17/06/2025

Peter Laukhardt spürt in diesem Teil seiner Kolumne dem letzten Abschnitt der Grazer Stadtmauer nach. Er bekräftigt den Wert und hebt die immer noch fehlende Aufmerksamkeit für dieses städtebaulich wichtige Bauwerk hervor, mit dem lange Zeit das Stadtleben in ein vor und ein hinter den Toren organisiert wurde.

Alle aktuellen Fotos und Skizzen in diesem Beitrag wurden von Peter Laukhardt angefertigt.

17/06/2025

Bild 1: Ostmauer am Franzisz. Kataster 1829; Übersicht 

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Bischofplatz (Ansichtskarte um 1890); Stadtmauern

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Glockenspielplatz 4 Eingangshalle; Turmgrundriss (StMG 1813)

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Bürgergasse 2, Reiche mit Stadtmauer 

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Mehlplatz 2, Grundriss mit Stadtmauer (StLA, 1790)

Bild 6: Färbergasse 11, Stadtmauer und Reiche (ÖKT)

Bild 7: Färbergasse 9, Grundriss mit Stadtmauer (StAG)

Bild 8: Färbergasse 7, Stadtmauer im 2. OG und Grundriss (StAG) 

Bild 9: Sporgasse 14-16, Reiche 

©: Peter Laukhardt

Bild 10: Sporgasse 17 Schloßbergfels beim Osttor

©: Peter Laukhardt

Wie am Ende der letzten Folge versprochen, geht es jetzt darum, die 1978 von Fritz Posch sowohl im Historischen Jahrbuch der Stadt Graz als auch im umfangreichen Sammelband „850 Jahre Graz“ erstmals veröffentlichte Meinung zum Verlauf der ersten Ostmauer zu bestätigen. Mauerfunde bei den Abbrüchen der Bombenruinen und Aushubarbeiten im Bereich Tummelplatz – Schlossergasse hatten ihn dazu geführt, die erste Ostmauer neu zu definieren: Er ließ sie bis zur Stadterweiterung von 1336 bis 1339 längst der Hinterfronten des Bischofplatzes, der Engegasse und der Färbergasse (im Mittelalter hieß sie Pinterstrass und war eine der bedeutendsten Gassen) zur Sporgasse verlaufen; ein erstes Osttor hätte die Stadtmauer unterhalb der Stiegenkirche geöffnet. Eine ähnliche Meinung hatte schon 1873 Franz von Krones geäußert, die Erweiterung nach Osten aber erst mit dem Bau der Stadtburg durch Kaiser Friedrich III. um 1440 gesehen.

Eduard Andorfer wiederum hatte starke Mauern im Keller des Hauses Bürgergasse 14 als Stadtmauer bewertet und deshalb in seinem Baualterplan von 1969 die erste Ostmauer in gerader Linie entlang der westlichen Häuserfront der Bürgergasse bis zum Vizedomhaus am Freiheitsplatz (ungefähr beim späteren „Lambrechterhof“ auf Nr. 4) gezeichnet (Bild 1). Bei Grabungen der letzten Jahrzehnte in der Alten Universität und am Freiheitsplatz selbst wurden aber keine Spuren einer solchen Mauer entdeckt.

Es gibt aber auch zur Theorie von Posch verschiedene Gegenargumente. So meinen manche, eine Stadtmauer am Fuße eines Abhangs sei verteidigungstechnisch unsinnig. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Technik der Mitte des 13. Jhs als stärkste Waffe die Armbrust kannte, aber weder Feuerwaffen noch Geschütze. Der Reckturm an der östlichen Stadtmauer von Wolfsberg in Kärnten ist ein Beispiel für eine Konstruktion unter einem Abhang. Andere halten es für undenkbar, dass die Pfarrkirche samt dem Pfarrhof außerhalb der Stadtmauer gelegen wäre. Dies ist jedoch bei vielen Stadtanlagen so gewesen, so lag auch die Stephanskirche in Wien vor der ersten Mauer.  

Warum ich meine, dass die 1265 erstmals schriftlich erwähnte Stadtmauer so verlief, wie Posch sie sah.

Wie Bild 1 zeigt, setzt die Linie der südlichen Stadtmauer nicht die Richtung der Hans-Sachs-Gasse fort, sondern macht beim Tummelplatz einen leichten Knick nach außen. Das ist ein Indiz dafür, dass hier die Mauer nicht von Anfang an geradlinig weiterlief. Das Vorschieben der neuen Linie 1336-1339 wurde durch den ebenso abgewinkelten Lauf des Kroisbaches ermöglicht, der ursprünglich (wahrscheinlich bis 1441) als „Stadtgrabenbach“ über den Tummelplatz, die Hans-Sachs-Gasse und den Jakominplatz zur Schönaugasse floss und die Ausdehnung der befestigten Stadt im Südosten begrenzte. 

