06/08/2024

Affekt und Spektakel sind zweifelhafte Grundlagen für die Herstellung von Architektur, finden die beiden Autoren.

06/08/2024

Sam Jacob gestaltete für den Zeitraum des Angewandte-Festivals 2024 die "Piazza Novissima" auf dem Oskar-Kokoschka-Platz in Wien

©: Harald Trapp/ Gerhard Flora (AKT)

„Unsere Analysen haben keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, daß irgendwann in diesem Jahrhundert, vermutlich in dessen zweiter Hälfte, eine Epochenzäsur zu beobachten wäre, die das Gesellschaftssystem selbst betrifft und es rechtfertigen könnte, einen Übergang von der modernen zu einer postmodernen Gesellschaft zu behaupten."[1] (Niklas Luhmann)

Dass die Architekt*innen ab dem Ende der 1970er Jahre von allen Kulturschaffenden am eifrigsten an der Idee einer Verabschiedung der Moderne arbeiteten, zeigt zweierlei: Ihren Hang zur Selbstüberschätzung und ihre Willfährigkeit zur Selbstentmachtung. Mit der Erfindung einer „Sprache der postmodernen Architektur“ glaubten sie sich zur Speerspitze einer „Epochenzäsur“ zu machen – und degradierten sich mehr oder weniger bewusst zu Kulissenbauer*innen. Dabei fiel der Architektur durch ihre enge Verwebung in der Alltagspraxis schnell der zweifelhafte Ruhm zu, die diffusen Theorien vom Ende der Geschichte und der neuen Unübersichtlichkeit unmittelbar anschaulich zu machen.

Was aber international als Postmoderne deklariert wurde, war nicht um ein „differenzierteres Verhältnis zur modernen Architektur“ (Hermann Czech) bemüht, sondern zu einem guten Teil die Kapitulation vor einer Konsumkultur, die in den westlichen Industriestaaten totalitären Charakter angenommen hatte. Denn, so schrieben Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ über die Vergnügungsindustrie: „Fun ist ein Stahlbad“.[2] Anstatt den Zusammenhang zwischen Spektakel und Kapitalismus offenzulegen, an Alternativen zu arbeiten und die gesellschaftliche Produktion von Raum zu hinterfragen, forderten Denise Scott Brown und Robert Venturi, die Architektur solle von Las Vegas lernen und ebneten den Weg für eine Architektur der „dekorierten Schuppen“ und „Enten“. Le Corbusier dagegen hatte noch „Architektur oder Revolution“ gefordert. Nun wurden die emanzipatorischen Möglichkeiten des Bauens zugunsten der freien Verwertung von Menschen und Sachen aufgegeben. Bunte Fassaden und Maskierungen behübschten fortan die wirtschaftsliberale „Revolution“ von Thatcher und Reagan, welche zur gleichen Zeit einen radikalen Abbau des Sozialstaats vorantrieb.

Die Architektur ergab sich einer Entwicklung, in deren Mittelpunkt die gewinnmaximierende Nutzung von Boden stand und steht und die zu jenem globalen Brei von Developer-Bauten geführt hat, die von der Donauplatte bis Dubai ihren eigentlichen Zweck nie verheimlichen. Mit der Finanzkrise 2008 schien dieses Geschäftsmodell und die dafür ausgeschlachtete Architektur ihren Zenit überschritten zu haben. Doch keine fünfzehn Jahre später wendet die Disziplin sich in ihrer Einfallslosigkeit wieder den Anfängen der Postmoderne zu.

Sam Jacob, soeben berufener Professor für Architekturentwurf an der Universität für Angewandte Kunst, hat zu seinem Einstand in Wien für die Jahresausstellung temporär den Oskar-Kokoschka-Platz gestaltet. Dabei hat er sich die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, diesen zweispurigen Asphaltstreifen zwischen Zollamtsstraße und Stubenring in eine „Piazza Novissima“ zu verwandeln. Sowohl die sprachliche Überhöhung, mehr noch aber die Referenz auf das historische Vorbild Paolo Portoghesis zeigen klar, an welche Tradition die Arbeit anschließen will.

