Bei der 97. Oscarverleihung am 2. März hatte der Film „The Brutalist“ gute Karten: Das monumentale Epos um den fiktiven Architekten László Tóth von Regisseur Brady Corbet zählte mit zehn Nominierungen zu den Favoriten. Geworden sind es drei Oscars: für den besten Hauptdarsteller, die beste Camera und die beste Filmmusik. Bei den internationalen Filmfestspielen in Venedig war es bereits mit einem Silbernen Löwen für die Beste Regie ausgezeichnet worden, bei den Golden Globe Awards 2025 heimste es drei Preise für das beste Filmdrama, die beste Regie und den besten Hauptdarsteller ein. Adrien Brody ist der jüdische, in Ungarn geborene Architekt Làszlo Tóth, dem das Drehbuch ein von Talent, Genie, Leidenschaft, Träumen, existenziellen Schicksalsschlägen und Süchten gebeuteltes Liebes- und Berufsleben auf den Leib schreibt. Der am Dessauer Bauhaus ausgebildete Architekt und Holocaust-Überlebende emigriert nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Der Plot von „The Brutalist“, seine epische Laufzeit von 215 Minuten, viele hymnische Kritiken und die Tatsache, dass dieser Film von Kameramann Lol Crawley fast vollständig analog im Vista Vision Format gedreht wurde, lockt Architekturinteressierte vor die Kinoleinwände wie die Motten zum Licht. Vista Vision ist eine Technologie, die in den 1950er Jahren von den Paramount Studios eigens für den Einsatz auf der breiten Leinwand entwickelt worden war und beispielsweise bei „Die zehn Gebote“ oder „Krieg und Frieden“ zum Einsatz kam. Sie sorgt für eine Brillianz und Bildschärfe, die ihresgleichen sucht. Womit wir bei der herausragendsten Qualität des Filmes wären: Er ist von den Schauplätzen über den Dreh, Schnitt, die Kameraführung bis hin zur Farbstimmung ein optisches Ereignis. Jeder Kader ein Tableau, perfekt ausgeleuchtet und ausgestattet. Hier stimmt alles, von der typengerechten Besetzung über die Kostüme bis hin zum letzten Requisit. Hollywood at it’s best. Die Stärke dieses Films ist seine perfekte Oberfläche, leider trifft das auch auf Charakterzeichnung und Drehbuch zu. Klischee folgt auf Klischee.
Architektur à la Hollywood
Schon der Titel ist ein Missverständnis: die (natürlich!) monumentale Architektur, die László Tòth für seinen größenwahnsinnigen Mentor und Bauherrn entwirft, ist zwar aus Beton, hat aber mit Brutalismus nichts zu tun. Und das liegt bei weitem nicht nur daran, dass diese Strömung eigentlich erst nach der Handlungszeit dieses Films wirklich an Fahrt aufnahm. Das präsumtive Kulturzentrum ist nämlich genau genommen der Versuch, mit einer architektonischen Manifestation ein Trauma zu verarbeiten. Es liegt in der Natur der Sache, dass das nicht funktionieren kann.
Wie es sich für Hollywood gehört, ist hier alles larger than life, plakativ und bildgewaltig in Szene gesetzt. Tóth taumelt schwer gezeichnet, entkräftet, mit dunklen Ringen unter den Augen in Ellis Island aus dem dunklen, überfüllten Schiffsrumpf. Verheißungsvoll leuchtet die Freiheitsstatue im gleißenden Sonnenlicht. New York ist hier so schön, wie es wohl in Wirklichkeit niemals war, Pennsylvania detto. Dort kommt Tóth bei seinem Cousin Attila unter, das Aufeinandertreffen der beiden Männer ist tränenreich. Attila hat sich schon bestens assimiliert, eine katholische Ehefrau und betreibt ein Möbelgeschäft. Seine altdeutschen Sessel, Kästen und Tische verkaufen sich blendend, die Mitarbeit von Tóth bringt die ersten Freischwinger ins Schaufenster und dann schneit ein Kunde ins Haus, der die Handlung so richtig in Fahrt bringt.
