Der zweite Abschnitt meiner Serie behandelte die Stadtmauer im Bereich des Franziskanerklosters und endete an der Rückwand des „Wakonig-Hauses“ in der Albrechtgasse. Wo die Mauer einst Richtung Südosten weiterlief, zeigt die Naht zwischen den Häusern Albrechtgasse 7 und 9, die von Georg Hauberrisser d. Ä. nach dem Durchbruch der Straße 1843 errichtet wurden. Die barocke Maria-Immaculata-Statue (um 1760/70) darüber dürfte von einem Vorgängerbau stammen.
Die Bauparzelle 253 auf der Mappe zum franziszeischen Kataster von 1829 (Bild 1) zeigt ein großes, viereckiges Wirtschaftsgebäude der Franziskaner; es sicherte – einem Eckturm ähnlich – mit seiner Ostfront die in spitzem Winkel von der Stadtmauer nach Nordosten führende Klostermauer und den Garten dahinter.
Entlang dieser Mauer ermöglichte die schmale, verschmutzte Stainzerhofgasse eine Verbindung vom Hauptplatz zum Tor des ehemaligen Stainzerhofes, dann weiter zum heutigen Andreas-Hofer-Platz. Erst durch den Abbruch des Hofes wurde 1969 der Durchgang durch das mächtige Gebäude und damit diese Verbindung ausgelöscht.
Die 1829 östlich der Stadtmauer liegenden Parzellen 246, 247 und 248 (die Bauparzellen-Nummern sind leider verwirrend gezeichnet) gehörten 1829 dem Hausbesitzer Johann Bauer, der auch die Herrschaft Ober-Gutenhaag (heute Schloss Hrastovec) nordöstlich Marburg besaß. Die Liste der Vorbesitzer dieses Gebäudes ist lang, die Realität wurde Haimerhof, Lavanterhof und Stainzerhof genannt; seine Geschichte habe ich aktualisiert näher beschrieben auf grazerbe.at: Landhausgasse 16 – Baugeschichte.
Der Verlauf der Stadtmauer in diesem Stadtbereich ist auch aus dem 1964 geschaffenen Stadtmodell von Oskar Chmelik gut ablesbar, das die Stadt um 1800 zeigt (Bild 2); in Umrissen wurde von mir aber die richtige Lage des Reckturms eingezeichnet.
Im Viertel zwischen Albrechtgasse, Schmiedgasse, Landhausgasse, Joanneum und der Stadtmauer blieb im Lauf der letzten 180 Jahre „kein Stein auf dem anderen“. Dem Ausbau der kleinen Tabakamtsgasse zur Landhausgasse mussten schon große Baublöcke weichen: auf Parzelle 222 der ehemalige Vorauerhof (1829 zum Tabak- und Stempelamt geworden); ab 1882 entstand hier zusammen mit den Parzellen 242 bis 245 und 215 der große Komplex der Steiermärkischen Sparkasse mit dem Stefaniensaal. Der Baublock des ehemaligen Seckauerhofes (Parz. 220) wurde 1908 niedergerissen und zum Amtsgebäude des Landes, das bis an das 1811 gegründete Joanneum heran gebaut wurde.
Der in die Montage von Bild 3 eingebaute Grundriss des Seckauerhofes von 1813 zeigt eine bisher nicht beachtete schräge Durchfahrt von der Raubergasse, über den Innenhof und durch den Westtrakt – und damit die Stadtmauer – in Richtung Kälbernes Viertel; diesem Durchgang hatte der kurzzeitige Besitzer, Christian Ritter von Leitner, Herr und Landstand in Steiermark, vertraglich zugestimmt, nachdem 1811 die ähnliche – und heute auch wieder mögliche – Verbindung durch das benachbarte nunmehrige Joanneum und seinen Garten öffentlich nicht mehr möglich war.
