30/08/2009
30/08/2009

Cuzco

Cusco

Sagrada Valley

Reise nach Machu Picchu

Machu Picchu

Machu Picchu

Meerschweinchen...
Alle Fotos wurden der Homepage von WELTWEITWANDERN - www.weltweitwandern.at, der Bildergalerie der Reise "Best of Peru" entnommen, Fotos: Manuela Zine

Auf dem Markt

Mais

WILHELM HENGSTLER
Peru 2/3

Yes? Yes? Reiseschriftsteller erzählen immer von sich. Entweder treuherzig wie Karl May (Ich! Oder Ich! Und Ich!) oder raffiniert wie Bruce Chatwin, der Reisebekanntschaften schildert und wie ein menschliches Kaleidoskop seine eigenen Eindrücke (sich) vermittelt. Und ich (Ich!) steigere diese Ansätze noch, indem ich von dem weiblichen Quechua-Guide Inti berichte, in den ich mich beinahe verliebt habe. Sie war im unnachahmlichen Stil der Achtziger gekleidet, die Peru modisch und musikalisch fest im Griff haben. Ihre Aufmachung – malvenfarbene Bluse mit rotem Blütenmuster, schwarze Weste, ausgestellte, braune Hosen und braune Schuhe – demonstrierte die Vergeblichkeit, mit ärmlicher Sorgfalt elegant zu wirken. Als es heißer wurde, setzte Inti noch einen roten Hut auf und ihr folgend wurde klar, dass sie keinen Tanga trug. Aber ihr Lächeln entblößte makellose Zähne, die ebenso dicht erschlossen waren, wie die Inkamauern von Cusco; dieses Lächeln gehörte einem viel jüngeren Mädchen. Inti führte uns durch das Sagrada Valley nahe Cusco - erst nach Pisac, wo die Inkas Terrassen bis über 3000 Meter anlegten, auf denen sie in unterschiedlichen Klimazonen Mais, Getreide, und vielerlei Kartoffelsorten anbauten, dann nach Ollantayambo, die Festung mit dem unvollendeten Tempel und zuletzt, als es schon fast dunkel war, nach Chinchero. Sie fühlte sich als Nachfahrin der Inkas, an denen sie ihre Kraft, Gesundheit und ihr Wissen um die Natur hervorhob. Und an jeden erklärenden Satz setzte sie mindestens drei „Yes!“ Einmal, um sich selber zu bestätigen, dass sie keinen Fehler gemacht hatte, dann ein fragendes “Yes?”, ob wir verstanden hätten und schließlich ein geradezu triumphierendes, die Welt bestätigendes “Yes!”

Machu Picchu ist der einzige Ort, wo der Fußgänger sich beim Blick auf die Berge gegenüber und dann hinab in das Tal des Rio Urubamba fühlt, wie auf einem Hubschrauberflug. Und das sei, sagte der Pilot bei meinem ersten Mal, das Zweitbeste im Leben. Man scheint sich wie in einem stufenlosen Kontinuum gleichzeitig vertikal und horizontal zu bewegen ähnlich wie beim Tauchen,. Im Übrigen hat eine Art Tourismuskartell die geheimnisvolle Ruinenstadt fest im Griff. Der Besucher kann nicht einfach nach Machu Picchu fahren. Er muss mit einem Zug erst von Cusco nach Aguas Calientes, um dort zu übernachten, damit er den Sonnenaufgang über Machu Picchu erlebt, oder wenigstens am Vormittag, vor Einlangen der Tagestouristen, unbehelligt dieser untergegangenen Kultur nachsinnen kann.

