02/06/2025

Wien – Rom: ein soziologischer und urbanistischer Vergleich zweier Hauptstädte. Österreich interpretiert das allgemeine Thema – Intelligens – der Biennale 2025, indem es in seinem Pavillon eine „Agency“ für ein besseres Leben „eröffnet“, um Ideen auszutauschen und soziale Experimente zu verhandeln. Eine im Wesentlichen originelle Art, einen gemeinsamen und grundlegenden Aspekt des Lebens zu untersuchen: das Wohnen im Schatten und am Rande der Gesellschaft oder weit darüber hinaus. Kurator:innen der Ausstellung sind drei Architekt:innen und Lehrende, einer von ihnen ist der Italiener Lorenzo Romito, Erforscher der antiken und zeitgenössischen Realität Roms.

02/06/2025

Agency For Better Living, Österreich-Pavillon, Biennale Architettura 2025, Installationsansicht – Rom

©: Hertha Hurnaus

Agency For Better Living, Österreich-Pavillon, Biennale Architettura 2025, Installationsansicht – Rom

©: Clelia Cadamuro

Protest und Besetzung der Kuppel der S. Signora di Loreto Kirche, Rom, 2010

©: Stefano Montesi

Gemeinschaftsraum, Santa Croce / Spin Time Labs, Rom

©: Zara Pfeifer

Blick durch eine Öffnung im Eingangsbereich in den Ausstellungsbereich - Rom im Österreich Pavillon, Im Visier: der Kurator Lorenzo Romito im Gespräch mit einer Besucherin

©: Christine Müller

Beim Vergleich von Wien und Rom griffen die Kurator:innen auf zwei gegensätzliche Konzepte zurück: „top-down“ und „bottom-up“ also „von oben nach unten“ und „von unten nach oben“. Das erste Paradigma bezieht sich auf die dirigistische Politik der österreichischen Hauptstadt, das zweite auf die Realität der italienischen Hauptstadt mit ihren „anarchischen“ Anomalien. Dabei konvergieren beide Wege in einem sozialen Unbehagen, das die beiden Städte, wenn auch auf entgegengesetzte Weise, verbindet.

Wenn Wien bislang seit zumindest einem Jahrhundert eine sozial ausgerichtete Organisation genossen hat, die Katastrophenszenarien vorbeugen konnte, so steckt dieses „demokratische“ Erbe heute – vielleicht auch aufgrund seiner strukturellen Starrheit – in der Krise, weil es nicht darauf vorbereitet ist, die enorme und wachsende Migration unserer Tage aufzufangen. In Rom hingegen fehlte es historisch an einer Top-down-Politik, die die Aufnahme von Migranten berücksichtigt hätte. Ein Faktor, der zu starken städtischen und sozialen Ungleichgewichten geführt hat. In einigen Vororten der italienischen Hauptstadt geht es mittlerweile seit Jahren um die Integration und das Zusammenleben heterogener Migrantengemeinschaften, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind.

Bei näherer Betrachtung bietet die Situation in Rom jedoch aufgrund eines politischen Defizits Beispiele für eine selbstgesteuerte ethische Erholung: eine Fähigkeit zur Selbstorganisation von unten, in der bewundernswerte unternehmerische Faktoren zutage treten, die in der Lage sind, die soziale Realität und die Umwelt positiv zu verändern. Natürlich spielen Architektur und Wohnen hierbei eine herausragende Rolle.

Der Innenhof des österreichischen Pavillons ist Ort temporärer Veranstaltungen und Begegnungen. Aber bereits beim Eintritt in den Pavillon bietet der Ausstellungsparcours eine metaphorische Möglichkeit des Austauschs. Die beiden Bereiche – Wien/Rom – sind nicht in einem in sich geschlossenen Schema gefangen. Sie behalten sich diskret im Auge! Durch einen möglichen gegenseitigen Blickkontakt, unauffällig zum ironischen „Spy Game“ arrangiert. Zwei gegenüberliegende Öffnungen (Ø ca. 10cm) in der Seitenwand des Durchgangs suggerieren, wie mit dem Blick durch ein Fernrohr, die gegenseitige Überwachung des „gegnerischen“ Lagers und suchen das Gefühl einer Kontamination zweier scheinbar ferner soziologischer Realitäten zu beschreiben.

Franco Veremondi und Christine Müller trafen den italienischen Kurator des Ausstellungsbereichs ROM zum Gespräch und tauchten dabei tief in die Geschichte ein, aus der ein suggestiver und vergessener mythischer Ursprung Roms hervorgegangen ist.

Architekt Romito, würden Sie uns in die komplexe Erzählung der Ausstellung einführen, die vom Kurator:innenteam vorgeschlagen wurde, das sie mit Ihren Kolleg:innen Sabine Pollak und Michael Obrist bilden?

Vorweg möchte ich kurz das Team der Agency for Better Living vorstellen: Sabine ist meine Kollegin an der Kunstuniversität in Linz; Michael, den ich seit vielen Jahren kenne, ist Professor an der Technischen Universität Wien. Ich bin Professor an der Kunstuniversität Linz. Aus Rom kommend, habe ich mich eingehend mit dem Studium der Institutionen der italienischen Hauptstadt im sozio-historischen Sinn beschäftigt, aber auch als Aktivist mit dem Faktor Wohnen und dessen Umweltproblemen auseinandergesetzt. Man könnte sagen, dass wir drei gemeinsam eine Geographie der Beziehungen zwischen Österreich und Italien zeichnen. Aus unserer Zusammensetzung und unseren komplementären und konvergierenden Interessen entsprang letztlich die Idee, uns mit den systemischen Veränderungen, die auf der Wohnungskrise lasten, auseinanderzusetzen.

