Zunehmend spürbar geworden ist auch der Zusammenhang der Ausbreitung digitaler Plattformen mit der Rekonfiguration räumlicher Umgebungen. Damit gemeint sind nicht nur neue Bautypologien, Nutzungsveränderungen vorhandener Räume oder das obsessive Sammeln von Daten über Umweltaktivitäten, sondern die Transformation der gebauten Umwelt selbst in eine Plattform zur Datengewinnung. (1) Infolgedessen sind neue Formen der Stadtgestaltung entstanden, die (zumindest in Werbeparolen) besser zu den alternativen Sichtweisen und Lebensentwürfen von Millennials zu passen scheinen: Urbane Quartiere rund um Innovationscluster, die dem Streben einer jungen Generation nach Zugang zu globalen Netzwerken Rechnung tragen; Co-Working- und Co-Living-Spaces, die dem Wunsch nach Zusammenarbeit und Kommunikation entsprechen; mittels Crowdfunding finanzierte Bauprojekte, die dem Begehren nach selbstbestimmter Nachbarschaft gerecht werden; umweltbewusste und verspielte Planungen, die Ethos und Leidenschaft digitaler Nomaden befriedigen helfen; und „smarte“ Formen städtischer Infrastruktur, die jederzeit zur Verfügung stehen, bereichernde Erfahrungen bieten und eine bessere Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben signalisieren. Selbst traditionelle Arbeits- und Bildungsstätten werden heute zu kulturellen Zentren, die der Entwicklung (und Steuerung) von Gemeinschaften dienen – „wir wollen alles, immer, überall“, weil „das Talent das Sagen hat“ und „die Kultur das neue Kapital ist“.
Diese neuen Muster der Stadtplanung verhalten sich wie eine Reihe konkurrierender Anlageklassen, werfen „qualitätsvolle“ Daten für Dienstleister ab, bieten unterschiedlichen Investoren etwas an und tragen im globalen Städtewettbewerb zur Entstehung äußerst volatiler und komplexer „Finanzlandschaften“ bei. (2) Außen vor bleibt der Großteil der Bevölkerung, der sich zu Recht von diesen Entwicklungen ausgeschlossen fühlt. Urbanes Leben wird zum Take-away – zum Spielball im Wettlauf der weltweit mächtigsten Plattformen um die Marktführerschaft.
Das liegt auch daran, dass die im Einsatz befindlichen Technologien zur Datenerfassung für die meisten Menschen unzugänglich sind, was die einseitige Anhäufung des Gewinns, den sie ermöglichen, leicht macht. Hinzu kommt, dass diese Ungleichheiten zunehmend durch strukturelle Eingriffe in die gebaute Umwelt geplant, realisiert und reguliert werden. Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem Städtebau, Orts- und Regionalplanung zu Mitteln der Konsolidierung von Vermögenskonzentration und nicht zu einem Apparat der Vermögensverteilung geworden sind. Denken wir diese Dynamik weiter, wird es in der nahen Zukunft darum gehen, wie weit Städte, Gemeinden und Regionen bereit sein werden, die Mobilisierung von Umweltdaten für die Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zu ermöglichen und die wesentlichen Koordinaten der gebauten Umwelt von Big Tech festlegen zu lassen.
Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, gilt es sicherzustellen, dass nicht nur gesellschaftliche Eliten, sondern alle Personen in Informations- und Entscheidungsprozesse rund um Bau*kultur eingebunden sind und in diesen Angelegenheiten über die entsprechende Wirkmacht verfügen.
