27/09/2009
27/09/2009

Günter Eichberger
EINE PSYCHE WIE EIN SCHLAFZIMMERSCHRANK
Die Wunderkammer der Postmoderne

Hier bitte, hier haben wir einen Schuppen. Den werden wir jetzt schmücken. Mit Christbaumkugeln, Schokolikörfläschchen, Lametta, Paradeisern, Stangensalami, Schweizerkäse, Quargel, Schlierbacher, Hundekuchen, Badesalzen, Wunderkerzen, Autobatterien, Glühbirnen, Damenunterwäsche, Vorhängen und Briefmarken.
Sehen Sie sich diesen Schuppen an, was fällt Ihnen auf? Er ist nicht mehr als Schuppen erkennbar. Das ist der Sinn unserer Dekoration, der es darüber hinaus an Sinn durchaus mangelt: Das Eigentliche zum Verschwinden zu bringen.

Treten Sie ein, ich werde Ihnen die Wunder der Postmoderne anhand einiger Projektionen und gefälliger Installationen präsentieren. Betrachten Sie mich nicht als Architekten, betrachten Sie mich als Zauberkünstler. Ich bin ein heiterer Illusionist, kein betonschwerer Modernist. Ich werde Sie bezaubern. Wollen Sie mein Kaninchen sein? Da zieh ich Sie schon aus meinem Bau heraus.

Sehen Sie, dieses Haus, das ich seinerzeit in New York gebaut habe, um die amerikanischen Großstädte von ihrer Seelenlosigkeit zu erlösen, erinnert an eine Chippendale-Standuhr. Das hat Ironie, das müssen Sie mir lassen. Ein Haus, das über sich selber lachen kann. Meine Häuser haben das, dieses inwendige Lächeln. Sie sagen, du musst mich nicht so ernst nehmen, ich bin ja nur ein Haus wie du und ich, altes Haus. Tritt ein, bring Frohsinn rein. Da beginnt die Seele sich zu erwärmen, da geht einem das Herz auf. In so einem Haus hängt sich niemand auf. Das Haus würde es nicht zulassen. In meinen Häusern leben lauter fröhliche Menschen. Und wenn schon nicht fröhlich, dann haben sie zumindest einen ironischen Zug um den Mund. Sehen Sie, so! Ein Gesichtsausdruck, der jedes Wort in sein Gegenteil verkehrt. In meinen Häusern wünscht man Ihnen einen pechschwarzen Tag, frühen Tod und ständige Gallenkoliken, aber die Miene kündet vom Gegenteil. Schon lachen, schon prusten Sie los, kaum, dass Sie über die Schwelle getreten sind. Ich würde nur in meinen Häusern leben wollen, niemals in einem von Le Corbusier oder Gropius. In einem Bauhaus würde ich noch vor dem Abend Hand an mich legen. Warum nicht gleich in einen ostdeutschen Plattenbau, wenn schon trist, dann richtig!

Das muss ich mir in aller Bescheidenheit ans Revers heften, dass ich in meinen Bauten die Moderne ein für alle Mal überwunden habe. Das Ende der Geschichte in meinen geschichtslosen Häusern. Sie haben keinen Stil, diese Häuser, und das ist gut so, sie versammeln mehrere Stile in einer Weise, die jede Einheitlichkeit vermeidet. Das ist vor allem bunt. Kunterbunt wie meine Jacke. Der bunte Hund, so nennt man mich. Der den Architekten das Schwarz vom Leib gerissen hat. Der die Baukunst von ihrem Ernst befreit hat.

Nehmen Sie das nächste Beispiel. Habe ich in Stuttgart hingezaubert, sieht aus wie eine Stocktorte. Wie die Torte einer Tunte, wenn Sie mir diesen Scherz erlauben. Ich spreche an sich nur in Witzen. Und ich lache beim Plänezeichnen, jeder Entwurf ein gezeichneter Witz. Sie müssen verstehen, dass da nichts zu verstehen ist, dann haben Sie mich verstanden. Aber in meinem Unernst bin ich konsequent. Ich würde nie ein Haus bauen, das Ihnen, wenn Sie einziehen, über dem Kopf zusammenfällt. Meine Scherzbauten haben Bestand. Auch spätere Generationen sollen sich darüber zerkugeln können.

Jetzt wäre es mir nach einem Gläschen. Auch die Gläser habe ich selbst entworfen. Sehen Sie den Knick im Stiel? Das ist so dieser gewisse Knick, mein ganz persönlicher Knick, mit dem ich das feierlichste Fest sofort zu einer Kindergartenparty werden lasse. Man muss nur meine Gläser aufwarten, schon lacht das Kind im Manne, das Baby im Weibe. Ich trinke gerne beim Entwerfen, das gibt den Skizzen so eine gewisse Leichtigkeit. Früher habe ich einen Kompagnon gehabt, damit ich jemanden habe, der beim Entwerfen mit mir trinkt. Von meinem Trinkverhalten her bin ich ein traditioneller Architekt. Jeder Arbeitstag ein Archi-Gschnas. Eine Flasche auf den Tisch, schon steht das Projekt. Schwipsbauten hat man meine Arbeit früher genannt, ich habe es als Kompliment genommen.