Aguas Calientes hat, sofern es je eine gehabt hat, keine gewachsene Identität mehr, und eine neue hat sich noch nicht entwickelt. Der neue Bahnhof und der parkähnliche Streifen entlang des Flusses genügen noch nicht für ein Zentrum. Die alten Hütten und neu hochgezogenen Hotels bzw. Konsumbuden, die sich steil den Rio Urubamba entlang ziehen, verstärken noch den Eindruck einer Goldgräberstadt. Wobei die Goldnuggets allenfalls aus dem Strom der Touristen gewaschen werden können. Eine Chance hätte sicherlich das (bis auf die Videofilme) ausgezeichnete Museum „Machu Picchu” geboten, aber das ist von den Archäologen 30 Minuten außerhalb des Ortes, am Beginn des Fußpfades hinauf in die Inkastadt, errichtet worden. Noch kurzsichtiger ist nur noch die Errichtung des mit österreichischer Hilfe gebauten Museums von Leymebamba, das den Begräbnisstätten der Laguna de Condores gewidmet ist. Wer es auf eigene Faust, außerhalb einer Tour, besucht, riskiert, in Leymebamba zu stranden. Authentisch, aber gut versteckt!

Das Museum in Aguas Calientes erklärt einige der Techniken, mit denen die
Inkas ohne Metallwerkzeug oder Rad ihre Granitbauten errichteten. Grundlage war wohl ein geradezu unheimliches Wissen um natürliche Materialien, um die Natur überhaupt. Während für die Moderne das Herrschaftswissen dem Naturverständnis meist geradezu entgegengesetzt ist, instrumentierten die Inkas ihr Naturwissen als Herrschaftsinstrument. Die wuchtigen Felsblöcke sprengten sie, indem sie mühsam eine Linie von Löchern in sie bohrten und diese mit Holz füllten, das mit Wasser getränkt wurde und eine den Granit sprengende Kraft entwickelte. Die vielen tonnenschweren Blöcke wurden auf Rollen bewegt. Die Inkas waren stark, sagte Inti, yes, weil sie über gesunde Nahrung verfügten, yes, aber viele starben, yes. Die Arbeiten an diesen Bauten, die stets auch religiösen Charakter hatten, war zugleich religiöser Dienst und Steuerleistung. Auf manche Steine sind noch die Zeichen des leistungspflichtigen Gebietes zu sehen. Aber wie Jantzen in seinem Buch über die gotischen, praktisch zeitgleich entstandenen Kathedralen schreibt, feierten die Arbeiter (Inkas und Lehenspflichtige) am Abend bei fröhlich lodernden Feuern ihre Tätigkeit. Ich habe da ehrlich gesagt meine Zweifel… Anders als in Europa entwickelten die Inkas jedenfalls nie einen Geldkreislauf und kannten – nach Inti – auch keine Sklaven. In dieser gleichsam sozialistischen, jedenfalls planwirtschaftlichen Theokratie war das Tauschmittel des Überlebens einfach die menschliche Arbeit.

Machu Picchu ist angeblich innerhalb eines Jahrhunderts erbaut und auch wieder verlassen worden. Die Gründe dafür sind unbekannt, genausowenig weiß man, warum die Chachapoyas, die Nebelkrieger, ihre Festung in Kuelap aufgegeben haben. Ähnliches ist mir nur von Fatehpur Sikri bekannt, der Stadt, die Aurangzeb als seinen Herrschaftssitz errichtet hatte und noch zu seinen Lebzeiten wieder verließ, allerdings litt die Stadt des Mogulherrschers von Anfang an unter Wassermangel und wurde auch deswegen aufgegeben.

Die ohnehin schwächelnde öffentliche Infrastruktur wird durch kartellähnliche Strategien der Tourismusbetreiber ad absurdum geführt. Der Touristenzug nach Aguas Calientes startet nicht in Cusco, sondern erst im zwölf Kilometer entfernten Poroy. Und auch die Karten für Bahn oder Shuttlebus bekommt man praktisch nur über ein Tourismusbüro. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in Chachapoyas ab, 50 km entfernt von der immer berühmter werdenden Chachapoya-Festung Kuelap. Es ist praktisch unmöglich, als Individualreisender in die immer berühmter werdende Bergfestung zu gelangen, die nicht einmal die Inkas restlos unterwerfen konnten. (Das ist erst den Spaniern mit ihren Seuchen gelungen). Gerechtigkeitshalber muss aber gesagt werden, dass die Tourismusbüros und Guides, hat man sich einmal auf sie eingelassen, preisgünstig und engagiert sind.