Die erste Stadtmauer sollte die Bürgerstadt schützen, nicht die landesfürstlichen Gründe auf der oberen Terrasse! Im Bereich des heutigen Freiheitsplatzes wird schon für die früheste Zeit ein zur Burg am Schloßberg gehöriger Meierhof und eine Eigenkirche (St. Ägyd, später Domkirche) der Markgrafen angenommen. Noch immer ist zwischen der Burg Friedrichs III. und dem Schauspielhaus viel Grünfläche vorhanden. Auch am Abhang oberhalb der Färbergasse waren ausgedehnte Gärten des Landesfürsten gelegen – der schöne Priesterhausgarten nimmt noch heute einen großen Teil dieses Geländes ein, und auch der Hof des ehemaligen Jesuiten-Convicts ist selbst ein riesiges Freigelände. Aber auch westlich des heutigen Freiheitsplatzes lagen bis ins 19. Jh. solche herrschaftlichen Anlagen, wie wir aus der Karte von 1829 gut erkennen können. Häuser von Stadtbürgern sind in diesem Bereich anfangs die Ausnahme. Noch im 15. Jh. wird innerhalb der seit 1339 nun schon bis zum Karmeliterplatz reichenden Stadtmauer an einigen Stellen von „Öd“ oder „Bürgeröd“ gesprochen.

Verbindungen der unteren Bürgerstadt zur oberen Terrasse (mit Burg, Dom, Mausoleum und Theater, später als „Stadtkrone“ bezeichnet) waren nur unzureichend gegeben. Zwischen 1265 und 1339 diente als Hauptverbindung die Sporgasse, in der man das erste Osttor queren musste. Das schmale Blutgassel (Färbergasse 9) erlaubte nur Fußgängern den Zugang zur Oberstadt und macht genau an der Linie der Stadtmauer von 1265 einen leichten Knick. Die heutige Abraham-a-Santa-Clara-Gasse wird als „Kirchgassl“ neben einem Wehrturm am Glockenspielplatz eine Pforte für den Weg zur Pfarrkirche geboten haben. Vom Bischofplatz aus wird man die etwas breitere Bindergasse benutzt haben.

Die Struktur des ab 1339 in die Stadtmauer einbezogenen Viertels zeigt starke planerische Gestaltung. In der schon 1340 genannten „Newnstrass“ werden wir wohl die heutige Bürgergasse ansprechen können. Der ursprüngliche Name der Hans-Sachs-Gasse lautete zwar auch „Neugasse“, sie entstand aber frühestens in der Mitte des 15. Jhs, als Friedrich III. der alten Stadtmauer eine Zwingermauer vorgelegt hatte.  

Ein von mir intensiv geprüfter Beleg für die Stadtmauer östlich der Färbergasse ist ein Kaufbrief aus dem Jahr 1434, in der Andre Vest dem Herzog Friedrich verkauft: … haws vnd garten hinden daran … in der Kirch­gass~n… vnd gelangt mit dem Gart~n an die Rinkchmawr. DiesesGebäude ist durch Angabe der Nachbarn mit der heutigen Adresse Hofgasse 12 zu lokalisieren, die Ringmauer (Stadtmauer) muss hinter dem späteren Ferdinandeum in der Färbergasse 11 verlaufen sein.

Auch die Lage des gemauerten Erkers in der Türmerstube an der Westseite des späteren Uhrturms ist ein Indiz dafür, dass die erste Stadtmauer nur bis zur Färbergasse reichte: Der Wächter konnte von hier aus nicht weiter nach Osten sehen; das wurde erst durch den Erker an der Südspitze des hölzernen Umgangs möglich, der aber erst im 15. Jh. gebaut wurde.

Schließlich gibt es Aussagen von Experten, wonach die hinter dem Haus Bürgergasse 2 sichtbaren Mauerabschnitte dem 13. Jh. zuzuschreiben sind, die bei der Burg erhaltenen Stadtmauerteile hingegen aber dem 14. Jh. (ebenso wie die von der Sporgasse zum Uhrturm hinaufziehende).

