08/09/2009
08/09/2009

Ao.Univ.-Prof., Dipl.-Ing. Dr.techn. Annegrete HOHMANN-VOGRIN (1946-2009) studierte von 1965 bis 1973 an TU Graz Architektur. 1970 Forschungsauftrag des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Östereich (FWF) "Architekurstudien in Copán" mit einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in USA, Mittel- und Südamerika. 1973 bis 1977 Mitarbeit im Architekturbüro "Werkgruppe Graz". 1977 erneuter Forschungsauftrag des FWF (zusammen mit Hasso Hohmann) "Architekturstudien in Copán, 2. Teil", verbunden mit einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Honduras, Guatemala, Mexiko und USA. Anschließend Fertigstellung der Dissertation "Das räumliche Konzept in der Architektur von Copán, Honduras". Ende 1978 Promotion zum Dr.techn.. Seit 1978 Ortsbild-Sachverständigentätigkeit, seit 1979 Universitätsassistentin am Institut für Städtebau, Umweltgestaltung und Denkmalpflege der TU Graz. 1983 Befähigungsprüfung für den Ziviltechniker. 1985 und 1987 weitere Forschungsaufträge in Mittelamerika. 1993 Habilitation und Lehrbefugnis für das Fach Städtebau. Seither Professorin am Institut für Städtebau an der Technischen Universität Graz.

Der Tod von Annegrete Hohmann-Vogrin schafft eine schmerzliche Leere in den Räumen der Alten Technik und an der Tür, wo sonst die gewohnte Stimme vernommen wurde. Der deutsche Theologe Christoph Demke schreibt von „einer Schlucht des Schweigens, die der Tod dort schafft, wo sonst eine Antwort war und nun kein Echo mehr ist“.

Annegrete verlässt uns nach einer verdienstvollen und langjährigen Tätigkeit als Hochschullehrerin und Forscherin, der sie sich schicksalhaft verpflichtet fühlte. Neben der breiten Anerkennung als Wissenschaftlerin, würdigen wir sie als beliebte Kollegin, die mit Engagement, mit Verantwortungsgefühl und mit sozialem Können die TU Graz mitgeprägt und zu ihrem internationalen Ansehen beigetragen hat.

Vermisst wird sie von ihren Studentinnen und Studenten, denen sie Fachwissen mit einer ausgewogenen Mischung von Geschichten und Lebenserfahrungen zu vermitteln vermochte. In ihren Lehrveranstaltungen „Geschichte der Stadt“, „Theorie der Stadt“, „Städtebauliche Forschung“, Gestalten und Entwerfen“ (nur jene zu erwähnen, mit denen sie identifiziert wurde), herrschte das Gefühl der kollegialen Ebenbürtigkeit und eine von Hierarchien losgelöste Gesprächsatmosphäre. Den erwartungsgemäß nicht seltenen Naivitäten entgegnete sie mit liebenswürdigem Humor, der immer menschlich wohlgemeint und didaktisch nachvollziehbar ausfiel. Damit zeigte sie eine magnetische Präsenz im Auditorium. Die Türschwelle ihres Raums wurde unaufhörlich von Studenten und Kollegen, die die Atmosphäre geistiger Offenheit schätzten, übertreten.

Diese Offenheit scheint mit ihrer Kindheit, verbracht an Gegenpolen des deutschsprachigen Raums – im Kärntner Weiern und dem Schleswig-Holsteinschen Wilster - vorprogrammiert zu sein. Annegrete vereinbarte unter einem Hut das präzise Hochdeutsch, die Geschichten in Kärntner Mundart und die Gedichte in Plattdeutsch. Diese Mehrfachkodierung scheint ihr eine innere Ruhe und Sicherheit verliehen zu haben. Sie spornt aber auch zu Grenzüberschreitungen an. So wundert es nicht, dass Annegrete den Schritt in die Weiten des menschlichen Kulturnachlasses unternimmt. Ein Entschluss, der ihre intime Wahl und ihr professionelles Leben im Weiteren bestimmen wird.

Die Erforschung der alten Baukulturen Mesoamerikas findet Niederschlag in ihren Hochschulschriften. Sie verfasst 1978 ihre Dissertationsarbeit über „Das räumliche Konzept in der Architektur von Copan“. Im Jahre 1992 kommt folgerichtig die
Habilitationsschrift über die „Struktur und Bedeutung der Stadt. Ein architekturtheoretischer Versuch am Beispiel der voreuropäischen Kulturen Mesoamerikas“. Damit gelingt ihr der Durchbruch als erste habilitierte Frau an der Fakultät für Architektur. Die Erkenntnisse ihrer Forschungen werden in 50 Beiträgen in Fachzeitschriften, in Büchern und Konferenzen publik gemacht.

