken Sie an Goya und seine die herrschende Schicht schockierenden Bilder, an Picasso mit der Guernica, an Thomas Bernhard, den Übertreiber (den Sie eigentlich dann auch nicht schätzen können) etc.
Ein Rat: Wollen Sie in Graz heimisch werden und die Grazer Architekten und Architektur verstehen - die der sogenannten „Grazer Schule“ jedenfalls - dann versuchen Sie, bei solchen Diskussionen weniger auf die Form zu achten, sondern den Inhalt herauszuschälen (ich will nicht behaupten, dass es immer um einen geht). Sonst sind Sie hierzulande auf dem Holzweg - dem Heidegger’schen oder sonst einem.

P.S: Außerdem bleibe ich dabei: Den ärgsten Untergriff an jenem „Nachsitzen“ Abend hat Professor Hubeli getätigt, als er meinte, dass er bei einem Besuch im Graz der späten 80erJahre oder frühen 90er keine Grazer Architektur vorgefunden habe, sondern nur Lifestyle. Das war eine wirkliche Beleidigung, allerdings fast unbemerkt (und nur von mir widersprochen), in einem Nebensatz untergebracht, höflich gesagt, vielleicht sogar mit einem freundlichen Lächeln vorgebracht. Da lobe ich mir fast die Verbalinjurien eines Volker Giencke. Die kommen geradlinig und nicht hinterhältig, sind in ihrer Emotionalität einzuschätzen und inhaltlich von der Form abstahierbar.
Mit Gruß Karin Tschavgova

Verfasser/in:
Redaktion GAT Graz Architektur Täglich
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