20/05/2025

Peter Laukhardt erforscht seit Jahrzehnten die historische Topographie der Stadt Graz. In dieser und den nächsten Folgen seiner Kolumne Schau doch! präsentiert er seine Erkenntnisse zum Verlauf der Grazer Stadtmauern, die manchmal von der bisherigen Meinung der Stadthistoriker abweichen.

20/05/2025

Bild 1: Stadtmauer zwischen Südtor und Pulverturm (Franzisz. Kataster 1829, bearb. Laukhardt)

Bild 2: Östliche Südmauer (Popelka 1928, Andorfer 1960)

Bild 3: Stadtmauer in der Hans-Sachs-Gasse (screenshot, google, bearbeitet Laukhardt)

Bild 4: Judenmauer, 2000, Fundstellen Judenviertel (bearb. Laukhardt)

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Bischofhof, Grundriss 1781 (Wonisch, bearb. Laukhardt)

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Hans-Sachs-Gasse 14, Spätgotische Säule und Haustor

©: Peter Laukhardt

Bild 7: Hans-Sachs-Gasse 14, Pforte und Klostermauer

©: Peter Laukhardt

Bild 8: Judenviertel 1635 (nach Vandesype) und Skizze

©: Peter Laukhardt

Bild 9: Mauerlinie Hans-Sachs-Gasse 12 und 8 von Norden

©: Peter Laukhardt

Bild 10: Schlossergasse 1, Stadtmauer nördlich des Pulverturms (StAG, bearb. Laukhardt)

Wir waren in der vorigen Folge bis zum ersten Südtor in der Herrengasse gelangt. Jetzt geht es darum, die Mauerlinie von diesem Tor weiter nach Osten bis zum späteren Pulverturm zu finden.

Fritz Popelka hat im 1. Band seiner Stadtgeschichte 1928 die Linie der Stadtmauer östlich des von ihm irrig schon als Eisernes Tor angesehenen Südtores einfach in die Mitte der Hans-Sachs-Gasse gelegt, während Eduard Andorfer in seinem Baualterplan 1960 diese Linie bis zu dem von ihm noch nicht als Pulverturm erkannten Eckturm (im Baualterplan: l = Wehrturm) ziemlich exakt so gezogen hat, wie sie nach meinen Erkenntnissen tatsächlich verlief (Bild 2). 

Die von mir definierte Mauerlinie ist durch eine Art „Baunaht“ manifestiert, die von der Herrengasse bis zur Schlossergasse bzw. dem Tummelplatz auch auf dem Luftbild erkennbar ist (Bild 3). Die nördliche Häuserzeile der Hans-Sachs-Gasse weist deutliche bauliche Zäsuren im Verlauf der ehemaligen Stadtmauer-Linie auf, die ungefähr 20 Meter hinter den heutigen Fassaden liegt. Am deutlichsten wird das im großen Baublock Hans-Sachs-Gasse 14.

Der rückwärtige Teil dieser Sechs heüser ist 1483 dokumentiert, als am 20. Juni Kaiser Friedrich III. auf Anforderung des Magistrates das „Lustgärtlein“ von Bischof Matthias Scheit zwischen dessen Hof und der alten Stadtmauer der Stadt zur Verbauung überließ, um den vor den ungarischen Horden 1480 aus St. Leonhard Geflüchteten eine Heimstatt zu bieten. Damit dem Bischof nit Schad oder Vnlust entstünden, wurde zwischen seinem Hof und den neuen Häusern eine geraume gassen, die 12 Schueh weith sein soll, gelassen und durch eine Mauer gegen die Neubauten geschlossen. Die Hausbesitzer mussten diese Mauer mit vom Bischof bereitgestellten Steinen errichten, durften aber keine „Nachtfenster“ anbringen. Als Zugang zu den neuen Häusern musste damals entweder die Stadtmauer von der „neuen Gasse“ (Hans-Sachs-Gasse) aus durchbrochen worden, oder er musste über die Schlossergasse erfolgt sein.

Wichtige Erkenntnisse zur Baugeschichte dieses Bereichs brachten Untersuchungen der Altstadt-Kommission bei der Umgestaltung der Buchhandlung Moser im Jahre 2000 (Bild 4). Bei einer Begehung wurde eine rund 15m lange, 2m hohe Steinmauer sichtbar (Bild 5), die der beauftragte Architekt als „Stadtmauer“, die Mitbesitzerin aber als „Friedhofsmauer“ bezeichnete. Ich schätzte die Mauer aber sofort als östliche Begrenzung des mittelalterlichen Judenviertels ein, weil sie sich über das kleine Tor fortsetzt, das den Durchgang zum Bischofplatz abschließt (siehe Bild 8).