Zwei geografisch nicht weit entfernte Hauptstädte, aber zwei soziale, auf gewisse Weise divergierende Realitäten?

Dies ist in der Tat der Fall. Bei bestimmten Phänomenen weisen beide Städte unterschiedliche Ansätze und Methoden auf und stellen zwei exemplarische Fälle dar. In Wien erhielt die Frage des Wohnens dank der historischen öffentlichen Planung zentrale Bedeutung. Rom hingegen, das seine sprichwörtliche „Ewigkeit“ durch eine lange Tradition sozialer Selbstorganisation von unten durchlebt, kennzeichnet eine Art „Struggle for Living“, mit anderen Worten, ein unermüdlicher „Kampf ums Überleben“.

Genauer gesagt?

In Rom wurden und werden noch immer durch das Vorherrschen weitverbreiteter einschneidender Aktivitäten der Stadtplanung oder Immobilienspekulation vorrangig Personengruppen schutzlosester Schichten aus den historischen Siedlungskernen vertrieben. Bezeichnend waren die Abrisse und Entkernungen alter Stadtviertel, die vor allem in der Zeit des Faschismus zu einer unerbittlichen Politik der Evakuierung führten. Damals wurden die großflächigen Abrisse mit der Bergung archäologischer Ruinen begründet. In jüngerer Zeit haben der Prozess der „Gentrifizierung“ und in noch jüngerer Zeit die Umwandlung in touristische Einrichtungen im Stadtzentrum zugenommen.

Und wie kam es zu der Idee, eine Agentur für Besseres Leben auf der Biennale zu präsentieren? Ein vielversprechendes Label und vor allem auch ein Beziehungsraum für eine Arbeit der Wiederherstellung sozusagen.

Unsere Zivilisation ist in der Tat auf Arbeit begründet. Daher glauben wir, dass Arbeit in erster Linie mit dem Wohnen zu tun hat, das bedeutet, dass wir uns für den Wiederaufbau von Beziehungen zwischen Orten, Menschen und Gemeinschaften einsetzen. Wenn wir die Zeit der großen Stars der Architektur und ihre „Schöpfer“-Rolle hernehmen, sehen wir, dass diese viele Städte in den Ruin geführt hat. Es geht darum, zu verstehen, dass wir heute dem Wohnen eine neue zentrale Bedeutung geben müssen! Das Zusammenleben ist schlichtweg die Zukunft und impliziert ein komplexes Engagement in der Verantwortung für das gemeinsame Wohlergehen, eine Verantwortung als Vorbote großer Neuerungen, angesichts einer Krise, die nicht nur das Wohnen betrifft. Genauer gesagt ist es eine verantwortungsvolle Arbeit für eine gewissenhafte bessere soziale Integration städtischer Bereiche sowie in der Verwaltung von Ressourcen wie Wasser und Energie. Es ist somit auch eine Verpflichtung in Prozessen der Wiederverwertung und des Recyclings.

Spielen Sie damit nicht zuletzt auf den wachsenden Bedarf neuen Wohnraums aufgrund stark zunehmender Zuwanderung an?

Ganz genau! Wir müssen uns notwendigerweise mit den großen globalen Fragen befassen, d. h. mit dem Klimawandel und der Migration. Benachteiligende Phänomene? In Bezug auf die Einwanderung sehe ich diese eher als eine sich uns spontan bietende Gelegenheit zur Überwindung struktureller Grenzen unserer Gesellschaften. Wenn wir etwa die Organisation des Identitätsmodells der Nationalität überprüfen, das wir historisch geschaffen haben, stellen wir fest, dass den Städten die kreative Rolle entzogen wurde, Formen des Zusammenlebens neu zu erfinden.

Gibt es in Rom konkrete Beispiele für diese Sichtweise?

Zu den Realitäten, auf die die Ausstellung beispielhaft hinweisen will, gehört etwa die Besetzung eines römischen Bauwerks namens Spin Time Labs, ein sozialer und kultureller Raum, der in einem Gebäude in öffentlichem Besitz entstanden ist; ein gelungenes Experiment sozusagen, in dem Menschen aus 27 verschiedenen Ländern zusammenleben. Darüber hinaus sind auch weitere ähnliche Areale interessant, wie Metropolis und Porto Fluviale. Es handelt sich dabei um Realitäten der Wiederaneignung und Neuerfindung öffentlicher, nicht für das Wohnen bestimmter, großteils leerstehender Räume, die dank „berüchtigter“ Besetzungen zu neuem Leben gefunden haben.

Alternative Entwicklungen zu den aktuellen soziologischen Modellen also, die zeigen, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte …

Gewiss. Dieses Wiederauferstehen des „Wohnungskampfes“ durch diverse Bewegungen ist gerade den Migranten zu verdanken. Sie machen mehr als die Hälfte jener Menschen aus, die diese Orte bewohnen, und werfen völlig neue Fragen auf. Wenn wir zu den Ursprüngen der mythologischen Gründung Roms zurückkehren, entdecken wir das Konzept des „Asyls“ wieder, das im Kapitol verwurzelt ist, einem einst heiligen Wald, einem Naturraum, in dem Romulus der Legende nach den Fremden Unterschlupf und Schutz gewähren wollte, um sie zu einer wachsenden Gemeinschaft von Bürgern zu machen. Es ist vielleicht die erste Gemeinschaft, und auf jeden Fall die bekannteste, die nicht auf ethnischer Grundlage gebildet wurde.

Lesen Sie auch den 1. Teil der Gespräche mit dem Kurator:innenteam des Österreich Pavillons Agency for Better Living >>>

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