15/04/2025

Peter Laukhardt erforscht seit Jahrzehnten die historische Topographie der Stadt Graz. In dieser und den nächsten Folgen seiner Kolumne Schau doch! präsentiert er seine Erkenntnisse zum Verlauf der Grazer Stadtmauern, die manchmal von der bisherigen Meinung der Stadthistoriker abweichen.

15/04/2025

Bild 1: Stadtmauer zwischen Joanneum und Herrengasse (Franzisz. Kataster)

Bild 2: Stadtmauer am Stadtmodell (GrazMuseum)

Bild 3: Stadtmauer nach Popelka (1928)

Bild 4: Stadtmauer nach Andorfer (1960)

Bild 5: Stadtturm (A. Trost, 1728)

Bild 6: Schmiedgasse 25, Turmhaus

©: Peter Laukhardt

Bild 7: Schmiedgasse 25, Reiche

©: Peter Laukhardt

Bild 8: Stubenberggasse 6, Stadtmauer als Fundament

©: Peter Laukhardt

Bild 9: Stubenberggasse 6, geböschter Torbogen

©: Peter Laukhardt

Bild 10: Stadtmauer beim Südtor (Stadtarchiv, Montage Laukhardt)

©: Peter Laukhardt

Wir hielten in der vorigen Folge an der Südwest-Ecke der 1265 erstmals genannt Stadtmauer inne und stellten fest, dass hier nicht der spätere Reckturm stand, wie bisher immer dargestellt. Die Mauer schwenkte in Wirklichkeit etwas weiter nördlich im rechten Winkel in leicht nordöstliche Linie um. Der Verlauf des westlichen Teils der Stadtmauer im Süden der Stadt lässt sich auf der Mappe zum Franziszeischen Kataster (Bild 1) und auf dem Stadtmodell (Bild 2) durch Häusergrundrisse und dazwischen liegende Reichen recht gut nachvollziehen und wurde auch von der bisherigen Forschung einigermaßen realistisch beschrieben.

Fritz Popelka hat im 1. Band seiner Stadtgeschichte 1928 die Linie bis zur Herrengasse schon ziemlich exakt getroffen (Bild 3), während Eduard Andorfer in seinem Baualterplan1960 die Linie vom Eisernen Tor direkt zum erst später entstandenen Reckturm zog und dabei die alten Parzellenstrukturen außer Acht ließ (Bild 4).

Wenn wir nun die in Bild 1 gezeigte Version ansehen, fällt ungefähr in der Mitte ein leichter Knick auf: an der nordwestlichen Ecke der Bauparzelle 161 (1829 Haus Postamtsgaße Nr. 158, heute Stubenberggasse 6). Hier lag der südwestlichste Punkt des mittelalterlichen Judenviertels (strichlierte Linie am Plan von 1829), das meiner Ansicht nach ja gleichzeitig mit der Marktanlage um 1160 angelegt wurde. Bis 1928 war auch erkennbar, dass an dieser Stelle in der heutigen Stubenberggasse ein Niveau-Unterschied durch einen erhöhten Gehsteig überbrückt werden musste.

Die einem Quadrat gleichende Form des jüdischen Viertels und die von den länglichen Hofstätten der übrigen Stadt abweichenden eher rechteckigen Parzellen zeigen geplante Gestaltung. Meine Forschungsergebnisse des Jahres 2000 zum Judenviertel ließen es als wahrscheinlich erscheinen, dass der Bau der Stadtmauer zwischen 1239 und 1251 die Südflanke der Häuser des Judenviertels aufnahm und vielleicht nur verstärkte; wir werden in einer der nächsten Folgen noch darauf eingehen. Das nach Westen hinaus erweiterte Stadtgebiet hat dabei die Südlinie des Viertels im Mauerbau nicht geradlinig weitergeführt.

Gehen wir nun im Geiste dem Verlauf der Stadtmauer von Westen aus nach. Zunächst sehen wir ihn auf der Mappe von 1829 als Hausfront nördlich einer Reiche zwischen den Parzellen 231 und 232 (in der Linie der heute noch erhaltenen Reiche bei Schmiedgasse 25). Meist wurde bei den späteren Anbauten an die Mauer außen ein derartiger Zwischenraum belassen, manchmal wurde aber auch direkt angebaut, wie wir noch sehen werden; hinter der Stadtmauer verlaufende „Mauergassen“ gab es in Graz nicht. Die genannten Häuser gehörten 1829 beide dem Grafen Wurmbrand. Von 1902 bis 1904 wurde hier als Ergänzung zum zu klein geratenen neuen Rathaus am Hauptplatz das Amtshaus des Magistrats errichtet, die Altbauten mussten weichen. Das vom Abbruch ebenfalls betroffene Gasthaus „Zum Wilden Mann“, Parzelle Nr. 240 (als Absteige von hohen Herren bekannt) gab es 1265 noch nicht, es kann erst nach der Mitte des 15. Jh. erbaut worden sein.