Leider lassen sich touristische First-Class-Destinationen nicht beliebig vermehren oder vergrößern. In Machu Picchu führt das mittlerweile zu dem Ergebnis, dass die Büros vormittags mehr Besucher hinauf in die Inkastadt lotsen, als dann ab Mittag an nicht organisierten Touristen auftauchen – also genau das Umgekehrte des ursprünglich Beabsichtigten. Kleine Kinder, die nicht wissen, wie ihnen geschieht, Schönheiten in Stöckelschuhen und geführte Gruppen drängen sich auf den unbequem hohen Stufen, und die Vorträge der Guides vermischen sich zu einem Esperanto vergangener Größe. Ähnlich klingen in Cusco die Indiofrauen, deren hintereinander gereihte Angebote an Inkamützen, Flöten oder Spielzeuglamas die Strophen einer schüchternen Litanei bilden. Cusco, die einstige Hauptstadt des Inka-Imperiums, liegt in einem über 3000 Meter hohen Talkessel, von wo aus es sich nach der offenen Seite hin über die Hochebene ergießt. Bei Nacht erinnern die Lichter an das L.A., das Michael Mann in “Heat” gefilmt hat – hier ist es allerdings eher ein Super-8-Film. Cusco ist eine Touristenstadt, eine Kulisse aus echten Kolonialbauten, wo Lokal an Lokal, Laden neben Laden und dazu jede Menge Straßenverkäufer zu sehen sind. Der mittels eines wahnwitzigen Einbahnsystems durch die engen Straßen geführte PKW-Verkehr stellt eine echte Gefahr für die Fußgänger dar. Die Gehsteige sind sehr hoch und zu schmal, um leicht aneinander vorbeizukommen. Dazu fühlen sich die Autofahrer, wie die Reiter zur Kolonialzeit, absolut überlegen. Der Fußgänger beobachtet mit Genugtuung, wie die Autoreifen auf dem schönen, alten Pflaster durchdrehen, aber die runden Steine erschweren auch ihm, dem Gejagten, das Vorankommen. Keine Chance für eine ideale Fußgängerzone. In den Lokalen schmeckt das einheimisch-exotische Alpaka-Filet ähnlich wie trockenes Rindfleisch. Über das Nationalgericht Cuy, d. h. Meerschwein, hat die Redaktion nähere Recherchen verweigert.

Ein Indio im weißen Hemd rennt in der Calle Hatunrumiyoc telefonierend an dem berühmten zwölfeckigen Stein vorbei. Und in der einbrechenden Dunkelheit geben Halbwüchsige auf den Plätzen einander Tanzunterricht… Am Morgen hockt eine während der Nacht angespülte Indiofrau mit ihrem Kind neben dem offenen Tor der Kathedrale, aus dem Messgesang klingt und das Gold der Altäre noch an die Gier der Konquistadoren erinnert. Die Plaza des Armas, wie die Hauptplätze überall in Peru genannt werden, könnte hier auch Plaza de los Dolores heißen. Hier sollte 1781 oder 1782 Tupac Amaru, der letzte Inkaherrscher, nachdem ihm die Spanier die Zunge herausgeschnitten hatten, von vier Pferden auseinander gerissen werden. Aber die Tiere schafften das nicht, und so wurde er geköpft – nicht ohne vorher mit ansehen zu müssen, wie seine Söhne enthauptet und seiner Frau das Ungeborene aus dem Leib geschnitten wurde – starker Tobak. Auch mir schießt noch bei jedem Schritt über den Hauptplatz der Schmerz vom angesprengten Steißbein hoch. Aber noch keine Überfälle, Betrügereien und dergleichen, dafür Respekt für die bedächtige, unaufhaltsame Arbeitsweise der Quechua.

WILHELM HENGSTLER ist Filmregisseur und Autor, ausgezeichnet mit dem Manuskriptepreis 2004, lebt in Judendorf/Strassengel bei Graz. Derzeit bereist Hengstler Südamerika und berichtet in mehreren Beiträgen exklusiv für GAT darüber.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler aus Peru
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+