Bereits im Jahr 2004 wurde über einen Fachbeirat für Graz nachgedacht. Während sich Stadtbaudirektor Bertram Werle seit jeher dafür stark machte, stemmte sich der damalige Planungsstadtrat Gerhard Rüsch dagegen und führte stattdessen 2006 das Grazer Modell mit vier Instrumenten zur Qualitätssicherung ein – Stadtforum, Bebauungsleitlinien, Wettbewerbswesen und Projekttisch. Nach einer Evaluierung im Jahr 2008 zeigte sich, dass das Grazer Modell nur bedingt für eine nachhaltige Stadtentwicklung und Sicherung von qualitätvoller Baukultur Sinn machte. Bei Projekten konnten generell keine verbindlichen Vorgaben zur architektonischen Qualitätssicherung, insbesondere in der Projektumsetzung, getroffen werden. Daher empfahl die Stadtbaudirektion der Stadt Graz, für Bauprojekte ab einer bestimmten Größenordnung einen externen Fachbeirat einzurichten. Dafür wurde von der Stadtbaudirektion, dem Stadtplanungsamt und den zuständigen städtischen Fachabteilungen sowie der ZT-Kammer, der Landesinnung für Baumeister der Wirtschaftskammer, dem Haus der Architektur, der Altstadtsachverständigenkommission und der Technischen Universität Graz ein Konzept erarbeitet. Vor knapp einem Jahr stimmten schließlich alle Fraktionen im Gemeinderat für die Installierung eines Fachbeirates zur Qualitätssicherung im Baubereich, der am Mittwoch, dem 23. November 2011 von Bürgermeister Siegfried Nagl angelobt und der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Im Jänner 2012 werden die Beiratsmitglieder – die Architekten Rüdiger Lainer (Vorsitzender), Marta Schreieck und Much Untertrifaller – ihre Arbeit aufnehmen und 1,5 Jahre lang im Abstand von zwei Monaten für jeweils zwei Tage zur Prüfung und Beartung von eingereichten Bauvorhaben zusammenkommen. Als Ersatzmitglieder fungieren die Architekten Christoph Pichler und Patricia Zacek-Stadler. Alle Mitglieder waren und sind in Gestaltungsbeiräten im In- und Ausland tätig und können auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der in der ersten Arbeitsphase eine wichtige Ressource für die Schärfung der Geschäftsordnung des Fachbeirates sein wird.
Nach einer Periode von 1,5 Jahren können die Mitglieder noch einmal für diesen Zeitraum verpflichtet werden. Spätestens dann wird der Beirat neu besetzt. Der Besetzungsvorschlag kommt übrigens von Stadtbaudirektion und Stadtplanungsamt. Während ihrer Tätigkeit dürfen die Beiratsmitglieder weder einen Bürositz in der Steiermark haben noch eine Planungstätigkeit im Grazer Stadtgebiet oder sonstige Beauftragungen durch die Stadt Graz aufweisen.
Dem Fachbeirat sind Bauprojekte ab einer Bruttogeschoßfläche von 2.000 m² oder von hohem öffentlichem Interesse vorzulegen, idealerweise in der Gestaltungs- und Planungsphase. Ausgenommen sind Bauvorhaben in der Altstadtschutzzone, für die weiterhin die ASVK ohne Einwirken des Fachbeirates zuständig ist. Bei Architekturwettbewerben in Graz wird in Zukunft jeweils ein Beiratsmitglied in der Wettbewerbsjury sein. Siegerprojekte müssen daher nicht mehr begutachtet werden, sondern werden dem Beirat durch das teilnehmende Mitglied kurz präsentiert. Die Beiratsmitglieder werden Projekte nicht nur nach ihrer architektonischen Qualität beurteilen, sondern ebenso nach städtebaulichen und ökologischen Kriterien. Sie werden darüber hinaus auch im Bereich Stadtentwicklung ein Wort mitzureden haben. Stadtplanungschef Heinz Schöttli beabsichtigt, den Fachbeirat gegebenenfalls bei der Erstellung von Bebauungsplänen beratend einzubinden.
Die Stellungnahmen des Fachbeirates sind verbindlich und werden von der Politik mitgetragen. Fällt eine Stellungnahme negativ aus, muss das betreffende Projekt dem Fachbeirat nach der Überarbeitung wieder vorgelegt werden. Die Termine für die Beiratssitzungen sowie die Stellungnahmen werden öffentlich bekanntgegeben und sind auf der Homepage www.stadtentwicklung.graz.at einzusehen.
Sowohl Stadtbaudirektor Werle als auch alle Beiratsmitglieder betonen die Servicefunktion des Fachbeirates, der bereits in der Planungsphase beratend und steuernd eingreift. Die oftmals geäußerte Befürchtung von Bauwerbern und Architekten, dass es durch die Begutachtungsphase zu Verzögerungen im Bauprozess kommen könne, sei laut Werle unbegründet, da gerade durch die Beratung der externen Experten Fehler und Problemfelder frühzeitig erkannt und ausgeräumt werden könnten und im Idealfall eine Verfahrensbeschleunigung einträte.
Die Verbindlichkeit und Planungssicherheit in der Entwurfsphase, die Förderung des Wettbewerbswesens für größere Projekte, die Verbesserung der Umsetzungsqualität von Wettbewerbsergebnissen in die Praxis und eine Objektivierung der Stellungnahmen, die immer vom selben Gremium kommen, sind für Werle weitere Aspekte, die für einen Fachbeirat sprechen.
