15/01/2025

Genau eine Woche ist es her, dass die Stadt Graz zu einer dritten Veranstaltung im Rahmen eines Beteiligungs- und Informationsprozesses zur Entwicklung des Rahmenplans für das Rösselmühlareal im Stadtteil Gries lud.

Wolfgang Steinegger, Architekt und Autor des Buches upgrade SUBURBIA, kommentiert.

15/01/2025

Graffiti an den Silotürmen, Rösselmühle, 2025

©: Wolfgang Steinegger

In der Ära von Alt-Bürgermeister Nagl wurden wir mit verspäteten Präsentationen von weit entwickelten Projekten zur Entwicklung der Stadt Graz konfrontiert, demokratische Teilnahme und Einsprüche blieben nach bereits getroffenen Entscheidungen nur bedingt möglich. Die Folge war eine starke „Frontstellung“ der Bürger anstelle von Kooperation und daher blieb der Widerspruch in den Medien meist die einzige Chance, hoheitlicher Bevormundung und Willkür entgegenzutreten. Heute ist eine Kooperation mit den Bürgern keine bahnbrechende Innovation mehr und in kultivierten Städten seit Jahrzehnten „state of the art“, in Graz wird hier nur zivilisatorisch aufgeholt und nachgebessert.

Für das Gelände der Rösselmühle hat ein „Informationsworkshop“ stattgefunden, es gibt auch einen Zwischenbericht über die Kommunikation mit den Bürgern. Die Stadtbaudirektion, der das Büro für Bürgerbeteiligung und die Koordination der Abteilungen zugeordnet ist, übernimmt die Steuerung über den Entwicklungsprozess. Bei der Veranstaltung sind die Vertreter der Hoheitsverwaltung kaum wahrnehmbar. Die Stadtplanung ist an Personen zahlreich, bietet aber keine neuen fachlichen Inhalte. Die Kooperation mit den Grundstückseignern wird mehrmals bekräftigt, den Investoren entgegenzukommen scheint zum entscheidenden Motiv von Entscheidungen geworden zu sein. Ein umtriebiger Baumeister (profiliert mit vielfältigen Aktivitäten im Grazer Wohnbau) und eine Wohnbaugenossenschaft haben als Grundstückseigner bereits ihre „Claims“ abgesteckt. Der an die Front gestellte Wortführer ist Architekt und „Stadtentwickler“, er erläutert den Planungsstand“ eines „Rahmenplans“. (Referenzprojekt Reininghaus – ob das eine Referenz ist oder eine Niederlage, wäre noch zu klären) Ein „Komitee zur Rettung der Rösselmühle“, welches sich in den letzten Jahren für die Entwicklung des Ortes verdient gemacht hat, bringt Expertise ein, war aber nicht eingeladen und reagiert mit berechtigten verbal-emotionalen Ausbrüchen. Die Gelegenheit zu Fragestellungen wird von der Moderation abgebrochen mit dem Hinweis, es müsse noch Zeit für die Beteiligung mittels schriftlicher Artikulation bleiben. Es folgt ein Planspiel mit bunten Kärtchen und damit wird das Ziel, die Veranstaltung zeitgerecht zu beenden, gut eingehalten und nach diesem „Erfolg“ bleibt der unangenehme Eindruck einer Veranstaltung, bei der etwas verkauft werden sollte. Aber ist damit der Anspruch eines Beteiligungsverfahrens zur Entwicklung eines urbanen Standorts mit der rechtzeitigen Information der Bürger erfüllt?

Es gibt keine Informationen über die stadträumlichen Kontexte – kein Wort über die verkehrspolitischen Zielsetzungen des gesamten Stadtteils, kein Wort über die Einbindung von öffentlichen Grünflächen im Bezirk bis auf die Information, dass die Stadt die Vergrößerung der Park-Grünfläche um 5000 m² anstrebt. Auch kein Wort darüber, wie es zu dieser Größenordnung kommt und ob zusätzliche Grünflächen an dieser speziellen Stelle überhaupt sinnvoll sind. Als Ergebnis des Entwicklungsprozesses wurde als Ziel ein „Rahmenplan“ genannt, was offensichtlich den Erfahrungen der Entwicklung von „Reininghaus“ geschuldet ist. Der Architekt betont in seiner Einleitung das unbedingte Eintreten für das öffentliche Interesse, erläutert aber nicht, was das an dieser Stelle bedeutet. In der Präsentation lässt er die Katze aus dem Sack und stellt auf Sockel gestellte Baukörper mit bis zu 11 Geschoßen vor, die mit 300 Wohnungen gekrönt werden und mit 2 Tiefgaragen unterbaut sind.

Der Bezirk Gries zählt zu den einwohnerstärksten der Stadt und deshalb braucht die „neighbourhood“ und der Standort Rösselmühle keine Bevölkerungsverdichtung, um eine funktionierende Urbanisierung zu sichern. Zusätzliche Bewohner sind hier nicht schlüssig zu begründen und die Absicht, hier mit Geschoßwohnbau zu verdichten, ist kurzsichtig und banal zugleich. Denn man kann in beide Richtungen argumentieren. Je nach sozialer Gruppe wird im öffentlichen Interesse eine Nutzung mit mehr Park- oder bespielbarer Oberfläche von den Bürgern der neighbourhood argumentiert werden, die privaten Grundstückseigner und Investoren träumen aber von einer rechtlich abgesicherten, maximalen baulichen Verdichtung mit Renditen im Geschoßwohnbau. Das führt zu mehr business, aber nicht unbedingt zu mehr Urbanität.