Wo aber dessen „Strada Novissima“ für die erste Architekturbiennale 1980 wenigstens noch die Kulisse einer Straße darstellte, ist auf dem Oskar-Kokoschka-Platz von den blumig angekündigten „Toren“ und „Kolonnaden“ nichts zu sehen. Von einer Rückeroberung der „Straße“ als „kollektiv genutztem Raum“, wie es im Begleittext weiter heißt, noch weniger. Einige Kinder hüpfen zwischen bunt beklebten Zylindern herum, die zeichenartige Wimpel tragen, ein paar Besucher*innen sitzen verstreut auf Plattformen. „Der Entwurf spielt mit verschiedenen Vorstellungen von Öffentlichkeit: der Ad hoc-Versammlung eines Straßenfestes; der formalen Strenge der klassischen Agora, der volkstümlichen Symbolik des Mittsommerfestes.“ Wer vor Ort ist, reibt sich die Augen: Wo ist die Agora, wo das Mittsommerfest? Wo das Plädoyer „für die Straße als inklusiver und ausdrucksstarker (sic!) öffentlicher Raum“?

Aber auch das war und ist architektonische Postmoderne: Kein Superlativ zu groß, keine Referenz zu bemüht  – und meist durch das gebaute Ergebnis nicht eingelöst. Das Auseinanderklaffen von Beschreibung und Werk passt insofern, als diese Form des Sprechens über Architektur mehrere Jahrzehnte eine Verwischung und Verunklarung gefördert hat, die Kern des Marketings der Konsumwirtschaft ist. Auch das hat Methode, denn, so Adorno: „Der vage Ausdruck erlaubt dem, der ihn vernimmt, das ungefähr sich vorzustellen, was ihm genehm ist und was er ohnehin meint“[3]

Schon drei Jahre vor Portoghesis „Strada Novissima“ hatte Charles Jencks in „Die Sprache der postmodernen Architektur“ den Tod der Moderne ausgerufen. Als der amerikanische Architekturtheoretiker kurze Zeit später vor der Meisterklasse Hollein einen Vortrag halten sollte, zeigte Hermann Czech den Studierenden vorab, dass Jencks zehn Kriterien für postmoderne Architektur von der frühen österreichischen Moderne alle bereits erfüllt worden waren. „Die Komplexität des postmodernen Ansatzes ist in der modernen österreichischen Architektur von Anfang an enthalten. […] Ein Import ist gar nicht nötig.“[4] Heißt zu Ende gedacht: Eine Postmoderne war und ist nicht nötig. Heißt aber nicht, dass die Moderne nicht verbesserbar sei und ständig kritisch hinterfragt werden müsse. Was es jedoch bedeutet, von dem durch sie vorgegebenen Anspruch abzukommen, die Welt nach Maßgabe der Vernunft zu betrachten und entsprechend zu handeln, zeigen die sich häufenden gesellschaftlichen Krisen seit einigen Jahren in unheilvoller Weise.

Nun ist zu hoffen, dass die Wiederbelebungsversuche der postmodernen Architektur eine Randerscheinung bleiben – obwohl es derzeit Anzeichen für eine Häufung gibt.[5] Denn gegen die kritiklose Art, wie sie Affekt, Spektakel und Konsum in gebaute Zeichen verwandeln will, ist Widerstand geboten. Sonst, so Owen Heatherly, droht sich jene verhängnisvolle Allianz von Gestaltung und Profit zu wiederholen „(…) which assumed that the most crucial point of intersection between aesthetics and users was the cash nexus. And if the plastic broken pediments and fibreglass Doric columns are gone, that spirit certainly outlives it."[6] Immerhin waren die Säulen auf dem Oskar-Kokoschka-Platz aus nachhaltiger Pappe.

 

_____________Quellen

[1] Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1998), S.1143

[2] Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1989 (1944)), S. 149

[3] Theodor W. Adorno, Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1951 (2003)), S. 114

[4] Ausstellungstext in: „Hermann Czech – Ungefähre Hauptrichtung“, (fjk3–Raum für zeitgenössische Kunst in Kooperation mit dem Architekturzentrum Wien), Kurator:innen: Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß, Fiona Liewehr in Kooperation mit Hermann Czech, 16. März – 9. Juni 2024

[5] Greg Lynns Professur an der Angewandten endet 2024. Ihm folgt das englische Architekturstudio Space Popular. Auch ihre Arbeit wird vielfach in Zusammenhang mit neopostmodernen Tendenzen in der Architektur gebracht. „For our approach to [postmodern] architecture, is actually that much more influential for our work, and what we´ve studied much more than postmodern buildings, is whats normally referred to as theming in architecture. We have done […] research into everything from integrated resorts, to casinos and theme parks.” – Job Floris im Interview mit Space Popular, 6 Questions: Space Popular: https://www.youtube.com/watch?v=4bRg3__HEYw&ab_channel=ArchitectureFoundation Zugriff: 2. August 2024