Diese jetzt schon mehrere Jahre anhaltende Sperre betrifft einen längst von der Bürgerschaft ersessenen Durchgang. Er wurde 1904 nach dem grundlegenden Umbau des Bischofhofes geschaffen, wie Othmar Wonisch 1953 in seinem vom bischöflichen Ordinariat abgesegneten Büchlein „Baugeschichte des Bischofhofes in Graz“ auf S. 33 berichtete: „Gelegentlich dieser Bauführung wurde mit dem Stadtrat vereinbart, daß der öffentliche Durchgang von der Herrengasse her in die Schlossergasse bzw. auf den Bischofplatz längs der Reiche zwischen dem bischöflichen Palais und den südlich davon errichteten Häusern geöffnet wurde, wie dies schon vor mehr als hundert Jahren vorgesehen war“. Der vor dem Umbau 1781 gezeichnete Plan (Bild 5) zeigt unter der Überschrift den Hinweis auf den damaligen fast geradlinigen öffentlichen Durchgang: „Bey Lit. A ist das Thor, wo die Fußgänger durch die Durchfahrt B. bis zum Thore C zur Stadtpfarre dermalen durchzugehen pflegen.“ Es liegt nun an der bisher unentschlossenen Grazer Stadtregierung, diese historische Verbindung dem bischöflichen Ordinariat wieder abzuverlangen – auch im Sinne der Verpflichtung für das Weltkulturerbe!

Weitere bedeutende „Funde“ aus der Spätgotik (Ende des 15. Jhs.) waren ein freistehender spätgotischer Steintorrahmen mit einer kleinen Nische darüber; er war 1966 verlegt und durch Steine aus Istrien ergänzt worden, heute ist er – ziemlich unsinnig – an die Ostmauer versetzt worden. Erst bei den Arbeiten 2000 konnte eine kleine Säule mit abgefasten Kanten freigelegt werden (beides in Bild 6). Das Tor diente an seiner ursprünglichen Stelle als Hauseingang (siehe Skizze in Bild 4), die Nische wohl für eine Beleuchtungsfackel; die Säule könnte der Lage nach zum Kapitelsaal des Dominikanerklosters gehört haben.

Diese Funde bei der „Judenmauer“ waren für mich der Start für intensive Forschungen zum mittelalterlichen Judenviertel, aber auch zur südlichen Stadtmauer. Ich stellte fest, dass eine auffallende Mauerlinie zum inneren Portal des Zugangs von der Hans-Sachs-Gasse in das Haus Nr. 14 und nördlich des von der Buchhandlung Moser benützten überdachten Innenhofes zur Herrengasse führte. Es war die Stadtmauer, die mit der Südmauer des ehemaligen Dominikanerklosters identisch war; eine Eisenschließe deutet auf das Alter hin (beides in Bild 7).

Der geschichtliche Hintergrund dazu beginnt in der Zeit Herzog Friedrichs V. von Steiermark. Nachdem 1438/39 die Juden Graz unter nicht geklärten Umständen verlassen hatten, verschenkte, verpfändete oder verkaufte Friedrich einige an ihn um der juden verschulden gekommene Häuser in der judengassen (Herrengasse) an seine Getreuen. Er stiftete danach – vielleicht schon als römisch-deutscher König Friedrich IV. – in der Judengasse eine Corporis-Christi- bzw. Gottleichnams-Kapelle (heute die drei westlichen Joche des südlichen Schiffs der Stadtpfarrkirche, die selbst erst 1520 fertiggestellt war). Dass die in einer Urkunde vom 22. Oktober 1450 erwähnte gotleichnams gassen als ehemalige Quergasse des Judenviertels mit dem heutigen Durchgang in den Stadtpfarrhof identisch sein könnte, ist dadurch widerlegt, dass das Haus Stempfergasse 7 an eines in der erwähnten Gasse stieß. 1450 war mit dieser zwischenzeitigen Bezeichnung also wohl die spätere Herrengasse gemeint. Auch dürfte der Zugang in die Kapelle der gotische Eselsrückenbogen gewesen sein, durch den man sie heute noch von der Kirche aus betritt. Das mit 1442 datierte dortige Taufbecken kommt als Datum für ihre Fertigstellung infrage, könnte aber auch vom heutigen Dom übertragen worden sein.

Am 5. April 1466 schenkte der nunmehrige Kaiser Friedrich III. dem Predigerorden (Dominikaner) dann die newen Capelln in der Judengassen zu Grêtz gelegen, mitsambt dem grunt darauf die liget für den Bau eines KlostersDieses konnte deshalb direkt an oder über die Stadtmauer gebaut werden, weil schon die 1441 von Kaiser Friedrich III. erwähnte neue, stärkere Zwingermauer südlich der Hans-Sachs-Gasse hochgezogen war (auf Bild 8 gelb eingezeichnet).

