29/04/2011
29/04/2011

Josef Schützenhöfer "Please don’t pass me by"

Die empty spots auf der Hauptbrücke, vor dem Kunsthaus und in der Griesgasse nach Entfernung der Sitzbuchstaben

Olivia Fürnschuss "Cut 2011"

Theater im Bahnhof "Bettlerautomat"

Gustav Troger "Glück, Hans vom Baumarkt". Fotos: E. Gruber

Feine Kratzspuren auf dem Asphalt sind verblieben: auf der Hauptbrücke, vorm Kunsthaus, in der Griesgasse. Jetzt sind sie also weg, die Sitzbuchstaben. Man suche einen neuen, sicheren Platz, heißt es. Die Gefahr eines Designs, das einen erschlägt, war dem Stadtbauamt dann doch zu riskant. Dafür ist ein anderer Buchstabe wieder da. Das in Gegenentwurfweite hängende Transparent auf dem Schloßberg hat wieder sein glückliches „n-de“ gefunden. Und für alle Form-follows-feedback-Guerillas, die in den letzten Wochen Design zu Staub oder gar zu Beton gemacht haben und möglicherweise neue Oberflächlichkeiten planen, hat die Creative Industries Styria schon einmal eine Warnung parat. Ab 6. Mai läuft der Designmonat Graz an. „30 Tage lang ist Graz im Ausnahmezustand“ ist dazu auf der Homepage der CIS zu lesen. Eine Wortwahl, die bei der aktuellen Weltsituation bei so manchem Kreativen Gänsehaut als Design erzeugt.

Ein wirklicher Ausnahmezustand beginnt für viele Menschen unter uns schon eine Woche früher. Just am Tag der Arbeit tritt das Bettlerverbot in Kraft. Dann sollen andere Sitzer entfernt sein, für die jedoch kein sicherer Platz für später gesucht wird. „Betteln ist Arbeit“, sagt dazu der Maler Josef Schützenhöfer, der seit voriger Woche im Stadtmuseum Graz einen Beitrag zur Ausstellung „Wir sind Bettler“ gestaltet hat. Er unterläuft so eines der beschämenden Hauptargumente des Regierungsbeschlusses, dass heute ja niemand mehr betteln müsse. Ein 100-Euro-Schein hängt neben dem menschengroßen Porträt eines Roma. Es wäre das Honorar für sein Modell, Ladislav Alocai, der tatsächlich verschwunden und unauffindbar ist. Kuratiert von Martin Behr und Astrid Kury haben rund zwanzig Künstler ihre Gegenpositionen geliefert.

Olivia Fürnschuss nimmt in „CUT 2011“ die Situation nach dem 1. Mai schon vorweg. Die Bettler in der Innenstadt sind auf ihren Fotos nur mehr als weiße Flecken zu sehen. Noch bissiger kommentiert das „Theater im Bahnhof“ das so oft vorgebrachte „Stören des beschaulichen Stadtbildes durch den Bettler“. Ihr Bettlerautomat, eine überdimensionale Pappschachtel mit Münzschlitz, verbirgt den darin sitzenden Bettler vor der Öffentlichkeit. Kein Passant, auch kein Gebefreudiger, braucht so mehr der Armut ins Auge zu schauen.
Eine der subtilsten Arbeiten liefert Karl Grünling. Er spendet nicht, er kauft beim Bettler ein. Für sein Kartonarchiv erwirbt er die von den Bettlern selbst gestalteten Spendenschilder. Sie wären auch eine treffende Antithese für den Designmonat.

Subversiv erweitert Gustav Troger das Figurenangebot von Gartenzwerg bis Buddha fürs traute Heim. Sein goldener Bettler „Glück, Hans vom Baumarkt“ sucht noch nach einem Platz in der Gartenidylle des Kleinstbürgers. Wie schnell auch dieser Typus mit vollem Einsatz zum Bettler mutiert, wenn Geld nichts kostet, zeigt die Ausstellung programmatisch am Eingang. Der Videoloop von Christoph Schlingensiefs Geldabwurfaktion im Rahmen des steirischen herbst 1998 zeigt nochmals eine gierige, amorphe Masse von Grazer Bürgern, der für einen Gratisschein nichts zu peinlich ist. „Wir waren damals aber auch mittendrin“, erzählte einer der bei der Vernissage anwesenden Roma schmunzelnd. Es gibt sie also doch, die Momente, in denen jede Berührungsangst mit der ärmsten Gesellschaftsschicht wegfällt.

AUSSTELLUNG
Wir sind Bettler
_ Ausstellungsort:
Stadtmuseum Graz
Sackstraße 18
8010 Graz
_ Ausstellungsdauer: Bis 05.06.2011
Geöffnet DI-SO 10.00-18.00 Uhr

Eine Kooperation von Akademie Graz und stadtmuseumgraz

P.S.:
Für alle Zweifler, die die Roma und Sintis in Graz nach wie vor als Mitglieder von organisierten Banden sehen, die sich auf unsere Kosten bereichern, hat Wolfgang Benedek, der Vorsitzende des Menschenrechtsbeirates der Stadt Graz, in seiner Eröffnungsansprache auf ein Direkthilfeprojekt aufmerksam gemacht, den Verein Direkthilfe:Roma. Näheres dazu unter
http://www.direkthilferoma.at/

P.P.S. – ohne weiteren Kommentar:
Ganz aktuell hat die Landesregierung nun eine Charta des Zusammenlebens beschlossen. Einer der Grundsätze darin lautet: „Wir erkennen vorurteilsbehaftete Bilder, die bestimmten Gruppen zugeschrieben werden und schieben diese beiseite, um hinter diesen Vorurteilen den Menschen wahrnehmen zu können.“

Verfasser/in:
Emil Gruber, Kommentar
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