Der Sohn des millionenschweren regionalen Tycoons Harrison Lee van Buren (Guy Pearce) beauftragt das Unternehmen mit dem Umbau von dessen Bibliothek. Tóth treibt das Anbot selbstbewusst in die Höhe und blüht auf. Sein Entwurf macht aus einem finsteren, von staubigen Büchern überfüllten Raum eine helle, mit raumhohen, drehbaren Lamellen verkleidete, runde Bibliothek mit Oberlicht. Die Holzlamellen verdecken die Regale dahinter, die intendierte Nähe zum Bauhaus ist vor allem am Stahlrohrmöbel in der Mitte zu erkennen. Es erinnert an eine Kreuzung aus Marcel Breuer und Le Corbusier. Das garantiert die richtige Zuordnung und lässt sich – Oberlicht sei Dank – gut in Szene setzen.
Geniekult
Bemerkenswert ist, welche Ästhetik und Persönlichkeit ein Blockbuster des Jahres 2024 mit Bauhaus, Brutalismus und Architektur verbindet. Eine fiktive Biografie darf große Charaktere entwerfen. Dieser bauhausgeschulte Architekt ist ein an beiden Enden brennendes Genie, an dessen Idealen er selbst und alle seine Beziehungen zerbrechen. Gut, das Klischee des leidenden Künstlers ist weder neu noch selten. Hier aber wird es noch mit Themen überlagert, die jedes für sich eine Handlung tragen könnten. Zum Genie gesellen sich das Trauma des Holocaust, eine Drogen-, Alkohol- und Nikotinsucht, eine absolut toxische co-abhängige Beziehung sowie im Subtext der verächtliche Umgang der amerikanischen Elite mit jüdischen Emigranten aus Europa. Sehr viel für einen Film, auch wenn er 215 Minuten lang dauert. Ganz abgesehen davon, dass fast jede Nebenfigur noch ein weiteres großes Thema aufwirft. Da wären Tóths wunderschöne Frau Erzsébet (Felicity Jones), die den Holocaust nur um den Preis einer Erkrankung an Osteoporose im Rollstuhl überlebte, die Behinderung der Nichte oder Tóths gutmütiger, treuer Freund Gordon (Isaac de Bancolé) an dem sich zeigt, welchen Platz das Amerika der Nachkriegszeit seinen schwarzen Bürgern und Bürgerinnen zuwies. Außerdem begegnet man hier einigem an sexueller Gewalt, das wir an dieser Stelle nicht weiter ausführen wollen.
Zurück zur Architektur. Etwas verspätet, aber doch, entdeckt Harrison Lee van Buren einige Fachmagazine, in denen klassisch moderne Bauten von Lászlo Tòth aus der Zeit vor dem Holocaust abgebildet sind. Bauhaus-Ikonen, da kann nicht viel schiefgehen. Lee van Buren macht sich fieberhaft auf die Suche und stöbert Tòth als ausgezehrtes Wrack in einem Männerheim auf. Der Zuseher weiß längst, der Architekt nimmt Drogen. Sein Mäzen entreißt ihn dem Elend und betraut ihn mit einem großen Projekt. Zu Ehren von Harrison Lee van Burens Mutter soll Tóth ein Kulturzentrum mit Bibliothek, Sporthalle, Auditorium und Kapelle planen. Er entwirft fieberhaft, zeichnet wie im Rausch, raucht wie ein Schlot, nimmt weiter Drogen und präsentiert Modelle, die mit der eindringlichen Darstellung eines Lichteinfalls die Bauherrschaft beeindrucken. Es ist eine Ironie unserer Zeit, dass ausgerechnet einige der Skizzen, die so handgezeichnet wirken, mit KI generiert wurden.
Gespoilert wird nicht, so viel sei verraten: Das Kulturzentrum steht unter keinem guten Stern, es ist mehrfach emotional belastet. Ebenso wie die Beziehung zwischen Bauherr und Architekt, die von sich zunehmend steigernder Co-Abhängigkeit geprägt ist. Dass der Bau mit seinen absurd hohen Raumproportionen dem Konzentrationslager nachgebildet ist, erfährt man gegen Ende. Lászlo Tóth ist eine vom Holocaust gebrochene Persönlichkeit, die all ihre Größe, ihren Stolz und ihre Stärke aus der Architektur bezieht. Diese fordert die totale Hin- und Selbstaufgabe, steigert sich ins Zwanghafte, verstört die Ehefrau, die Arbeiter am Bau, die bauleitenden Kollegen – alle. Die Person, ihr Werk und sogar der Bauherr zerbrechen daran. Letztlich auch „The Brutalist“.