Die Vorliebe zum außereuropäischen Architekturerbe kommt auch in der Tätigkeit als Herausgeber zum Ausdruck. Die Publikation über die Architektur von Copan, verfasst mit Hasso Hohmann, ist eine richtungweisende Arbeit, die breite internationale Anerkennung findet und sie nachhaltig im internationalen Amerikanisten-Kreis verankert.

Die Funktionen, die Annegrete in internationalen wissenschaftlichen Gremien innehat, sind Anerkennungen für die Erfolge in dem von ihr gewählten Forschungsgebiet. Sie ist aktives Mitglied der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Maya-Forschung, Mitglied der Archäologischen Gesellschaft Steiermark und der Editorial Boards internationaler Fachzeitschriften, darunter seit zwei Jahren das „African Journal of Design and Construction“ in Nairobi.

Heute blicken wir auf eine lange Liste von Diplomarbeiten und Dissertationen, die von Annegrete betreut wurden, zurück. Auffallend dabei, die überproportionale Anzahl ausländischer Doktoratsstudenten, vornehmlich aus der Dritten Welt.

Ihre aktive internationale Tätigkeit wird von mehr als 30 Lehraufenthalten an ausländischen Universitäten belegt. Darüber hinaus zeichnet sie verantwortlich für Universitätskooperationen – so das Mobilitätsprogramm mit der Universität von Merida (Mexiko), das vielen Studierenden zugute kommt. Wenn man die Internationalität in der Lehre anspricht, dann gehört den von Annegrete organisierten Studienreisen besondere Achtung geschenkt, darunter Ägypten, Mexiko, Guatemala und Honduras. Um diese Kulturen mit Studenten und Kollegen vor Ort zu erforschen, braucht es nicht nur Ideenreichtum, Fachkenntnisse und Organisationstalent, sondern auch Mut.

Annegrete hat die Verantwortung, die eine Universitätsprofessorin gegenüber der Öffentlichkeit zu tragen hat, wahrgenommen. Ihr Engagement erschöpfte sich nicht mit der Mitgliedschaft in der Zentralvereinigung der Architekten und dem Forum Stadtpark. Es war ihr ein Anliegen, inhaltliche Brücken zwischen der Grazer Architekturszene und der Hochschullehre zu schlagen, das reichhaltige Grazer Architekturgeschehen zum Objekt wissenschaftlicher Auseinandersetzungen zu machen. In einer thematischen Abfolge von Lehrveranstaltungen haben in den letzten Jahren markante Grazer Persönlichkeiten den Zugang zu einem interessierten universitären Publikum finden können.

Annegrete leitete de facto das Institut für Städtebau, dem sie zeitweise auch Vorstand war. Ihr Beitrag für die Aufrechterhaltung eines gut funktionierenden Institutsbetriebs findet Anerkennung auf Fakultäts- und Universitätsebene. Sie hat auch entscheidend für das erfolgreiche Heranziehen von Forschungsvorhaben (Drittmittelprojekten) und Projektmitarbeitern am Institut beigetragen. In ihren Bemühungen um eine positive Zukunft der Fakultät für Architektur hat Annegrete im Auftrag der Kollegen oder des Arbeitskreises für Gleichbehandlung in Berufungskommissionen oder durch Gutachtertätigkeit aktiv mitgewirkt. Bei Diskussionsfragen war sie eine ernstzunehmende und charmante, jedoch nicht „bequeme“ Kontrahentin. Besonders dann, wenn es um die Verteidigung objektiver Interessen und Prinzipien ging. Wir haben sie stets vorwärts gehend erlebt. Niemals sahen wir sie bei Erreichen eines Ziels stehen. Ihr besonders gilt das Zitat von Aurelius Augustinus: „Solange wir leben, kämpfen wir, solange wir kämpfen, ist es ein Zeichen, dass wir nicht unterlegen sind und der gute Geist in uns wohnt. Und wenn dich der Tod nicht als Sieger antrifft, soll er dich als Kämpfer finden“.

Annegrete hat mit Kampfesgeist, mit Optimismus, aber auch mit gewisser Heiterkeit – und das macht ihre Würde aus – auch die Krankheit ertragen. Sie hinterlässt einen Namen und eine nachhaltige Erinnerung. "Das schönste Denkmal", so schreibt Albert Schweitzer, "das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen der Mitmenschen". "

Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn., GRIGOR DOYTCHINOV lehrt am Institut für Städtebau der Architekturfakultät, an der TU Graz.

Verfasser/in:
Grigor Doytchinov, TU Graz
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+