18/10/2009
18/10/2009

Blick auf Linz vom Schlossmuseum

Blick vom Riesenrad auf "Höhenrausch" - Kunst über den Dächern von Linz. Eine Ausstellung in 7 Stationen. Dauer: bis 31. Oktober 2009. Architektur von Atelier Bow-Wow, Tokio (in Zusammenarbeit mit Riepl Riepl Architekten, Linz)

Blick von der Landstraße zu "Höhenrausch"

Installation Lightness, the way to get you lighter (im Rahmen von Höhenrausch) von Shih-Yung Ku

Ursulinenhof, immer noch ohne Dach

Schlossmuseum Linz - Südflügel. Planung: HoG architektur, Graz

Schlossmuseum Linz - Südflügel. Planung: HoG architektur, Graz

Projekt "In Situ" - Markierungen von Orten des nationalsozialistischen Terrors: Konzept und Idee von Dagmar Höss, Monika Sommer, Heidemarie Uhl

Ruhepol Centralkino: Konzept und Architektur von Roland Gnaiger, Richard Steger, Tobias Hagleitner, Wilhelm Gunar (Die Architektur/Kunstuniversität Linz)

Ruhepol Centralkino, Sanitärraum

Der Kranke Hase//verrückt nach Linz: Idee und Konzept: Susanne Blaimschein, Beate Rathmayr/KunstRaum Goethestraße xtd

Blick von "Höhenrausch" zum Riesenrad. Fotos: Emil Gruber

EMIL GRUBER
Die Hoffnung der Nachhaltigkeit – Linz 09 im Herbst

Ich möchte Andy W´s Vermächtnis nicht bekleckern. Noch dazu, wenn es gerade gut portioniert in Graz Stopp auf seiner Never-ending-Tour macht. Aber was ist mit Andys Prophezeiung des menschlichen Viertelstundenruhms? Da dachte er wohl in zu engem Rahmen. Mittlerweile heben am goldenen Baum der globalen Aufmerksamkeit schon längst auch ganze Städte ihr Haxerl.

Sie kennen die Bilder: Wenn sich in einer Stadt plötzlich Menschen, die sich vorher entweder nie gesehen oder nie gemocht haben, sich einander synchron jubelnd um den Hals fallen, ist entweder ein Krieg aus oder man wurde Weltmeisterstadt. Oder noch besser: Olympiastadt. Völkerverbindendes wird zum Marathon. Vorher auf der Ersatzbank sitzende Infrastrukturen dürfen aufs Spielfeld. Tolle Jobs erwarten eine Laufbahn. Spektakuläre Bauten springen hoch. Nachhaltigkeit = eigentliche Eröffnungszeremonie nach den Schlussfeiern = dauerhaftes Einmarschieren von qualifizierten Urbanathleten ins Stadion Stadt. Handel, Gewerbe, Dienstleistung, Tourismus ganz oben am Grundstockerl.

Sportlich weniger fitte Städte messen sich auf den Nebenparcours Kulturhauptstadt, Architekturhauptstadt oder bei der UNESCO Creative Cities Network mit wuchtigen Auszeichnungen wie „City of Design“ aka Music aka Cinema etc. Alle wollen, müssen, können nicht anders, es geht ja ums Überleben im Dickicht der Städte von heute. Man denke nur an so glorreiche Zentren der Antike wie Angkor, Babylon, Chan Chan, Memphis (Ägypten, nicht Tennessee), keine gescheite nachhaltige PR, heute nur mehr Ruinen.

Daher einmal ehrlich. Waren Sie schon in Popayan (2007 City of Gastronomy) auf eine sopa di vigilia? Haben Sie in Iowa City (City of Literature 2008) einen Kurs im Creative Writing belegt? Stoppten Sie auf dem Weg zum wohlverdienten Tauchurlaub am Roten Meer in Aswan (City of Crafts and Folk Art 2005), um nubischen Tänzen zuzuschauen?
Nein? Das lag wohl daran, dass Sie gerade in Lyon (City of Media 2008) neueste Egoshooter Games ausprobieren wollten, ich verstehe. Dafür wissen Sie sicher sofort – ohne jetzt zu googeln – wo 2002 die olympischen Winterspiele statt gefunden haben. Mich zieht die Pracht von Mormonenheiligtümern seit damals jedenfalls magisch an. Mein persönliches „I werd narrisch“-Outing hatte ich erst 2006, als Cordoba die Kulturhauptstadt Amerikas wurde. Dass Jerusalem als aktuelles arabisches Pendant glänzt, gilt ja ohnehin als Allgemeinwissen.

Auch wir in Österreich haben ja mittlerweile mehr zu bieten als eine zum Sound of Music von Salzburg diretissima in die Schweiz trappsende Julie Andrews, Männchen machende Pferde in Wien oder den Doppelolympiasieger Innsbruck. Graz hat es 2003 vorgelegt, Linz 2009 wiederholt: Wir sind Kulturhauptstadt.