Der Beiratsvorsitzenden Rüdiger Lainer bezeichnet den Fachbeirat als „qualitätssicherndes und qualitätsstimulierendes Element", mit dem möglichen Effekt, dass Architektur als wesentlicher Aspekt für Lebensqualität begriffen wird. (mw)
ÜBER DIE BEIRATSMITGLIEDER
_ RÜDIGER LAINER studierte zunächst Physik, Soziologie und Malerei in Wien und Paris, danach von 1971–78 Architektur an der Technischen Universität Wien. Seit 1985 freischaffender Architekt in Wien. 1997 Berufung als Professor und Leiter der Meisterschule für Architektur an die Akademie der bildenden Künste Wien, Lehrtätigkeit bis 2006. Seit 2005 Büropartnerschaft mit Oliver Sterl: Rüdiger Lainer + Partner Architekten. Mitglied des Grundstückbeirats in Wien (1999–2002), Vorstand Europan Österreich seit 1999, Gestaltungsbeirat von Krems (1996–99), Vorsitzender des Gestaltungsbeirats Salzburg (2004–2007), Vorsitzender des Fachbeirats Wien (seit 2006) und Mitglied des Beirats für Architektur und Design des bm:ukk seit 2008, Beirat für Stadtgestaltung in Linz seit 2010.
Mit seinen Arbeiten und Projekten deckt Rüdiger Lainer ein Feld von den kleinsten Einheiten bis zur Städteplanung ab. Die Thematiken reichen von Ausstellungen wie der Steirischen Landesausstellung 1998 „Yougend" über den engagierten Wohnbau bis zu städtebaulichen Konzepten für das Alte Flugfeld Aspern oder das Strukturkonzept für das Umfeld der Wiener Gasometer.
Unter anderem entstanden 1993–94 die Hauptschule Absberggasse in Wien 10, 1993–95 das Penthouse Seilergasse in der Wiener City und 1996–97 der Umbau einer Etage des Palais Equitable, ebenfalls in Wien 1.
_ MARTA SCHREIECK studierte Architektur an der Akademie für Bildende Künste in Wien bei Professor Roland Rainer und Professor Timo Penttilä, seit 1982 gemeinsames Architekturbüro mit Dieter Henke. Kommissarin des österreichischen Beitrages der 9. Architekturbiennale in Venedig 2004. Seit 2005 Mitglied der Akademie der Bildenden Künste Berlin. Seit 2009 Präsidentin der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs. Ab 1995 in unterschiedlichen Zeiträumen Gestaltungsbeiratsmitglied in Feldkirch, Linz, Salzburg und Regensburg.
Henke Schreieck Architekten haben u. a. zahlreiche Projekte im Bildungsbereich umgesetzt: etwa die Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Universität in Innsbruck, die FH Kufstein, die AHS Heustadlgasse in Wien, das EWZ in Hall oder die Bruno-Kreisky-Schule am Leberberg.
_ MUCH UNTERTRIFALLER studierte Architektur an der Technischen Universität in Wien bei Ernst Hiesmayr. Ab 1982 arbeitete er gemeinsam mit seinem Vater, dem Architekten Much Untertrifaller senior zusammen. Much Untertrifaller war bis 2010 im Gestaltungsbeirat der Stadt Salzburg, Vorstandsmitglied der Architekturstiftung Österreich und lehrte als Gastprofessor an der Fachhochschule Konstanz und an der Technischen Universität in Wien.
Dietrich | Untertrifaller gewannen 1992 den Wettbewerb für die Erweiterung des Festspielhauses in Bregenz, das sie in Etappen bis 2006 ausführten. Es ist dies das erste einer Reihe von Großprojekten, die seit 1994 im gemeinsamen Büro Dietrich | Untertrifaller Architekten entstanden sind. Der Wettbewerbsgewinn für die Erweiterung der Wiener Stadthalle ermöglichte 2004 eine weitere Bürogründung in Wien. Nach dem Auftrag zum Bau der neuen Hochschulsportanlage der ETH Zürich wurde 2005 eine Niederlassung in St. Gallen eingerichtet, wo die Projekte gemeinsam mit Christof Stäheli bearbeitet werden.
ÜBER DIE ERSATZMITGLIEDER
_ CHRISTOPH PICHLER studierte von 1982–1983 Architektur an der Technischen Fakultät der Universität Innsbruck und von 1983–1989 an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, Meisterklasse Holzbauer, außerdem von 1990–1992 an der Graduate School of Design, Harvard University (USA). 1992 gründete er mit Johann Traupmann das Büro Pichler & Traupmann Architekten. Von 1992–1996 war er Universitätsassistent an der TU Wien, Institut für Hochbau für Architekten, Prof. H. Richter. Seit 1996 hat er einen Lehrauftrag an der Technischen Universität in Wien, Institut für Hochbau für Architekten. An der TU Graz lehrte er von 2003–2008 am Institut für Architektur und Landschaft bei Prof. D. Marques (ab 2006 bei Prof. K. Loenhart).
_ PATRICIA ZACEK-STADLER studierte Architektur an der Technischen Universität Wien und arbeitete von 1987–89 im Büro Dr. Dahinden (Zürich). Von 1990–1991 absolvierte sie ein Doktoratsstudium an der TU Wien, Dissertation über Wiener Wohnbau der 80er-Jahre. Seit 1991 arbeitet sie als Architekturtheoretikerin und ist neben der eigenen Bautätigkeit Mitarbeiterin bei Architekturkatalogen, -zeitschriften, Büchern sowie Vorträgen. Seit 1995 ist sie freischaffende Architektin und Ziviltechnikerin. Im Jahr 2000 gründete sie ihr eigenes Architekturbüro in Wien.
2009 hatte sie eine Gastprofessur am Institut für Raumgestaltung der TU Graz inne, seit 2010 ist sie Lektorin am Institut für Städtebau der TU Wien, seit 2011 neues Mitglied im Gestaltungsbeirat des Landes Oberösterreich.
- Verfasser/in:
- Redaktion GAT Graz Architektur Täglich