Gestritten wird um die Existenzberechtigung des Gesetzes – es ist seit der Vorlage eines Entwurfs für ein neues Ortsbildgesetz mit der Abschaffung bedroht – und um seinen Vollzug durch die ASVK, die mit der Ausübung von rigider Disziplinarmacht durch die Verwaltung konfrontiert ist.
Ich bin als langjähriges ASVK-Mitglied [Anm. d. R.: Reitmayr war dies bis April 2025] in der Pro-GAEG-Fraktion und behaupte, dass das GAEG erhaltenswert und schön und die Arbeit der ASVK wichtig für die Stadt ist. Den Begriff der Schönheit entleihe ich der juridischen Bezeichnung der schönen Verfassung. Wenn Menschen und Häuser schön sein können, warum dann nicht auch Gesetzestexte, ihre Semantik, die Gedanken und die Folgen, die sie auslösen?
Was ermächtigt mich diese Schönheit zu postulieren? Dafür gehe ich kurz in die Entstehungszeit des GAEG zurück. Das Gesetz ist 50 Jahre alt und entstand 1974 in einer Zeit des Umbruchs von der Spät- zur Postmoderne. Der Funktionsrationalismus der Spätmoderne hatte tiefe Spuren in der Stadtlandschaft in Form geschichtsvergessener Hochhäuser und Verkehrsbauten hinterlassen. 1972 sollte eine Tiefgarage im Zentrum von Graz unter dem Landhaushof errichtet werden – damals fuhr man noch mit dem Auto durch die Herrengasse. Die Kleine Zeitung titelte „Rettet die Grazer Altstadt“ und sammelte in einer Petition über 107.000 Unterschriften. Das Projekt wurde abgeblasen und das Altstadterhaltungsgesetz auf den Weg gebracht.
Das neue Gesetz – aus der Mitte der Zivilgesellschaft entstanden –, versucht nun in dieser Zeit der Diskontinuität der Baustile und des Umbruchs die aktuellen Gesellschafts- und Architekturtheorien in ein juridisches Konstrukt zu bringen. Alle Bauprojekte in den Schutzzonen sollen einem geschulten, unabhängigen Blick unterworfen und so ein „Zusammenwirken von Vergangenheit und Zukunft“ (1) ermöglicht werden. Die Konfliktpotentiale zwischen Gestern und Morgen werden anerkannt und sollen in gemeinsamen Diskursen der betroffenen Parteien ausverhandelt werden. Das Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem schutzwürdig erkannten Baubestand und dem Willen die Schutzzonen architektonisch und als Lebensraum weiterzuentwickeln.
Die Mittel des GAEG sind vorbildlich demokratisch eingerichtet. Eine Kommission aus Expert:innen aus mehreren Fachgebieten und bestellt von allen betroffenen Institutionen – Politik, Kammern und Universitäten – beraten auf Augenhöhe und in Abstimmung mit Verwaltung und Bundesdenkmalamt über die Gestaltung der Schutzzonen. Der Diskurs der Gutachter:innen wird unabhängig und im Wissen um die kulturelle Bedeutung des historischen und zukünftigen Bauens geführt. Es gilt – ganz im Geist der Zeit – „der zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (2). Das Ergebnis des Diskurses soll schließlich in den Stellungnahmen und Gutachten der ASVK möglichst transparent erklärt und dargestellt werden. Die Schönheit liegt also nicht in einer Auflösung des Konfliktpotentials für die vergangene und zukünftige Stadtentwicklung, sondern in einer wissenschaftlich fundierten und demokratisch legitimierten Urteilsheuristik in der Altstadtsachverständigenkommission. Dieser Prozess kann nicht annähernd durch die Arbeit einer einzelnen begutachtenden Person ersetzt werden.
Wenn das schöne GAEG und die Tätigkeit der ASVK heute kritisch gesehen werden, so liegt es meiner Einschätzung nach weniger im mangelhaften gesetzlichen Instrumentarium oder im Unvermögen der handelnden Personen, sondern in einer „Brüchigkeit unserer Gegenwart“ (3) selbst, in der besonders unabhängige demokratische Institutionen einer unspezifischen Fundamentalkritik ausgesetzt sind. Was stört, soll nicht konstruktiv kritisiert und verbessert, sondern einfach kaltgestellt oder hinweggefegt werden. Der Einfluss einer „Postdemokratie“ (4), die als ein sich selbst destabilisierendes Staatswesen, das unter formaler Beibehaltung der Institutionen und demokratischen Prozesse diese immer mehr aushöhlt und sinnentleert, alle universellen Materien infrage stellt und verflüssigt, scheint seine Wirkung zu entfalten.
Den Prozessen instrumenteller Unvernunft und unreflektierter Disziplinarmacht entgegenzutreten bedarf persönlicher Energie, Engagement und Überzeugungskraft. Und es muss mit jenen Mitteln getan werden, die pathologisch unverlässlich sind und ihre garantierte Überzeugungskraft längst verloren haben – mit Faktenwissen, Kausalität und jener menschlichen Vernunft, von der der Aufklärer Hume sagt, dass sie „keine motivierende Kraft“ habe, aber uns letztlich als einziges Erkenntnis- und Reflexionsvermögen zur Verfügung steht (5).
______ Quellen
1) Jörg H. Gleiter, Urgeschichte der Moderne, 2010.
2) Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 1981.
3) Hans Ulrich Gumbrecht, Brüchige Gegenwart, 2019.
4) Colin Crouch, Postdemokratie, 2008.
5) David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, 1748.
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Mehr von solcher Qualität bitte! Ein Text von dieser Tiefe motiviert zu eigenständigem Denken und zur gründlichen Auseinandersetzung mit aktuellen Themen unserer Zeit - nicht nur jenen der Architektur und Stadtplanung. Danke dafür.