Wenn wir nun den Umfang des östlichen Judenviertels untersuchen, ist das keine große Neuigkeit. Durch die detaillierten Untersuchungen von Gerd W. Salzer-Eibenstein (Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Band 3, Graz 1970) und Maria Schaffler (Band 5/6, Graz 1973) haben wir vom Grazer Judenviertel ein recht gutes Bild, das weitestgehend auf die Planskizze bei Fritz Popelka (Geschichte der Stadt Graz, Band I, 1928) zurückgeht. Dass dabei die Existenz eines öffentlichen Südtores in der Stadtmauer verneint wurde, und man nur einen Ausgang für Fußgänger aus dem Judenviertel annahm, war für mich immer schwer zu verstehen.

Wir betreten den Baublock Hans-Sachs-Gasse 14 durch das äußere Haustor und gelangen zum inneren Portal, das genau an der Linie der Stadtmauer errichtet wurde. Der schräge Zugang von der Straße aus könnte darauf hindeuten, dass es sich bei der „Pforte“ vielleicht doch um das 1455 erwähnte „alte Judentürlein“ handeln könnte und von dort ein Weg diesseits des Stadtgrabenbaches in südwestliche Richtung zum Judenfriedhof führte.

Die Bauten in der heutigen Hans-Sachs-Gasse wurden erst möglich, als 1441 die Zwingermauer rund 40m vor die erste Stadtmauer gelegt worden war. So kam diese Verbindung zu ihrem ersten Namen „Neu-Gasse“. Die südliche Häuserzeile ist mit ihren Adels-Palais erst entstanden, als ab 1550 die neuzeitlichen Kurtinen und Basteien der Zwingermauer vorgelegt wurden.

Die Skizze in Bild 8 deutet die schon eingangs erwähnte Zäsur in der nördlichen Häuserzeile gut an. Als zwei Belege sind die beiden Fotos in Bild 9 zu sehen, sie zeigen die deutlich erkennbaren Mauerlinien in den Höfen von Hans-Sachs-Gasse 12 (hier sogar mit einer Stützmauer) und 8 (blaue Pfeile auf Bild 1). Es ist anzunehmen, dass hier noch Reste der Stadtmauern auf ihre Aufdeckung warten. Bei Umbauten auf Nr. 10 hat man nach Aussagen des damaligen Verantwortlichen Teile dieser Mauer im Keller entfernt.

Die Stadtmauer endete bei einem Eckturm in der Schlossergasse, dort, wo heute ein erhöhter Durchgang im Neubau freigelassen wurde. Der Augenzeuge Helmut Meeraus, Neffe des ersten Direktors des Stadtmuseums, hat in den 1950er Jahren diese Stelle beim Abriss der Bombenruine Hans-Sachs-Gasse 2 wörtlich als „romanischen Turm“ klassifiziert. Auch Fritz Posch hat seine Theorie der Stadtmauer entlang der Rückseite der Färbergasse begründet, als 1967 beim Aushub für den Bau der Raiffeisenbank die alte Stadtmauer freigelegt wurde, deren Reste ihm der Polier noch zeigen konnte. Schade, dass frühere Historiker nur selten der fotografischen Kunst gehuldigt haben!

Hier wäre auch ein mittelalterlicher Pulverturm zu erwarten gewesen, denn solch gefährlichen Depots wurden wegen der Explosionsgefahr und der Brandgefahr für die Stadt durch Winde aus West und Nord häufig an der südöstlichen Ecke der Stadtmauer erbaut. Der Bau war aber erst im 16. Jh. zum Pulverturm geworden, als ihn Erzherzog Karl 1569 „hinder des Behaimb Haus und im Garten bei den Parfuessermunich“ (Dominikanern) hatte zurichten lassen, weil die Landstände darin ihre Pulvervorräte unterbringen wollten. Fenster und Türen hat dann 1576 Meister Veit de la Porta zugemauert. Da sich dieser Pulverturm schon 1616 als zu klein und zu feucht erwies, erbaute die Landschaft an der Kurtine hinter der Landschaftsbastei einen mächtigen neuen Pulverturm, der auf den Trost-Ansichten von 1699 und 1728 im Raume der heutigen Landwirtschaftskammer zu erkennen, und auf dem Plan von Popelka (Bild 2) in der Hamerlinggasse 3 eingezeichnet scheint.

Was die Fortsetzung der ersten Stadtmauer betrifft, sind sich auch heute bislang nicht alle Historiker einig. Ich werde die von Posch aufgestellte und von mir geteilte Behauptung, dass bei diesem Eckturm die erste Stadtmauer nach Nordwesten abbog (in Bild 10 ist sie deutlich erkennbar) in der nächsten Folge zu beweisen versuchen.

Viel Vergnügen beim virtuellen Gang entlang der östlichen Südmauer! Fortsetzung folgt.

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