03/06/2007
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sonnTAG 177

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Alle Fotos: David Klammer, Köln

„Turm in der Eifel“. Wie ein Bauer aus Wachendorf in der Eifel den Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor dazu bewegte, eine Kapelle für sein Feld zu entwerfen.

Von Lara Fritzsche

Die Idee hatte er lange mit sich herum getragen: Jahre, Monate, Tage und schließlich für die Dauer eines Sonntagsspaziergangs. Erst auf dem Rückweg, als er oben auf der Anhöhe stand, mit dem Ausblick auf seinen Hof in Wachendorf, hat er sie ausgesprochen. »Ich möchte hier auf meinem Feld eine Kapelle errichten«, hatte der Landwirt Hermann-Josef Scheidtweiler zu seiner Frau Trudel gesagt. Nachdem er den lang gehegten Wunsch erstmals geäußert und dieser die Unterstützung seiner Frau gefunden hatte, sollte es gleich los gehen. Ein Architekt musste her. In der Zeitung hatte Hermann-Josef Scheidtweiler von einem Architekten gelesen, der sich mit seinem Entwurf für das Diözesanmuseum in Köln gegen mehr als 160 Bewerber durchgesetzt hatte. Diese Reverenz hat den Eifelbauern beeindruckt, er erkundigte sich beim Erzbistum Köln nach der Adresse des Gewinners und schrieb dem Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor einen Brief. Ob er sich vorstellen könne, auf seinem Feld in Wachendorf in der Eifel eine Kapelle zu Ehren des heiligen Bruders Klaus zu bauen, den Schutzpatron der katholischen Landjugend- und Landvolkbewegung. Und ob er Lust habe, dafür mal ein »Plänchen« zu entwerfen.

Zumthor antwortete kurz darauf. Er, der gerade mit seinem Entwurf für das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors weltweit bekannt geworden war, erklärte in einem handgeschriebenen Brief an das Ehepaar: er sei momentan sehr gefragt, habe wenig Zeit und seine Honorare seien sehr hoch. Außerdem passe sein moderner Stil wohl nicht zu einer Feldkapelle in der Eifel.

Schlechte Nachrichten für die Scheidtweilers? Nicht ganz. Denn der Architekt von Weltruhm schrieb auch, dass der Schweizer Friedensstifter Nikolaus von Flüe, genannt Bruder Klaus, dem zu Ehren die Kapelle erbaut werden sollte, der Lieblingsheilige seiner Mutter sei. Deshalb könne ihn das Ehepaar ja, wenn er ohnehin in Köln sei, einmal abholen. Das war vor fast zehn Jahren.

Heute steht auf dem Feld oberhalb von Wachendorf ein 15 Meter hoher Turm aus rohem Beton. Die Bruder-Klaus-Feldkapelle ist ein fünfeckiger Monolith aus hellem Stein, der auf einem grasbewachsenen Acker thront. Es gibt keine Fenster, keine Blumenbeete, keine Marienstauen. Vor der Feldkapelle liegt das Dorf mit seinem Pferdehof und vielen kleinen grauen und rostroten Dächern. Die Straßen laufen wie Adern aus Wachendorf hinaus, weg zu einer anderen Ansammlung grauer und rostroter Dächer, dazwischen nur Grün: Wiesen, dann ein starrer dunkler Nadelwald und wieder hellere Laubwälder. Ganz hinten am anderen Ende des breiten Tales dreht sich langsam ein Windrad.

Ein Blick zurück: mächtig und trotzig steht die Feldkapelle da, wie der Turm einer maurischen Burg. Deplaziert erscheint sie dennoch nicht. Der helle Beton, angemischt mit Steinen und Sand aus der Gegend, wirkt weder kalt noch künstlich. »Mir ist der Turm erst sehr spät überhaupt aufgefallen, obwohl ich hier wohne«, erzählt Alexandra Reucher, die gerade das erste Mal den Kinderwagen dort hoch geschoben hat um sich die neue Attraktion von Wachendorf anzuschauen.

Weniger Tage nach seinem ersten Besuch in Wachendorf hatte Peter Zumthor den Scheidtweilers erneut geschrieben: »Es war ein schöner Nachmittag bei Ihnen und wir werden versuchen, Ihnen etwas Schönes zu entwerfen.« Die Mischung aus Sympathie und einem Namenspatron, den Zumthor aus den Gebeten seiner Mutter kannte, verhalf dem Landwirt Hermann-Josef Scheidtweiler zu einem »Plänchen« – und das gleich von einem Architekten von internationalem Renomee.

Wie bekannt dieser Herr Zumthor war, der bei Ihnen im sonnigen Erker auf dem hellgrünen Ledersessel Kaffee getrunken hatte, wurde ihnen erst nach und nach klar. Peter Zumthor, der die Felsentherme in Vals und das Kunsthaus in Bregenz entworfen hatte, gilt zweifelsohne als berühmtester Schweizer Architekt, aber auch zu seinem Ruf als perfektionistischer Kontrollfreak kam er nicht ohne Grund.

Auch im Falle der Bruder-Klaus-Feldkapelle wurde alles mehrmals umgestaltet und vorgebaut. Eine brusthohe Mauer im Garten der Scheidtweilers ist nur eines der vielen Überbleibsel aus der Erprobungsphase. »Das meiste wurde vorher hier bei uns auf dem Hof oder bei ihm in der Schweiz mal ausgetestet«, erzählt Trudel Scheidtweiler, die mit ihren Perlenohrringen und dem hellblauen Hemd in der schmalen Jeans so gar nicht wie die Frau eines Landwirts aussieht, sondern eher wie eine Münchenerin mit einer Schwäche für Bogner.