Da wir hier eine wichtige Streitfrage zur Grazer Stadtmauer behandeln, soll auch noch die Stadterweiterung angesprochen werden, die für 1336 bis 1339 angesetzt wird. Herzog Otto der Fröhliche hatte 1336 die Grazer Bürger auf drei Jahre von aller Steuer befreit, wofür sie im ersten Jahre 120 Mark Silber, im 3. Jahre aber 60 Mark Silber an die Verbesserung und Vollendung des Stadtbaues verwenden sollten, auch Edle und hier sesshafte Juden hatten mitzuhelfen.

Was waren die Gründe für diese Stadterweiterung?

War die Stadt zu klein geworden? Vermutlich haben aber wohl Sicherheitsfragen den Ausschlag gegeben, denn 1335 hatte sich Graz auf einen Konflikt vorbereiten müssen; König Johann von Böhmen hatte sich mit den Ungarn verbündet und auch die Steiermark bedroht. Aber auch das Aufkommen der Feuerwaffen (in Florenz tauchen bereits 1326 Geschütze auf) könnten dazu bewogen haben, die überwiegend landesfürstlichen Besitzungen auf der oberen Terrasse in die Ummauerung einzubeziehen und gleichzeitig die tiefer gelegene Bürgerstadt besser gegen Beschuss aus feindlichen „Feuerschlünden“ zu schützen.

Einige topographische Urkundenstellen weisen auf Bauten im erweiterten Stadtgebiet hin, die erst nach 1339 genannt werden: 1349 der Schreibhof (der Vorgänger des Vizedomhauses am Freiheitsplatz); 1355 das Innere Paulustor (St. Paulus Burkhthor)1401 das Burgtor (tor gegen der Greatz).

Was können wir heute noch von der Ostmauer „sehen“?

Aussagekräftige Argumente zur Bekräftigung der von Posch 1978 aufgestellten These lassen sich auch aus späteren Grundrissen und durch wertvolle Mauerreste gewinnen, die wir in der Folge besprechen werden. Gute Hinweise bietet auch der Verlauf von Reichen, das sind die oft nur ganz engen Zwischenräume von mittelalterlichen Häusern. An die Stadtmauern wurde – wie wir schon gehört haben – in der Regel außen nicht direkt angebaut.

Wir starten am Bischofplatz und versuchen, uns anhand von Bild 2 den Zustand des leider heute nicht mehr bestehenden verwinkelten Häuserblocks vorzustellen, den die Besitzer nach schweren Bombentreffern von 1944 nach dem Krieg zwar wieder aufbauen wollten, der aber letztlich einer autogerechten Stadtplanung (!) weichen musste. Das Foto vom Ende des 19. Jhs zeigt den Eingang in die nach einem Gasthaus benannte „Mehlgrube“ links vom Haus mit dem Schopfwalmgiebel; bis zum Abbruch dieser letzten Bombenruine im August 1967 (der Neubau von Bürgergasse 18 war schon im Gange!) war seine Adresse Schlossergasse 1. Das Steinportal wurde auf vorbildliche Weise gerettet und in den Eingang zum inzwischen leider verschlossenen Durchgang zur Mesnergasse eingebaut; es zeigt im Schlussstein die Inschrift der bis 1803 geltenden Hausnummer und das Baujahr „Nro. 121, 1777“.

Das seltsame Gässchen war aus einer „Reiche“ vor der Stadtmauer entstanden und hatte wohl mit der überbauten Durchfahrt zwischen Bürgergasse 16 und 18 eine Verbindung vom Bischofplatz – also aus dem Bereich der ersten Stadtmauer von 1265 – in die nach 1339 im Osten erweiterte Stadt geschaffen. Vom Eckturm der ersten Stadtbefestigung (dem späteren Pulverturm) war die neue Stadtmauer in Richtung Osten gezogen worden und hatte so diese Verbindung freigelassen. In der Skizze ist die starke Mauer eingezeichnet, die nördlich des Eckturms in einem Grundriss erkennbar ist.

Unsere nächste Station ist das Eckhaus Glockenspielplatz 4, in das Gottfried Maurer 1905 das berühmte Glockenspiel einbaute. Friedrich Bouvier hat in seiner Dissertation 1977 erkannt, dass der Kellerraum an der Ecke zur Abraham-a-Santa-Clara-Gasse besonders massives Mauerwerk und ein tieferes Bodenniveau aufweist (Bild 3). Auch Mauerknicke gegenüber den anschließenden Hausteilen heben die Stelle hervor. Anhand dieser Kriterien erkannte Bouvier, dass „ein ursprünglich bestehendes turmartiges Gebäude“ hier integriert wurde. Er sah den „Turm in direkter Verlängerung der tiefen, schluchtartigen Reiche an der Nordostseite des einstigen Pöllauerhofes“. Diese Linie werden wir noch weiter nach Nordwesten verfolgen. Für den heutigen Betrachter bietet sich nur an, einen Blick auf die Wand links von der Eingangshalle in der genannten Gasse zu werfen.