Von allen diesen Altbauten ist heute keine Spur mehr vorhanden, auch nicht von dem Stadtturm, den man auf der Ansicht aus der Vogelschau (A. Trost, 1728, Bild 5) erkennen kann. Er muss knapp westlich oder direkt an der Schmiedgasse gestanden haben. Wir gehen nun in diese Gasse und betrachten die Stelle, wo seit 1990 die Stadtmauer im Pflaster markiert ist; ob das als Ergebnis archäologischer Befunde geschah, ist mir nicht bekannt.

Das dort stehende Haus mit der Nummer 25 (Bild 6) ist ein seltsames Gebäude mit nur einer Fensterreihe, einem Überhang, seitlichem Spähfenster und aufgemalten Eckquadern – auch an einen Turm erinnernd. Eine schmale Reiche trennt es vom südlich anschließenden ehemaligen „Kleinen Steirerhof“, danach „Grazerhof“ (eine Gedenktafel erinnert an den 1663 erstmals genannten Besitzer Simon Fischgangl, Gipser und Stukkateur aus Regensburg). Der Bau wurde, wie man auf Bild 7 erkennen kann, durch Eisenschließen zusammengehalten, vielleicht war er in die durch den Abbruch der Stadtmauer entstandene Lücke gebaut oder gar direkt auf die Stadtmauer aufgestellt. 

Weiter östlich sind Spuren der Stadtmauer an der Hoffront von Stubenberggasse 6 erhalten, wo größere Steine als Fundament zu erkennen sind (Bild 8). Der Hauseingang daneben zeigt eine mächtige Dicke, und die leichte Böschung lässt ebenfalls auf die Stadtmauer schließen (Bild 9). Wie auch die Linie in Bild 1 zeigt, sind hier also die Häuser der alten Postgasse (heute Stubenberggasse) außen direkt an die Stadtmauer angebaut worden; das kann aber erst geschehen sein, als vor 1441 der ersten Mauer eine mächtige Zwingermauer vorgelegt worden war, über die wir später berichten werden.

Wo die Mauerlinie die Frauengasse quert, finden wir im Pflaster ebenfalls eine Markierung wie in der Schmiedgasse. Dabei stellt sich der Forschung noch immer die Frage, ob es hier oder an anderer Stelle einen gesonderten Ausgang aus dem Judenviertel durch die Stadtmauer in Richtung des vor der Stadt liegenden Judenfriedhofs gegeben hat. In einer Urkunde des Jahres 1455 wird nämlich von einer „wisen, gelegen im Werdpach vor dem allt(e)n jud(e)ntürlein“ gesprochen. Dieses Problem, das mit der Lokalisierung des jüdischen Friedhofs und des „Wehrbaches“ eng zusammenhängt, möchte ich in einer eigenen Folge näher behandeln. Sicher abzulehnen ist jedenfalls die bis heute beibehaltene, aber gänzlich unlogische Annahme der meisten Historiker, ursprünglich hätten nur die Juden die Stadt nach Süden verlassen können; als Begründung wird dabei genommen, dass das „Eiserne Tor“ erst 1462 genannt wird.

Der Verlauf der Stadtmauer von der Frauengasse bis zur Herrengasse ist gut dokumentiert, wie die beiden von mir bearbeiteten Pläne aus dem Stadtarchiv (Bild 10) beweisen; der eine betrifft die geplante Regulierung der Postgasse zur Stubenberggasse (die übrigens ab der Frauengasse ihre nördliche Häuserfront dennoch unverändert behielt), der andere ist der 1887 aufgenommene Erdgeschoß-Grundriss des abgerissenen Hauses Herrengasse 28: die starke Südmauer dieses Hauses war mit der Stadtmauer identisch. Bis zum Bau des neuen Thonethofes trennte eine ungewöhnlich breite Reiche die Parzellenreihe 172 und 176 von der 173 und 174. Dass die Linie der Stadtmauer gegen die Herrengasse einen Schwenk Richtung Nordost beschreibt, könnte auf eine besondere Bauart des dortigen Tores zurückzuführen sein, das als erstes Südtor der Stadt vor 1265 errichtet worden sein muss. Leider besitzen wir keine Ansicht dieses Tores. Das auf dem Gottesplagenbild am Dom von 1485 zeigt nämlich schon das wohl vor 1441 entstandene und 1462 erstmals genannte „Eiserne Tor“.

Eine generelle Anmerkung möchte ich an dieser Stelle nachholen: Einige meiner Annahmen von noch erhaltenen Mauerteilen wurden im Lauf vieler Jahrzehnte durch Bauarbeiten, abgefallenen Putz usw. bestätigt, andere könnten relativ einfach verifiziert werden. Derartige Eingriffe in die Substanz von Hauswänden, oder auch nur aufgetragenen Putzen wären aber nur durch archäologische Facharbeit vertretbar. Das bedürfte allerdings einer abgestimmten Vorgangsweise und würde voraussetzen, dass sich die Forschung dazu bereit erklärte, Erkenntnissen außerhalb der akademischen Institutionen ernsthaft nachzugehen. 

Viel Vergnügen beim virtuellen Gang entlang der westlichen Südmauer! 
Fortsetzung folgt...

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