Sechs Jahre danach ist in Graz ein freundlicher Außerirdischer übrig geblieben, dem durchaus mehr Besucher in den Bauch kriechen könnten. Oder eine elegante Veranstaltungshalle an der Peripherie, die nur sporadisch zum Einsatz kommt und sich nicht gerade durch eine vernünftige öffentliche Verkehrsanbindung auszeichnet. Die attraktive Murinsel ließ jeden Gastronomen, der sie mit einem neuen Rezept enterte, bisher finanziell stranden. Andere Wahrzeichen von 2003 haben zu neuen Standorten reisen müssen, nach Seiersberg, Hartberg oder Bruck. Nachhaltige Schulden trotz erhöhter Tourismusfrequenz plagen die Stadt Graz noch immer. Die Wiederbelebung des Lendviertels kann auf der Habenseite verbucht werden, seit junge Selbstständige dort in seinerzeit kostengünstige Wohn- und Arbeitsräume eingezogen sind. Doch mittlerweile haben auch die Investoren diese Gegend entdeckt. Das Perpetuum mobile der Verdrängung wird wieder angeworfen und das junge Wilde nach und nach ins zahlungskräftigere bürgerlich Attraktive umgeformt. Dafür schimmert nun für Graz die „City of Design“-Zukunft und damit bleibt ja wieder alles besser.

Linz hat seinen Kassensturz ja noch vor sich, ist derzeit beim herbstlichen Dessert. Die architektonische Menufolge ist abgeschlossen, das neue Ars Electronica Center, der stählerne Südflügel des Schlossmuseums, die Revitalisierung des Posthofs haben das Stadtbild mit neuen Akzenten verändert. Die als einer der Höhepunkte gedachte Aussichtsplattform „Linzer Auge“ kam auf der Donausuppe dagegen nie richtig ins Schwimmen und bedeutete ein 300.000 € Festmahl für die Fische. Nach dem verheerenden Brand vom Juni wartet im Herzen von Linz der Ursulinenhof immer noch auf einen neuen Dachstuhl. Beim durchaus gelungenen und gut besuchten Höhenrauschprojekt, einer Möglichkeit zu einem kleinen Rundgang auf den Dächern der Stadt, kann auch eine Fahrt am dort oben aufgestellten Riesenrad nicht darüber hinwegtrösten, dass Linz eine Industriestadt bleiben wird, von Dampfsäulen umzingelt. Freilich finden noch eine Reihe von spannenden Theater- und Musikaufführungen statt, Podiumsgespräche, Performances und Ausstellungen. Auch Linz hat das Kulturhauptstadtjahr nicht nur mit Wohlfühlprogrammen gefüllt, sondern sich seiner Geschichte im Dritten Reich ausführlich gestellt. Dafür Respekt.

Doch abseits der Hauptverkehrsrouten ist Linz 09 nicht wirklich mehr zu spüren. Während am Samstagnachmittag die Menschen in der Landstraße in Geschäfte strömen, ist in der „Bibliothek der 100 Sprachen“ kein Besucher zu finden. Der Container vor der Landesbibliothek soll als Treffpunkt der Kulturen Linzer jeder Herkunft zusammenführen. Im benachbarten Volkspark hat das Projekt „Der kranke Hase“, das Linz über sechs Monate mit Interventionen und Installationen im öffentlichen Raum bespielte, seinen Abschluss. Die Antwort auf die Frage „Wie viel Verrücktheit verträgt Provinz?“ interessiert gerade ein paar Dutzend Menschen. So wirkt das Fußballspiel von ein paar als Hasen und Igel verkleideten Erwachsenen auf einem Feld voller Bäume eher unfreiwillig merkwürdig. Noch einsamer geht es im aufgelassenen Centralkino, das zu einem an sich sehr sympathischen Ruhepol für erschöpfte Linz-09-Besucher umgestaltet wurde, zu. Gerade eine Handvoll Leute nutzen den Raum.

So stellen sich also auch für Linz die Fragen: Was wird die Kostenabrechnung nach dem Schlussfeuerwerk für die Stadt ergeben? Wird sich die Nachhaltigkeit einstellen, auf die jede Kulturhauptstadt im Vorfeld immer so setzt? Oder werden die Schrecken der Endbilanz auch Linz treffen? Wir werden es erfahren. Und nicht vergessen: 2010 auf nach Essen, Pėcs und Istanbul!

EMIL GRUBER
lebt in Graz
Bildermacher, Schreiber, Spaziergänger.
KONTAKT: katmai@aon.at
http://ortlos.com/photography

Verfasser/in:
Emil Gruber
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