Der wohl überraschendste Einblick in die Grazer Befestigung des 13. Jhs bietet der Hof von Bürgergasse 2. Man muss bis zur Rückseite des Hauses Glockenspielplatz 2 gehen, dann ein Betonpodest besteigen und über das Eisengeländer vorsichtig in die Tiefe blicken (Bild 4). Hier scheint einige Meter tiefer ein Kanal zu verlaufen, der Richtung Nordwest einen Bogen beschreibt und durch mehrere Schwibbögen überwölbt ist. Der tiefere Teil der Hausmauer ist aber als die Stadtmauer von 1265 zu erklären. Die spätere Bebauung außerhalb erforderte die Anlage einer Reiche, die durch eine Stützmauer abgesichert wurde, die auch die spätere Aufschüttung des Priesterhausgartens ermöglichte.

Die nächsten beiden „Stationen“ der Stadtmauer lassen sich nur durch Grundrisse bestätigen. Sie zeigen in Bild 5 die massiven Mauern an der Rückseite von Mehlplatz 2 (ehemaliger Pöllauerhof, heute Schubertkino) und in Bild 6 jene von Färbergasse 11 und 13. Im östlichen Teil der an den Priesterhausgarten grenzenden Hauswand des Ferdinandeums ist sowohl in Auf- als auch im Grundriss noch gut die Reiche erkennbar. Am Plan ganz links sehen wir das Blutgassel, das genau an der Mauerlinie einen Knick macht. Einen Eindruck von der Stadtmauer von außen bietet ein Blick vom liebevoll gepflegten und einladenden Rosengarten des „Taubenkobels“, Hofgasse 10, oder aus einem oberen Stockwerk.

Den Knick beim Blutgassel zeigt auch der aus jüngster Zeit stammende, nicht genordete Umbauplan des 1. Obergeschoßes von Färbergasse 9 (Bild 7). Schade, dass an dieser Stelle nie versucht wurde, die Stadtmauer freizulegen. An den Knick schließt direkt ein in blauer Farbe markiertes Stück der Stadtmauer an.

Im 2. OG des Nachbarhauses Färbergasse 7 wurden in einem Raum einige Reste der Stadtmauer frei liegend erhalten (Bild 8), worüber schon Wiltraud Resch in der ÖKT 1997 berichtete. Für die Bewahrung eines derart wichtigen Teils des alten Graz kann den Besitzern, aber auch dem Architekten nicht genug gedankt werden.

Der letzte Abschnitt der Ostmauer lässt sich nur durch die Lage einer Reiche erahnen, die zwischen den Hinterhäusern von Sporgasse 14 und 16 verläuft (Bild 9). Wenn auch beim kürzlichen Umbau keine Reste der Stadtmauer entdeckt wurden, so spricht die Linie für den Verlauf der Mauer. Wir können abschließend annehmen, dass sich das erste Osttor der Stadt zwischen den Häusern Sporgasse 16 und 17 befunden hat. Wenn man das Foto-Geschäft betritt, sieht man sehr eindrucksvoll, dass hier der Schloßbergfelsen fast direkt an die Straße rückt – eine ideale Lage für ein Stadttor (Bild 10). Oberhalb können wir uns eine zur Sicherung des Tores gut geeignete kleine Wehranlage denken – im Bereich der heutigen Stiegenkirche (vermutlich der ersten Pfarrkirche von Graz). In meinem 2024 erschienenen Schlossbergbuch habe ich versucht, die Situation im 13. Jh. nachzuvollziehen.

Die Fortsetzung des Mauerzuges bis zum Reinerhof am Schloßbergplatz muss hypothetisch bleiben. Ich gehe davon aus, dass hier der äußerst steil abfallende Schloßbergfels ausreichend Schutz gegen Angriffe geboten hat.

Wir sind am Ende dieses Abschnitts angelangt. Ich wiederhole mich jetzt, wenn ich mir wünsche, dass die Spuren der Grazer Stadtmauern besser sichtbar und zugänglich gestaltet werden. Sie bieten einfach grandiose Einblicke in unsere städtische Vergangenheit. Viel Vergnügen!

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GAT