Hier in Österreich schrumpfen die Mitgliederzahlen um etwa 2% jährlich [1]. Dies hat nicht allein spirituelle Auswirkungen auf die Institution Kirche, sondern auch enorme finanzielle Folgen. Die katholische Kirche bezieht den größten Anteil ihrer Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen. Mithilfe dieser Beiträge werden im Wesentlichen die laufenden Kosten für das Personal und den Erhalt der Gebäude gedeckt. Insbesondere der Erhalt der Kirchengebäude kostet die katholische Kirche in Österreich jedes Jahr mehrere Millionen Euro. Im Jahr 2022 waren das stolze 42,5 Millionen Euro für die Bau- und Erhaltungskosten [2]. Der Erhalt kostet damit viel Geld, selbst wenn die Räume nur selten oder gar nicht mehr genutzt werden.
Ein anschauliches Beispiel für die Herausforderung der hohen Erhaltungskosten zeigt sich an der Kalvarienbergkirche in Bruck an der Mur. Einst war es ein gern besuchtes Gebäude mitten im Wald mit Gottesdiensten, Hochzeiten und hohen Messen an Feiertagen. Inzwischen ist die denkmalgeschützte Kirche seit 1969 dem Zerfall preisgegeben, da die Renovierungskosten das vorhandene Budget überschreiten [3].
Diese Kirche war der Pfarre Bruck von Anfang an ein Ärgernis. Während einer Pestepidemie im Jahr 1716 gelobten die Bürger von Bruck an der Mur, eine neue Kirche zu bauen. Als die Epidemie überwunden war, begannen die Bauarbeiten. Es entstand ein rechteckiges Langhaus mit eingezogenem Chor, welches durch Pilaster und umlaufendem Gebälk gegliedert ist. Das Kircheninnere wurde in einem dreijochigen Kreuzgratgewölbe ausgeführt, ein bemalter Triumphbogen eingezogen sowie Rechteckfenster eingesetzt. Die Wände wurden bemalt und der Innenraum nach barockem Vorbild ausgestattet. Doch die Kirchengemeinde hielt die neue Kirche für überflüssig, da es bereits zu viele Kirchen innerhalb der Pfarre gab [4]. So blieb die Kirche auf dem Kalvarienberg zunächst im Besitz der Stadt und ging erst im 19. Jahrhundert an die Pfarrei über. Seit 2018 ist sie profaniert, also entweiht, und damit nur noch ein gewöhnliches Gebäude im Eigentum der Kirchengemeinde. Dieser Schritt wurde aufgrund der zu hohen Erhaltungs- und Renovierungskosten sowie des Überangebots an Kirchengebäuden in der Gemeinde durchgeführt. Nun wartet das Gebäude darauf, wieder neues Leben eingehaucht zu bekommen.
Warum nicht verkaufen oder umnutzen?
Um das besser zu verstehen, hilft es, sich die Ursprünge der Kirche als Ort und als Bauwerk anzusehen. Die Architektur von Kirchen geht auf den antiken Bautyp einer Basilika zurück, der im Laufe der Jahrhunderte zum Symbol der christlichen Sakralbauweise wurde. Ursprünglich als Markt- und Gerichtshallen konzipiert, waren Basiliken ein Ort der Begegnung und Zuflucht für die Bevölkerung, was sie auch heute noch teilweise sind.
Kirchen sind zudem wichtige Zeugen unserer westlichen Kultur und Vergangenheit und prägen unser Stadtbild und unsere Ortschaften maßgeblich. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Verbundenheit der Gesellschaft mit Kirchengebäuden bei ihrer Umnutzung oder anderweitigen Verwendung mit Fingerspitzengefühl und Sensibilität zu berücksichtigen. Doch dies gestaltet sich keineswegs einfach.
Hinter den trockenen Statistiken über Kirchenaustritte und damit verbunden schwindende Finanzen verbergen sich zahlreiche emotionale und persönliche Beziehungen, die Menschen mit Kirchen verbinden. Die steigenden Austrittszahlen mögen eine Distanzierung von der Institution Kirche anzeigen, jedoch nicht von den Bauwerken selbst. Hier wurden Menschen getauft, vermählt und verabschiedet – eine Stätte persönlicher und kollektiver Erinnerungen und Erfahrungen. So entstehen starke emotionale Bindungen zu diesen Bauwerken, die tief in die Geschichte und Identität einer Gemeinschaft eingebettet sind.
