14/08/2009
14/08/2009

Klosterneuburger Strandbad (Quelle Klosterneuburg. Geschichte und Kultur, Sonderbd.2)

Eingangsbau zum Strandbad Kritzendorf

Lageplan der als Verein organisierten Strandbadsiedlung Klosterneuburg

Privatbad Klosterneuburg

Schlichtes, kubisches Strandhaus, 1933 errichtet, (Quelle Klosterneuburg, Geschichte und Kultur Sonderbd. 2)

Moderne en miniature, vielfach geflickt und repariert

Idylle am Donaustrand

Straße zwischen den Häuserzeilen

Kawafag-Typenhaus, 30er-Jahre (Quelle Klosterneuburg. Geschichte und Kultur, Sonderbd.2)

Tiroler Badehaus auf Stelzen

Die Strom- und Strandbadkolonien Kritzendorf und Klosterneuburg

An der Donau, kaum 15 km von Wien entfernt, hat sich ein fragiles Juwel der österreichischen Architekturmoderne erhalten, das ein Geheimtipp unter den österreichischen Badeorten ist: die Badehauskolonien in Klosterneuburg und Kritzendorf, die – an den Flussstränden gelegen, mit üppiger, liebevoll gepflegter Vegetation durchwachsen – heute beschauliche, ein wenig nostalgische Oasen in unmittelbarer Großstadtnähe sind.

Ein neuer Umgang mit dem Körper hatte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die Errichtung zahlreicher Freibäder nach sich gezogen. Sommerfrische war das Schlagwort und Zugpferd des Massentourismus dieser Zeit. Eine größere Mobilität durch Bahn und Automobil ließ in der Zwischenkriegszeit im Zuge der Weekend-Bewegung auch an der Donau Badeanlagen und dazugehörige Kolonien boomen. Diese sind einige Jahrzehnte vor den großstädtischen Freibädern, wie etwa jenen in Wien, entstanden und auch mit den Flussbadeanlagen am niederösterreichischen Kamp und den Seebadeanstalten an den Kärntner- und Salzkammergutseen vergleichbar.

Ihre gesellschaftliche Blütezeit erreichten die Badekolonien in Kritzendorf und Klosterneuburg in den 1920er- und 30er-Jahren. Sie waren ein Sommertreffpunkt vieler bürgerlichen Wiener Familien, aber auch quer durch alle sozialen Schichten. Im Musikpavillon spielten Mitglieder der Wiener Symphoniker, Intellektuelle und KünstlerInnen vergnügten sich in Kritzendorf, das von Hilde Spiel, Heimito von Doderer, Friedrich Torberg und anderen literarisch verewigt wurde. Diesem mondänen Treiben an der „Donau-Riviera“ bereitete der „Anschluss“ 1938 ein schlagartiges Ende. Die Historikerin Lisa Fischer hat nachgewiesen, dass 80 % der Häuser nach 1938 als „jüdischer Beitz“ deklariert und durch „Arisierung“ enteignet wurden.

Gemeinsames Merkmal der ab der Jahrhundertwende errichteten und von mehreren Generationen reparierten und ergänzten privaten Badehäuschen ist, dass sie – aufgrund der häufigen Hochwassergefahr – auf Pfählen stehen. Meist handelt es sich um multifunktionelle Einraumhäuser mit Terrasse zum Sonnenbaden und kleinem Garten. Innovative Grundrisslösungen und zukunftsträchtige Konstruktionsweisen wurden hier – oft in Serie – getestet. Das Baumaterial ist in der Regel Holz. Auch wenn in letzter Zeit seltsam anmutende Tirolerhäuschen auf Stelzen hinzugekommen sind, erscheinen doch viele der Bauten aus der Zwischenkriegszeit mit ihren Pilotis, Bullaugen-Rundfenstern, Flachdächern, (Dach-)Terrassen und horizontalen Gliederungen wie eine moderne Architekturschau en miniature an.

Unter den ausführenden Architekten der 30er-Jahre waren bekannte Vertreter der Wiener Moderne wie Felix Augenfeld, Fritz Gross, Heinz Rollig etc. Zu den ausführenden Firmen der Holzbauten, mit denen im Fertigteilbau experimentiert wurde, gehörten die Klosterneuburger Wagenfabrik (Kawafag), Leopold Haas & Sohn, Hartl-Häuser und Böhler Stahlbau.

Unter der Leitung von Caroline Jäger-Klein und Sabine Plakolm-Forsthuber erfassten 2005/06 ArchitekturstudentInnen der TU Wien die Architektur der Strandbäder und Wochenendkolonien in Klosterneuburg und Kritzendorf und recherchierten in den Archiven ihre Entstehungs- und Baugeschichte. Dabei konnte die Entwicklung von primitivsten Hütten zu architekturhistorisch interessanten Strandvillen nachvollzogen werden. Ziel einer daraus hervorgegangenen Ausstellung im Strandbad Klosterneuburg war „gerade unter den derzeitigen Hausbesitzern und Dauernutzern der Bäder das Bewusstsein zu verankern, dass sie mit ihren oft recht unscheinbar anmutenden ‚Badehäuschen‘ einen großen Schatz der österreichischen Architekturtradition hüten und pflegen.“

In den letzten Jahren haben die Siedlungen der ehemaligen Sommerfrische- und Weekend-Bewegung wieder an Attraktivität gewonnen. Junge Architektenteams entwickeln innovative, energie- und kosteneffiziente Bauten, die dem Niedrigenergie- oder Passivhausstandard entsprechen und den umweltschonenden, recycelbaren Baustoff Holz zum Einsatz bringen.

Lesetipp:

Caroline Jäger / Sbine Plakom-Forsthuber / Thomas Prlič
Die Architektur der Klosterneuburger Strandbäder und Wochenendkolonien
(= Klosterneuburg Geschichte und Kultur, Sonderband 2)
Klosterneuburg 2007
€ 12,00
ISBN 978-3-85028-453-0

Lisa Fischer
Die Riviera an der Donau. 100 Jahre Strombad Kritzendorf
Böhlau Verlag
Wien-Köln-Weimar 2003
€ 19,90
ISBN 978-3-205-77114-2

Fotos: Antje Senarclens de Grancy (sofern nicht anders angegeben)

Verfasser/in:
Antje Senarclens de Grancy, Bericht
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