Die meisten iranischen Architektinnen der Pahlavi-Ära erhielten ihre Ausbildung im Ausland, entweder in Europa oder in den USA. So auch Shahrzad Seradj (später verh. Kraupp): 1940 im Iran geboren, entschied sie sich dazu, in Österreich zu studieren, ehe sie in den Iran zurückkehrte, um sich dort mit zwei Kolleginnen als Architektin selbständig zu machen.
„Ich habe zuerst im Rathaus in der Städtebau-Abteilung in Teheran gearbeitet“, sagt sie in einem Interview im Sommer 2024. „Ich wusste aber schon, dass ich ein eigenes Büro eröffnen wollte. Dann ist meine Freundin aus Graz, Mina Samii, nach Teheran zurückgekehrt. [...] Zunächst haben wir aber noch hauptsächlich in unseren Anstellungen weitergearbeitet. Denn ich fand die Arbeit an Flächenwidmungsplänen sehr wichtig und interessant. Diese Pläne blieben auch lange erhalten, bis die Mullahs alles umgeworfen haben. [...] Dann haben wir uns allmählich nur mehr auf Projekte im Büro konzentriert.” Banu Consulting Architects war bei seiner Gründung 1972 eines der ersten von Frauen gegründeten und geführten Büros im Iran (Banu ist das persische Wort für Frau). Die Architektinnen konzentrierten sich zunächst auf Verwaltungsbauten, planten allerdings auch soziale und kulturelle Projekte.
Banu: Büroarbeit in Teheran
Shahrzad Seradj-Kraupp entwickelte mit ihrem Büro in den 1970er Jahren die Typologie eines Mutter-Kind-Campus, der an zwei Standorten im Iran realisiert wurde. Finanziert wurde das Projekt von einer Organisation der Kaiserfamilie Pahlavi. Alleinerziehende Mütter, die aus kleinen Dörfern kamen und nicht lesen und schreiben konnten, dafür aber handwerklich begabt waren, konnten in dieser Wohneinrichtung mit ihren Kindern leben. Dort gab es eine Schule und einen Kindergarten. Die Mütter konnten dort ebenfalls zur Schule gehen, arbeiten und Geld verdienen. Auch medizinische Versorgung war vor Ort gegeben. Teil des Campus waren eine Klinik sowie eine Einrichtung zur Aufklärung über Verhütung.
Einflüsse aus der Zeit in Graz
Architektonisch lässt sich der Entwurf des Mutter-Kind-Campus in die Strömung der regionalen Moderne der 1970er im Iran einordnen, wie Autorin Bahark Tabibi in ihrer Dissertation 2021 festhält. Elemente der regionalen Architektur sind das mehrstufige geneigte Dach, mit Ziegeln gedeckt – optimal für die dort herrschenden klimatischen Bedingungen. Die Verwendung von Naturstein, in Kombination mit Beton und verputzen Bauteilen, und die Strukturierung des Gebäudes zeigen die modernen Ansätze der Planung. Den Einfluss des Strukturalismus, den sie während ihres Studiums in Graz kennengelernt hatte, lassen in ihrer Planung die Funktionalität und Gliederung des Raumprogramms sowie das Entwerfen mithilfe von Diagrammen erkennen.
Shahrzad Seradj-Kraupp erläutert die Gesamtkonzeption dieses Projekts: „Das Dorf als Gemeinschaft gab den Kindern die nötige Geborgenheit und Obhut. Durch die Landflucht in die wirtschaftlich besser organisierten Städte, herausgerissen aus ihrer vertrauten Umgebung und der Großfamilie, der Hilfsgemeinschaft Dorf, verloren die Familien [...] das Vertrauen und die Mittel zur Selbstversorgung. Die Zentren für Mutter und Kind dienten als Infrastruktur in Ballungsgebieten: Eine neue Form der Gemeinschaftsstruktur wurde geschaffen.“
Im Interview erzählt die Architektin, dass genau diese Vielfalt an Funktionen und der Nutzungsmix es waren, die sie an ihren Projekten begeistert haben. Mehrere Bibliotheken hat Shahrzad Seradj-Kraupp mit ihrem Büro im Iran entworfen und realisiert. Alle davon waren als Community-Center konzipiert: Sie legte besonderen Wert darauf, dass diese auch für Kinder und Jugendliche ansprechend waren und so der gesamten Gemeinschaft als Ort des Austausches dienten.
Ein Leben zwischen Iran, Österreich und Deutschland
Shahrzad Seradj-Kraupp studierte in den 1960er Jahren zunächst an der Technischen Hochschule Wien, ehe sie sich für den zweiten Studienabschnitt und das Diplom des Faches Architektur an der Technischen Hochschule Graz entschied. Dort absolvierte sie Lehrveranstaltungen unter Professoren wie Karl Raimund Lorenz und Ferdinand Schuster. Die meiste Zeit verbrachte sie im Zeichensaal 3, wo sie gegen Ende des Studiums auch ihren späteren Ehemann Peter Kraupp kennenlernte. Mit ihm hat sie zwei Töchter.
1969 legte sie die Diplomprüfung bei Prof. Karl Augustinus Bieber ab, mit einer Arbeit zum Thema „Diskothek neben der Autobahn“. Nach Studienabschluss arbeitete Shahrzad Seradj-Kraupp ein Jahr lang im Iran, dort fand auch die Hochzeit mit Peter Kraupp statt. Darauf folgten zwei Jahre Büroarbeit als angestellte Architektin in Deutschland bei Eller-Moser-Walter. Dabei war sie mitverantwortlich für den Neubau des Campus der Ruhr-Universität in Bochum. Nach ihrer Rückkehr in den Iran, Familiengründung und 10-jähriger Selbständigkeit als Architektin musste sie als Frau als Folge der islamischen Revolution ihre Bürotätigkeit bei Banu Consulting Architects aufgeben.
1979 verließ Familie Kraupp den Iran. In den Jahren nach der Revolution war Shahrzad Seradj-Kraupp – von Deutschland aus – noch am Büro beteiligt, ehe sie 1984 ihre Anteile und Tätigkeiten endgültig aufgeben musste. In Deutschland war sie weiterhin als Architektin tätig, gab Farsi-Kurse und organisierte Exkursionen in den Iran. Heute lebt die Architektin, 85-jährig, in ihrer Wahlheimat Wien gemeinsam mit ihrem Mann Peter in einer stilsicher eingerichteten Altbauwohnung im siebten Bezirk.