Betrachtet man jedoch die Vergangenheit, findet man auch in der Historie der Kirchengebäude bereits etwaige Umnutzungen. Wie zum Beispiel die Nutzung als Getreidelager, Unterrichtsräume, Märkte oder für öffentliche Veranstaltungen wie zum Beispiel Theateraufführungen, Gerichtsverhandlungen, Krönungen, Konzerte oder Ratsversammlungen. Auch hier waren Veränderungen, wie Kriege, Epidemien oder einfach der Bedarf an Raum Anlass für die anderweitige Nutzung des Raumes Kirche.
Ein Beispiel hierfür ist die Heiligen-Geist-Kapelle in Bruck an der Mur [5]. Im Jahre 1422 erbaut als Dank- und Mahnmal nach Pest-, Hunger- und Kriegsplagen, diente sie bis 1783 als Raum für Gottesdienste. Danach verfiel sie und wurde 1794 entweiht. Der Postmeister Ignaz Weigl ersteigerte die Kapelle und nutzte sie als Pferdestall und Heustadel. 1817 baute Franz Oberländer sie in ein Wirtshaus um. Ab 1955 war sie im Besitz der Stadt und diente als Wohnhaus. Der geplante Abriss der Kapelle für den Autobahnknoten wurde nicht umgesetzt, doch wegen der schlechten Wohnsituation stand die Kapelle ab 1999 leer. 2011 initiierte Philipp Harnoncourt mit seinen Geschwistern den Erhalt und die Wiederherstellung des seit 2004 unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes. Das Architekturbüro Stingl-Enge Architekten ZT-GmbH gewann 2014 den ausgeschriebenen Wettbewerb und leitete die Restaurierungsarbeiten. Sie gaben den nicht mehr vorhandenen Elementen, wie Glasfenstern, Portale und dem Fußboden eine zeitgenmäße künstlerische Gestaltung. Das Gebäude wurde jedoch keiner spezifischen neuen "Bestimmung" zugeführt, sondern steht heute als einzigartiges Denkmal zur Verfügung.
Die Umnutzung einer Kirche zielt also im Grunde primär darauf ab, das Gebäude zu erhalten und dessen Finanzierung für den Erhalt sicherzustellen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass das Bauwerk seine Rolle als Treffpunkt für die Gemeinschaft, wie die Heiligen-Geist-Kapelle in Bruck zeigt, verlieren muss.
Wie wäre es mit Klettern mit göttlichem Beistand?
Das ist in Großbritannien in der Stadt Manchester möglich. Hier wurde eine Kletterhalle in die St.Benedict Kirche integriert [6], die so vor dem Abriss bewahrt wurde.
Ein weiteres inspirierendes Beispiel im Bereich Sport und Freizeit findet sich im Norden Spaniens, genauer gesagt in Llanera. Dort wurde in die rund 100 Jahre alte Kirche Santa Barbara ein Skatepark integriert [7]. Mit Hilfe von Crowdfunding und mit dem Red Bull Konzern konnte der Umbau finanziell unterstützt werden. Seit seiner Entstehung lockt er Skater*innen aus allen Teilen der Welt an.
Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel im Bereich Kultur und Bildung bietet die Dominikanerkirche in Maastricht, die als älteste gotische Kirche in den Niederlanden gilt und im Jahr 1294 erbaut wurde [8]. Nachdem sie bereits temporär als Zwischennutzung einen Boxring und eine Automobilausstellung beherbergte, wurde sie 2006 in eine Buchhandlung umgewandelt und befindet sich in privatem Eigentum. Die Umgestaltung wurde vom Architekturbüro Merkx+Girod [9] durchgeführt und die Buchhandlung gilt heute als eine der schönsten der Welt.