Grabungen und Freilegungen der letzten fast sechs Jahrzehnte haben den Verlauf der Stadtmauer ziemlich lückenlos dokumentiert. Während von den Abrissen davor keine Bilddokumentation vorliegt, wurde erstmals der Neubau der Steiermärkischen Sparkasse von archäologischen Untersuchungen begleitet. Dem Projekt mussten ab 1969 ja der Stainzerhof und Altbauten entlang der Landhausgasse weichen, darunter auch das „Dreigiebelhaus“ an der Ecke Andreas-Hofer-Platz, dessen Baukörper dafür in einem von der Sparkasse finanzierten Modell festgehalten wurde.
Dass man hier auf die mittelalterliche Stadtmauer stoßen würde, hat mir damals der Generaldirektor zwar geglaubt, hat aber nicht mit der dadurch erzwungenen fast zweijährigen Bauunterbrechung gerechnet. Ein Stück der Stadtmauer war ja mit freiem Auge direkt an der Südwestecke des Stainzerhofes zu sehen, ein oberer Teil ließ sogar die Vermutung zu, dass es sich um die Brustwehr gehandelt habe (Bild 4 oben: rote Markierung).
Die damalige Direktorin des Stadtmuseums, Dr. Maria Schaffler, hat dann vor, während und nach dem Abbruch, also 1969 und 1970, das Gelände untersucht; dass ich mich da eingemischt habe, zeigt Bild 5. Einen Ausschnitt der Dokumentation im Hist. Jahrb. Graz 3, 1970, mit dem vor dem Durchgang durch die Stadtmauer lokalisierten Turm zeigt der Ausschnitt auf Bild 6, unten.
Der Verlauf der Stadtmauer war davor aber keineswegs unbekannt. In seinen Zeichnungen hatte Dr. Eduard Andorfer, Direktor des Grazer Stadtmuseums, in den 1950er und 1960er Jahren markante Teile der Stadt festgehalten, vor allem jene, wo sich durch Bombentreffer ein Bild älterer Strukturen zeigte. So ist von ihm auch der Bereich des Stainzerhofes detailliert skizziert worden (in Bild 6 habe ich die Abbrüche von 1969 und 2009 eingetragen). Man erkennt deutlich den oben erwähnten Durchgang der Stainzerhofgasse durch das mächtige Gebäude zum Andreas-Hofer-Platz, einst durch einen Turm gesichert.
Eine erneute Erweiterung der nunmehrigen Steiermärkischen Bank und Sparkassen AG erforderte 40 Jahre später wieder den Einsatz der Archäologen. Jörg Fürnholzer hat in den Fundberichten aus Österreich 48 (2009) beschrieben, dass beim Abbruch des Hofgebäudes von Andreas-Hofer-Platz 9 (ehemals Brandl-Haus) Teile der Stadtmauer erfasst werden konnten. Als auch hier wieder interessierter Beobachter habe ich meine Meinung bestätigt gefunden, dass 1969 die Stadtmauer nicht zur Gänze abgerissen worden war. Leider war es auch diesmal nicht möglich, Reste davon an Ort und Stelle zu bewahren.
Der 2006 für das neue „Joanneumsviertel“ erfolgte Aushub des dadurch endgültig zerstörten ehemaligen Joanneumgartens (ursprünglich ja von Erzherzog Johann als botanischer Garten gewidmet), ist in keiner mir zugänglichen Publikation beschrieben. Die gefundenen Baurelikte könnten Teile des im späten 15. Jh. erbauten Rondells, aber auch Fundamente der Gartenanlagen oder von Brunnen des Palais Leslie gezeigt haben.
Der Verlauf der Stadtmauer in diesem Bereich wäre aber auch ohne Grabungen und archäologische Befunde gut festzustellen gewesen. Die in Bild 3 schon gebrachte Montage von drei historischen Grundrissen (Stainzerhof 1798, Seckauerhof 1803, Joanneum 2007) lässt die Stärke der Westfassaden zwischen der heutigen Albrechtgasse und der Nordwestecke des Joanneums eindeutig als Stadtmauer identifizieren. Und in der besagten NW-Ecke des Joanneums ist noch ein Stück der mächtigen Außenmauer übrig geblieben (Bild 7).