Erst 2005, also gut sieben Jahre nach der Zusage Zumthors, ging es richtig los. Fotos im Hausflur des Ehepaars zeugen von den verschiedenen Baustufen. Auf dem ersten Bild ist eine Art Zelt aus 110 verschnürten Fichtenstämmen zu sehen. Auf der Baustelle steht ein Kran, der die langen Holzbalken in die richtige Position gebracht hat. Das zweite Bild: um das Zelt aus Stämmen wird mit Hilfe einer Stampftechnik der selbst angemischte Beton geschichtet. Jede Woche kamen 50 Zentimeter Höhe hinzu, soviel schafften Hermann-Josef, seine Söhne und die ehrenamtlichen Helfer an einem Tag. Nach 23 Tagen, in denen sie mit schweren Balken den Beton in Form gestampft hatten, war die geplante Höhe erreicht. Ein Köhlerfeuer im Inneren des Baus sorgte dafür, dass das Gerüst der Fichtenstämme nachher leichter zu entfernen war.

Das vierte Bild zeigt die Feldkapelle, wie sie heute da steht. »Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass man selbst daran mitgewirkt hat«, sagt Hermann-Josef Scheitweiler, der ein rotes Seidentuch mit Wappen-Muster um den Hals trägt. Viele Jahrzehnte hat er der Landjugend angehört, nun hat er sich mit der Kapelle für den Schutzpatron revanchiert. Architekt Peter Zumthor wählte dafür die traditionelle Eifeler Technik des Betonstampfens, sie erlaubte es, dass der Bauherr seine Feldkapelle alleine errichten konnte. Oder zumindest fast allein: viele Helfer, darunter natürlich auch ausgebildete Handwerker, wirkten mit.

»Jeder Schaffenstag endete mit einem gemeinsamen Essen mit all diesen lieben Menschen, die uns geholfen haben«, schwärmt Trudel Scheidtweiler. Eine arbeitsreiche Zeit, die ihr jene innere Ruhe beschert hat, die der Städter im Yoga sucht, beim Meditieren, auf dem Jakobsweg oder im Kloster. Die meisten Leute beneideten sie nicht um die Zusammenarbeit mit einem berühmten Architekten, sondern um das Erlebnis, mit den eigenen Händen etwas erschaffen zu haben, erzählt sie. Das Ehepaar glaubt, einen Nerv der Zeit getroffen zu haben. Alle suchten nach Spiritualität, Sinn und Erfüllung, sie haben all das gefunden: dort oben auf ihrer Baustelle, zwischen Matsch und Schweiß und Butterbroten.

Auch für Zumthor selbst wurde das Projekt in Wachendorf zur Herzensangelegenheit. Er wollte es realisieren. Als die Scheidtweilers ihn irgendwann zu Beginn der Planungsphase auf sein Honorar ansprachen, sagte er nur: »Sie können mich nicht bezahlen.« So war es und so blieb es. Nur die Unkosten des Architekturbüros musste das Ehepaar übernehmen – und ab und zu einen Stararchitekten beherbergen, der keine Lust hatte, im unpersönlichen Kölner Intercontinental Hotel zu schlafen. »Nach seinem Feierabend auf der Kölner Baustelle haben wir ihn abgeholt«, erzählt die Landwirtsgattin. Beim Abendessen haben sie dann die jeweils letzten Arbeitsschritte durchgesprochen – immer und immer wieder.

Es hat sich gelohnt. Der Innenraum des Baues ist mindestens so spektakulär geworden wie die Fassade: Eine dreieckige Öffnung führt hinein die Feldkapelle. Der Eingang ist leicht gewunden, so dass man erst nach zwei Schritten einen Einblick ins Innere bekommt. Das erste Köhlerfeuer hat die Räume zwischen den Fichtenstämmen angekohlt und ein weiteres Feuer den gesamten Innenraum geschwärzt. Durch zahlreiche kreisrunde Löcher fällt Licht herein, ebenso von oben. Steht man genau in der Mitte des Baus, kann man den Himmel sehen, die Sonne scheint herein und lässt die Schwärze glänzen. Es riecht nach Ruß und feuchter Wärme. In der Ecke steht ein Kerze auf dem Blechdeckel einer Keksdose. Es ist bedrückend und gleichzeitig friedlich hier drin. Hermann-Josef Scheidtweiler hat den Vergleich zum Mutterschoß angestellt: dunkel, geborgen und eng – eine ergreifende Atmosphäre, die nicht nur Zumthor-Jünger erfreuen soll, sondern vor allem auch echte Gläubige, hofft Hermann-Josef Scheidtweiler. In erster Linie sei die Feldkapelle dort oben am Hang nämlich zu Ehren eines Schweizer Heiligen erbaut. Und damit meint er nicht Zumthor.

Zusatz der Redaktion: Am 19.Mai des Jahres wurde die Feldkapelle feierlich eingeweiht.

Der Erstabdruck des Artikels erfolgte in der Wochenzeitung „Die Zeit“ Nr.17 am 19.April 2007.

Biografische Daten der Autorin:
Lara Fritzsche, geb 11.01.1984, lebt in Köln. Redakteurin und freie Journalistin für DIE ZEIT, NEON und EMMA, Neue Zürcher Zeitung.

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