Erstens ist noch lange nicht ausreichend verhandelt, wie intensiv dieser Standort mit Gebäuden genutzt werden soll. Dazu braucht es Aussagen, wie sinnvoll hier zusätzlicher Wohnbau ist und ob kommerzielle Nutzungen fragwürdig oder sogar nachteilig sind. Rösselmühl- und Oeverseepark könnten gemeinsam den am dichtest bebauten Bezirk von Graz etwas beruhigen. Die Tatsache, dass die Stadtbaudirektion zusätzliche Flächen für eine Nutzung als „Park“ (5000 m² lt. Informationsveranstaltung) vorgibt, beweist die Unsicherheit in dieser Frage. Öffentliche Nutzungen der Oberflächen, darunter ist auch die Mühle mit den vertikalen Bauteilen und den Betonfassaden zu verstehen, könnten zur Entspannung der diversen sozialen Milieus beitragen.

Zweitens ist die funktionale Integration des Ortes in den umfassenderen urbanen Zusammenhang völlig unklar. Dass der Standort die angedeutete Flächennutzung eines Kerngebiets überhaupt benötigt, wird behauptet, aber nicht argumentiert, denn nur der Diskurs zur Gesamtstadt könnte ausreichende Grundlagen beisteuern. Die zusätzliche Verdichtung mit Geschosswohnbau wird zu einer gedankenlosen Banalisierung des Standorts beitragen, wie das in der Nähe bei den Bebauungen in der Karlauerstrasse anschaulich zu beobachten ist. Genau daran hakt die Sache: Die Stadt hat zur Frage der Verdichtung ihres gesamten Stadtgebiets keine ausreichend fundierten Grundlagen. Der fragmentarische „Deckplan 6“ (Zentrumzonen) des Stadtentwicklungskonzepts 4.07 lässt am Standort Rösselmühle alle Fragen offen, das Entwicklungskonzept sieht hier keine Zentrumsfunktion vor. Auch der Fläwi (Flächenwidmungsplan) kann keine Vorgaben beisteuern, weil er zu Fragen einer sinnvollen, menschengerechten Urbanisierung als technokratisches Verwaltungsinstrument a priori fehl am Platz ist. Bestehende Rechtstitel wie „Gewerbe und Mischgebiet §19“ oder „Gewerbe und Zentrum §20“ beweisen die planungstechnische Unsicherheit, und auch wenn ein Wechsel in „Kerngebiet“ erfolgen sollte, wird das an den Anforderungen an Urbanität nichts ändern.

Bei dieser „Informationsveranstaltung“ stehen zwei Liegenschaftseigentümer hinter den Kulissen in einem urbanen Entwicklungsprozess, wobei der zugezogene Architekt als Erfüllungsgehilfe dient. Das verbal überstrapazierte öffentliche Interesse bleibt als leere Floskel auf der Strecke. Die vorgestellten Absichten lassen als oberstes Entwicklungsmotiv das „gute Einvernehmen“ mit den umtriebigen Eignern und Investoren erkennen, die ihre Geringschätzung von öffentlichen Nutzungen auf dem Areal kaum verstecken. Es ist naiv zu glauben, dass die Artikulation der vielschichtigen sozialen Anforderungen an Urbanität mit komplexen Nutzungen im öffentlichen Raum ihr Antrieb sein wird. Ob die Kompetenz vorhanden ist, einen gesamtstädtischen Entwicklungsprozess zu begleiten, müsste auch noch nachgewiesen werden.

Die Grazer Stadtplanung ist vom Wahn der baulichen Verdichtung besessen. Mit der Maxime, innerhalb der Stadtgrenzen baulich zu verdichten, glaubt sie sich auf der sicheren Seite der Kritik. Aber den fragmentarischen und wechselnden Vorgaben fehlt die Substanz, innere Konsistenz und Kontinuität. Vor zwei Jahren war im sogenannten „Deckplan 6“ des Stadtentwicklungskonzepts 4.07 ein Großteil des Stadtgebiets als „Zentrumszone“ ausgewiesen, heute ist es ein kleines Areal (Beschluss Teil A) hinter dem Hauptbahnhof. Bis heute fehlt die Identifikation von Orten, an denen sinnvoll verdichtet werden soll und die sich als urbane Stadtteile entwickeln könnten.

Wie so oft bleibt die Frage offen, wie und von wem denn besonders heikle, weil nicht alltägliche urbane Entwicklungsgebiete an speziellen Standorten zu bewältigen sind? Sollen städtebaulich tätige Verwaltungsapparate sich nicht intensiver mit den übergeordneten Instanzen des Großraums auseinandersetzen, die komplexen Verflechtungen von Mobilität und Bebauungsfragen im suburbanen Umland bearbeiten und die Schlüsse daraus in die neighbourhoods der Kernstadt einflechten? Was ist hier eigentlich das Ziel? Wo bleibt die Auseinandersetzung mit der Zukunft der diversen Stadtteile? Wer setzt sich für das urbane Gemeinwohl ein? Als ultimative Frage an die politischen Entscheidungsträger der Stadt bleibt:

Wer vertritt das öffentliche Interesse der anonymen Bürger, der Flaneure und der Gaukler?

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