Für Idi Amin habe ich eine flaschenförmige Residenz gebaut. Ja, mein architektonischer Humor kann durchaus kritisch sein, Amin hat das durchschaut und meinen Kompagnon den Hofkrokodilen zum Abendessen serviert. Da war ich schon in Sao Paulo. Dort habe ich mein Meisterstück geliefert, die begehbare Nebelwand. Da sind Sie sprachlos, was? Da fragen Sie sich, wie so etwas möglich ist. Sagen wir so: Es ist ein Geheimnis. Ein Gebilde, das sein Geheimnis in sich trägt. Würde das Geheimnis gelüftet, würde sich der Bau in Luft auflösen, tatsächlich zu Nebel werden, der sich hebt.

Das sind jetzt ein paar kleinere Objekte, die sich auf meine beliebten Aphorismen beziehen. „Alles ist Architektur“, das ist ein Satz, der in seinem allseitigen Anspruch ziemlich genau gar nichts sagt. Und das Objekt dazu ist unsichtbar. „Wir müssen die Architektur vom Bauen befreien“, ein Satz, der mir selber nie klar geworden ist. Das Objekt steckt in einem leeren Baukasten. „Wenn wir schon eine Schönheit wollen, dann eine sinnliche Schönheit elementarer Gewalt“, das passt gar nicht zu meinen Arbeiten, die so gar nichts Gewaltsames haben. Das Objekt dazu ist ein dekorierter Halbakt einer Freistilringerin.
Ein rechter Schalk bin ich schon, das sieht man mir an, ein Auge ist basedowartig, das andere hat sich fast in seine Höhle zurückgezogen. Ich hätte einen tadellosen Komiker abgeben können. Aber so baue ich meine Bühnen und trete hinter meinen Objekten zurück.

Ein Großteil meiner Arbeit besteht aus Pressekonferenzen. Ich kündige an, ich deute augenzwinkernd an, meist zeige ich kein Modell, sondern meditiere ein wenig über das Kultische an der Architektur, zeige einen kleinen Tanz, von dem ich behaupte, dass er die Quintessenz meiner Baukunst sei. Die Presse zeigt sich davon immer beeindruckt, manche Journalisten tanzen mit. Jetzt seid ihr auch Architekten, rufe ich ihnen zu, für diese paar Takte Architekten. Dann gibt es Champagner.

O ja, mein Leben war reich, mein Tod soll arm sein, ganz klein, ein kleinwinziger Tod in den Armen einer Mitarbeiterin. Aber wie ich mich kenne, werde ich mitten aus der Arbeit aus dem Leben gerissen, so dass ich den Tod gar nicht wahrnehmen werde. Ich habe gar keine Zeit, ans Sterben zu denken. Ich muss ans Werk. Und dieses Werk soll immer weniger mit dem letztlich doch ein wenig profanen Bauen zu tun haben. Mir schwebt ein Gesamtkunstwerk vor, aber ohne dieses Pathos, ohne alles weihrauchige Wagnerianische, wirklich ein Schweben, eine tönend-vielgestaltig-oszillierende Symphonieskulptur vielleicht, ich meine das nicht wörtlich, gibt es ja gar keine Worte für mein Vorhaben, für das ich endgültig in den Olymp katapultiert werde, in meinen Spezial-Olymp, in dem nur für mich Platz ist und den ich mir selbst gebaut und eingerichtet habe.

Aber vorher muss ich noch ein wenig bauen, damit ich das Fahrtgeld aufbringen kann. In Berlin einen Zoo für Nachttiere, New Orleans baue ich ganz neu auf, man wird noch für Katrina dankbar sein, in Paris einen Turm neben dem ordinären Eiffelturm, der wie ein ironischer Kommentar zu dieser Jammerbildung daneben sein soll, Graz hat angefragt, ob ich irgendwas machen will, ganz nach meinem Gutdünken, aber denen antworte ich nicht einmal, das würde nur meinem Ruf schaden.
Architektur ist die Konditionierung eines psychologischen Zustands. Und meine Psyche ist ungefähr wie ein Schlafzimmerschrank. So einen Schrank zimmere ich zusammen, eine 1:1-Nachbildung meines Bewusstseins. Und in diesen Schrank ziehe ich mich dann zurück.

Günter Eichberger, geboren 1959 in Oberzeiring/Stmk., lebt als freier Schriftsteller in Graz. Neben Theaterstücken und Hörspielen veröffentlichte er eine Reihe von Prosabänden; zuletzt erschien "Alias" im Ritter Verlag, Klagenfurt.

Verfasser/in:
Günter Eichberger
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+