Dabei müssen zwei Dinge berücksichtigt werden: Erstens sind unsere gebauten Lebensräume zunehmend datengesteuerte Umgebungen, in denen Überlegungen nötig sind, wie die von digitalen Technologien und Big Data vorangetriebenen Veränderungen zugunsten einer breiteren Palette von Möglichkeiten für Engagement im städtischen und ländlichen Raum genutzt werden können. Und zweitens geht es bei der Forderung nach sinnstiftender zivilgesellschaftlicher Teilhabe im Sinne von Henri Lefebvres Right to the City nicht nur um den Genuss eines Rechts auf die baulich vorhandene Stadt. Es geht vielmehr darum, nicht von der Stadtform (als gestalterische Idee, als öffentliche Diskussion, als Pendant gesellschaftlicher Vorstellungen) ausgeschlossen zu werden oder mit anderen Worten darum, die der Produktion städtischen Raums zugrunde liegenden Modalitäten mitbestimmen zu können. (3)
Dazu braucht es Initiativen, Foren und Angebote, die in die fortschreitende Engführung von Diskussionen zur Gestaltung unserer Lebensräume eingreifen, einer breiten Vielfalt von Interessen verpflichtet sind und sich als Bühne von und für Öffentlichkeiten verstehen. Gerade im Bereich der Bau*kultur leistet die bestehende Tradition von Blogs, Podcasts und anderen Online-Medien bereits viel, um der einengenden Konversationsökonomie von Plattformdiensten eine offene Kultur der Konversation entgegenzusetzen. Denn der Schlüssel zu den vielen Herausforderungen des Plattform-Kapitalismus, die in Architektur, Planung und Design immer mehr zutage treten, ist die Frage des Zugangs.
Zugang zur materiellen, sozialen und symbolischen Dimension der gebauten Umwelt zu organisieren, ist ein wesentlicher Aspekt in der Konfiguration sozialer und politischer Ordnung – ein Mechanismus, mit dem Formen der politischen Teilhabe und Machtausübung laufend ausverhandelt werden. Plattformkonzerne wie Alphabet, Meta, Uber oder AirBnB greifen immer mehr in diese Ordnung ein, indem sie den Zugang zur Idee und Form des Zusammenlebens von einer öffentlichen zur privaten Angelegenheit machen. Sie restrukturieren und kontrollieren nicht nur den Zugang zu Konsumgütern und Dienstleistungen, sondern zunehmend auch den Zugang zu einem breiten Spektrum grundlegender Bereiche wie Bildung, Wohnen, Gesundheitsfürsorge und Information. Folglich werden sich schon bald heftige politische Auseinandersetzungen in Städten und Regionen unweigerlich um Fragen der digitalen Zugangskontrolle drehen.
Im Licht dieser Entwicklung schlagen wir vor, Zugang im Bereich der Bau*kultur als kritisches Potenzial zu betrachten, um die Bedingungen für die Produktion unserer Lebensumwelt gemeinsam festzulegen. Wenn wir Zugang als Möglichkeit verstehen, eigene Fragen zu formulieren, anstatt nur Fragen zu beantworten, die uns im Namen eines Beteiligungsprozesses gestellt werden, ergibt sich eine andere Ausgangslage für die gerechte Nutzung von Ressourcen. Plattform-Urbanismus ist das am wenigsten geeignete Instrument, um gleiche Bedingungen für alle zu schaffen.
In Plattformökonomien ist es ganz klar, dass diejenigen, die die Fragen formulieren, das Spielfeld beherrschen, während alle anderen mitspielen sollen. Im Einklang mit Neil Brenners beharrlicher Feststellung, dass die Weltwirtschaft eine Gestaltungsaufgabe ist, kann die daraus resultierende Forderung nur darin bestehen, anstelle der gestalterischen Monokultur von Plattform-Urbanismus der Öffentlichkeit verpflichteten Organen Gelegenheit zu geben, Zugang zu gestalten – sei es im Fall von Online-Portalen, die zentrale Elemente unseres städtischen Lebens regeln oder im Fall von digitaler Kommunikation, die Bahnen legen kann für eine neue Qualität bau*kultureller Entwicklung.
In diesem Sinne ist es höchste Zeit, mit digitalen Medien im Bereich der Bau*kultur Wege zu beschreiten, die den Zugang zur Stadt und der gesamten gebauten Umwelt allen in verbessertem, aber stets gleichberechtigtem Maße ermöglichen.
__________Qellen
_1 Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer (Hg. 2021) Platform Urbanism and Its Discontents. Rotterdam: nai010 publishers.
_2 Arjun Appadurai (1996) Modernity at Large: Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press.
_3 Henri Lefebvre (2003) The Urban Revolution. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press.