Die Beispiele zeigen, dass in anderen europäischen Ländern das Thema der Umnutzung mutiger angegangen wird. Dies liegt vor allem daran, dass die Austrittszahlen in diesen Ländern deutlich höher sind als in Österreich und Leerstände von Kirchen daher häufiger auftreten.
Aber es geht auch weniger extrem
In Deutschland gibt es ein starkes Bewusstsein dafür, dass der sakrale Raum nach einer Umnutzung als Treffpunkt nicht verloren geht und daher erhalten viele Kirchengebäude soziale, kulturelle und kommunale Funktionen. Beispiele hierfür sind die Kindertagesstätte St. Sebastian in Münster (Architekturbüro Bolles+Wilson) [10], bei der die katholische Kirchengemeinde einen Investor suchte und in der kommunalen Wohnungsgesellschaft Wohn+Stadtbau GmbH fand. Das Studentenwohnheim in der Gerhard-Uhlhorn Kirche in Hannover (pfitzner moorkens architekten PartG mbB) [11], welche vor dem Umbau von der Institution Kirche an die Firma Dr. Meinhof und Felsmann GBS GmbH&Co.KG verkauft wurde, oder das Theater St. Albertus-Magnus in Bochum (dreibund architekten ballerstedt | helms | koblank PartGmbB BDA) [12], dass im Besitz der TheaterTotal GmbH ist, wobei diese nur einen Nutzungsvertrag mit der Kirche abgeschlossen hat.
Die bedeutendste neugotische Kirche der Schweiz steht in Basel: die Elisabethenkirche. Betrieben wird sie von einem ökumenischen Verein als „offene Kirche“, die sowohl für ihre ursprüngliche Funktion für Gottesdienste als auch für kommerzielle Veranstaltungen wie Konzerte und Partys genutzt wird [13]. Ein Leihvertrag zwischen der Evangelisch-Reformierten Kirche Basel-Stadt und dem Verein "Offene Kirche Elisabethen" regelt die Nutzung des Gebäudes.
Eine unkomplizierte Lösung, die bereits Anwendung findet, besteht darin, die leerstehenden Kirchenräume anderen Religionsgemeinschaften zur Verfügung zu stellen oder zu verkaufen und damit eine Konversion des Gebäudes zu vollziehen. Angesichts der wachsenden Vielfalt an Glaubensrichtungen innerhalb eines Landes könnten diese Räume zu einem Symbol für religiöse Pluralität werden. Die Öffnung solcher Räume für verschiedene Glaubensrichtungen spiegelt die zunehmende Vielfalt und Toleranz innerhalb der Gesellschaft wider, indem sie Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen zusammenführt und einen Raum für interreligiösen Dialog und Verständigung schafft.
Wie könnten wir nun die Kalvarienbergkirche neu beleben?
Auch die Kalvarienbergkirche bietet eine Fülle von Möglichkeiten für eine vielseitige und lebendige Nutzung, die das Gebäude zu einem zentralen Anlaufpunkt in der Gemeinde, aber auch über die Region hinaus machen könnte. Von einem kulturellen Veranstaltungsort mit Freilichtbühne über ein Naturerlebniszentrum, eine Waldschule oder einen Kindergarten bis hin zu einem Abenteuerspielplatz. Auch die Idee einer ökologischen Herberge zur Förderung des Naturerlebnisses und Umweltbewusstseins ist denkbar– die Optionen sind vielfältig und der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Ob du glaubst oder nicht - die Zukunft leerstehender Kirchenräume bleibt ein spannendes Thema. Trotz der steigenden Zahl an Kirchenaustritten bleibt die emotionale und kulturelle Bedeutung der sakralen Gebäude für die Gemeinschaft bedeutsam, allerdings fehlen der Kirche die finanziellen Mittel zum Erhalt dieser Bauwerke. Die Privatisierung von Kirchen könnte bei der Umnutzung und somit der Finanzierung helfen. Ob durch die Institution Kirche oder private Besitzer, die Umnutzung von Kirchen erfordert ein feinfühliges Gleichgewicht zwischen Tradition und Wandel, wobei die Förderung von Vielfalt und Toleranz eine zentrale Rolle spielen sollte.