[6] Owen Heatherley, „Postmodernism will not be forgiven lightly for what it did to architectural culture“, in Dezeen (20. August 2015) https://www.dezeen.com/2015/08/20/postmodernism-not-forgiven-impact-architectural-culture-legacy-owen-hatherley-opinion/ Zugriff: 2. August 2024

Anselm Wagner

Es tut mir leid, aber der Kurzschluss hier neoliberale Postmoderne - dort sozial verantwortliche Moderne funktioniert nicht. Denn als die Moderne Ende der 80er-Jahre wieder zurückkehrte und den Pausenclown namens Postmoderne verdrängte, kam der Neoliberalismus erst so richtig in Fahrt. Konzernzentralen gefielen sich in minimalistischen Stahl-Glas-Wolkenkratzern ganz ohne Säulen, Giebeln und bunten Farben. Und die Autoren sollten sich schon entscheiden, ob sie mit Luhmann sagen wollen, dass es die Postmoderne gar nicht gibt oder dass man ihre Wiederkehr bekämpfen/kritisieren soll. Beides geht nicht.

Mi. 07/08/2024 17:44 Permalink
Harald Trapp, Gerhard Flora

Antwort auf von Anselm Wagner

Vielen Dank für den Kommentar! Ob Ende der 80er Jahre wirklich die Moderne zurückkehrte, als etwa der sogenannte Dekonstruktivismus erst in Fahrt kam, würden wir bezweifeln. Betrachtet man die globale Produktion kommerzieller Architektur, scheint in weiten Teilen der Welt noch immer das zeichenhafte Bauen zu dominieren. Den angesprochenen Kurzschluß können wir im Text nicht finden, denn es wird darauf hingewiesen, dass - siehe Luhmann - sich in der Gesellschaft keine Anzeichen für eine Postmoderne finden lassen (Reckwitz und andere sprechen von "Spätmoderne"), in der Architektur aber eine gestalterische Entwicklung "international als Postmoderne deklariert wurde".

Mi. 28/08/2024 17:29 Permalink
Anselm Wagner

Antwort auf von Harald Trapp, Gerhard Flora

Es tut mir leid, aber die These, es habe nur in der Architektur eine Postmoderne gegeben und sonst nicht, entbehrt jeder Grundlage. Der Begriff Postmoderne entstammt der Literaturwissenschaft der 1950er/60er-Jahre, wurde von dort 1975 von Charles Jencks auf die Architektur übertragen und wird seither in allen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften millionenfach angewandt (als Einstieg in diese nicht mehr überschaubare Literatur empfehle ich die einschlägigen Bücher von Wolfgang Welsch). Zu behaupten, es gäbe keine Postmoderne, ist ungefähr so sinnvoll wie zu behaupten, es gäbe keine Moderne oder keine Renaissance. Solche Klassifikationsbegriffe existieren ja nicht als historische Fakten, sondern konstituieren sich durch ihre Anwendung. Natürlich kann man die Sinnhaftigkeit dieser Anwendung bestreiten, aber bei der enormen Breite der Anwendungen ist das eine Sisyphusaufgabe. Luhmann in Ehren, aber da hat sich die Sphinx aus Bielfeld gewaltig geirrt.
Zur Architektur: Zeichenhaftigkeit ist ein Merkmal jeder Architektur und aller Dinge, die kulturell hergestellt werden. Jedes Gebäude ist ein indexikalisches und ein symbolisches Zeichen; man kann, um Roland Barthes zu zitieren, "nicht nicht kommunizieren". Was Sie offenbar meinen, ist eine ikonische Zeichenhaftigkeit, die wird vom Funktionalismus abgelehnt und spielt in der postmodernen Architektur sicherlich eine wichtige Rolle, aber z.B. genauso im Brutalismus und ist keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal postmoderner Architektur. Wo man den Dekonstruktivismus hintut, darüber kann man diskutieren, aber die deskonstruktivistischen Vertreter der Grazer Schule oder die Coop Himmelb(l)au würden sich schön bedanken, wenn man sie als postmodern bezeichnen würde. Ganz abgesehen davon halte ich es nicht für zielführend, ganze Architekturströmungen moralisch abzuwerten. Über dieses ewige Spiel der Ermordung der Väter zur Durchsetzung der Söhne sollten wir langsam hinwegkommen.

Do. 05/09/2024 18:54 Permalink
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