Für Bild 8 habe ich wegen der besseren Erkennbarkeit der Details eine Schwarzweiß-Wiedergabe eines Ölbildes aus einer Serie gewählt, die Besitzungen der Grafen Leslie um 1687 zeigen; ein fast identisches Ölbild auf Leinwand, dieses etwa 2 m breit (von F. Zahn dem Landesarchiv gestiftet und von Vincenz Schiffer restauriert, mit darüber schwebendem Engel und der Ostfassade in der Raubergasse) ist im neuen Erzherzog-Johann-Museum in Stainz zu bewundern.
Die Bilder zeigen nördlich und südlich des Gebäudes die mittelalterliche Stadtmauer; am nördlichen Abschnitt ist deutlich erkennbar, dass die Mauer mit ihren mittelalterlichen Schießscharten etwas hinter der Westfront des Lesliehofes lag. Das zeigt sehr deutlich auch der Stich von 1728 (A. Trost, Bild 9) und ein Plan des Joanneumgartens von 1816 (Mell, Joanneum 1911). Das kolorierte Foto von ca. 1860 (Bild 10) zeigt ebenfalls, wie das Joanneum der südlich davon sichtbaren, hohen Stadtmauer vorgerückt war; die in der Frontlinie verlaufende niedrigere Mauer ist als Stützkonstruktion anzusehen. 1669 hatte der Magistrat Graz eigentlich dem Abt von St. Lambrecht nur den Anbau an die Stadtmauer genehmigt.
Eine von mir aktualisierte kurze Bau- bzw. Familiengeschichte von Raubergasse 10, dem heutigen Joanneum, findet sich auf grazerbe.at: Raubergasse 10 – Baugeschichte.
Am Grundriss der Scharfrichterbehausung von 1827 (Bild 10) habe ich den vermuteten Verlauf der Südwestecke der Stadtmauer von 1265 eingezeichnet; die Wandstärke des Gebäudes an dieser Ecke könnte auf einen Eckturm hinweisen – der aber nicht der Reckturm war! Südlich des Areals sind die auf ständischem Grund errichteten Pferdestallungen des Andreas Sattinger angemerkt, des Besitzers des bekannten Gasthofes „Zum Wilden Mann“ in der Schmiedgasse. Daran schloss dann erst der Reckturm an.
Dass die erste Stadtmauer von 1265 bis zum Reckturm reichte (zuletzt noch von Deutschmann 2013 so beschrieben) ist ein offenbar unausrottbarer historischer Trugschluss. Er wurde u.a. schon 1836 durch den Aufsatz „Frühere Besitzer des Joanneumsgebäudes“ von Joseph Wartinger verursacht, bei dem der Reckturm fälschlich mit der Wohnung des Scharfrichters gleichgesetzt wurde.
Die Stadtmauer von 1265 bog tatsächlich schon rund 21 m südlich des Lesliehofes nach Osten ab. Der – auch am Gottesplagenbild von 1485 (Thomas Artula) und den Ansichten von 1635 (Vandesype-Hollar), 1700 und 1728 (A. Trost) sichtbare – Reckturm war ein Eckturm der (1441 erstmals von – damals – König Friedrich IV. erwähnten) Zwingermauer gewesen, die der ersten Stadtmauer von 1265 an dieser Stelle um rund 20 m vorgeschoben wurde. Auf seine Situierung soll in einem der nächsten Beiträge näher eingegangen werden.
Nun wünsche ich wieder viel Vergnügen beim virtuellen Gang entlang der Stadtmauer!
Stadtmauer
Danke lieber Peter, ich bin begeistert. Leider hätte man in der Vergangenheit sorgfältiger mit unserer baugeschichtlichen Vergangenheit umgehen sollen. Lg. Roswitha Neu