„Hold on mommy’s almost done setting up her last render“, so die kurze Textzeile in einem Meme des anonymen Instagram Profils Dank Lloyd Wright. Während die junge Frau im Bild – möglicherweise als überarbeitete und unterbezahlte Freelancerin – unter Zeitdruck die letzten Klicks von zuhause aus verrichtet, entgeht ihrer Aufmerksamkeit ihr bereits von Flammen umhülltes Baby am Fußbodenteppich gleich nebenan. Die verheerenden Folgen der hier angeprangerten Arbeitskonditionen der globalen Architekturbranche werden in gewohnt überspitzter Weise in trashigen, schnell konsumierbaren Text-Bild-Kombinationen mit einer seit 2020 zunehmend wachsenden Online-Gefolgschaft geteilt. Über eine direkte, oft platt-pointierte Weise wird darin zwischen schlechten Witzen, popkulturellen Referenzspielereien und Klischees sowie einfach unbedeutendem Rauschen eine zeitgenössische Architekturkritik formuliert. Diese greift die innerarchitektonischen Machtstrukturen und die mehr als problematischen Arbeits- und Studienverhältnisse auf und ridikülisiert nebenbei nahezu die gesamte Architekturproduktion der letzten Jahrzehnte. Dazu werden die historischen Formen und Medien einer solchen Kritik bewusst und ohne zu zögern hinter sich gelassen. Das Meme ist das gewählte Vehikel für die provokativen Botschaften.
Mehr als 13.000 davon wurden bislang über das Profil geteilt und eine Best-of-Auswahl zeigte das anonyme Kollektiv im Sommer 2023 in seiner allerersten Ausstellung Gag Economy im MAGAZIN in Wien. Die Memes zierten diverse physische Objekte, welche sonst als gängige Werbeträger und kommerzielle Fanartikel bekannt sind. In einer Modeschau bei der Eröffnung wurden eine Mode-Kollektion sowie Buttons, Schlüsselanhänger, Kondome, Gag-Balls, Postkarten, eine Tasche und eine Zeitschrift präsentiert (Bild 2). Diese kombinierten reine „Dank Lloyd Wright“-Selbstpromotion und Insider-Witze mit harten Forderungen: „Eat the rich; nationalize Autocad; free public transport; abolish NCARB RIBA AIA NAAB; recommon the land; decomodify housing; free universal education; enjoy breakfast; end gatekeeping; sleep 8 to 10 hours.”
Gag Economy reiht sich damit ein in eine Serie von bisher siebenundzwanzig Einzelausstellungen im MAGAZIN, einem unabhängigen und nicht-kommerziellen Ausstellungsraum für zeitgenössische Architektur in Wien. Seit März 2018 zeigen wir vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr von lokalen und internationalen Architekt*innen. Keine Gruppenausstellungen, keine Retrospektiven, nur Einzelausstellungen – das gibt den eingeladenen Positionen die Möglichkeit, neue Arbeiten zu realisieren, ohne dabei auf eine von außen gesetzte kuratorische Idee Bezug nehmen zu müssen. Damit bietet das MAGAZIN einen Möglichkeitsraum, in dem sich formierende architektonische Positionen nicht nur gezeigt, sondern auch weiterentwickelt werden können. Diskussionen, Vorträge und Publikationen begleiten die jeweilige Ausstellung. Präsentierte Themen werden durch diese zusätzlichen Formate vertieft und verhandelbar, Besucher*innen können sich leicht ins Gespräch einbringen und in einem nicht ganz so formellen Rahmen mitreden. Die gezeigte Position ist somit keine ultimative Setzung, sondern wird aktiv zur Diskussion gestellt. Dieses erweiterte Programm ist Teil einer diskursiven Praxis, die von Anfang an im Zentrum stand.
In den Jahren vor der Gründung gab es in Wien – und wie sich später herausstellte auch klar über Wien hinaus – eine strukturelle Lücke, da es keinen unabhängigen Ort gab, an dem jüngere oder noch nicht etablierte Architekt*innen ausstellen, Vorträge halten, diskutieren oder sich treffen konnten. Das MAGAZIN ist sicherlich eine Reaktion auf diese Situation, mit dem Anspruch neben den vorhandenen Institutionen in Wien einen Ort für zeitgenössischen Architekturdiskurs zu schaffen und gleichzeitig mit einer internationalen Szene in Austausch zu treten.
Eine weitere, von auswärts nach Wien eingeladene Position ist takk architecture, ein Architekturbüro aus Barcelona und Madrid. Im Zentrum ihrer Arbeit ist die Suche nach einer Architektur, die traditionelle Geschlechterrollen und binäre Logiken, wie jene von Natur und Kultur, überwindet. Damit streben sie eine queere Ästhetik und eine dementsprechend andere Materialität an. Die Ausstellung im Herbst 2019 haben sie Polycephaly betitelt, was Mehrköpfigkeit bedeutet.
Eine Art Mehrschichtigkeit in der Wahrnehmung bot sich auch allen Besucher*innen, die sich etwas länger dem Licht des Chandeliers im ersten Raum aussetzten (Bild 2). Über die sehr starken LEDs wurde der Raum pink angestrahlt, was aber nach einigem Verweilen und nach Anpassung der Sehrezeptoren als weiß wahrgenommen wurde. Nach Verlassen des Ausstellungsraums kippte das Farbspektrum erst langsam wieder ins Gewohnte. Diese Verschiebung der Wahrnehmung gliedert sich ein in das, was Mireia und Alejandro allgemein mit ihren Projekten anstoßen wollen, das Hinterfragen normativer Gegebenheiten.
Verschieden gewichtet ist hingegen der Zugang von Marlene Wagner, die in ihrer Ausstellung „Mapping Social Architecture: Zwischen Suchen und Wirken“ vom Herbst 2018 ihre langjährige Design-Build-Arbeit in Südafrika reflektierte. Für die Ausstellung im MAGAZIN hat sie ein Dispositiv aus Hanffäden geschaffen, welches die grundsätzliche Relationalität und Netzwerkhaftigkeit dieses Arbeitens – und allen Arbeitens per se – sichtbar zu machen vermag (Bild 4). Von der Decke bis zum Boden hängende Hanffäden füllten gerastert den Hauptraum. Die Hanffäden gingen die Besucher*innen unweigerlich an, sie konnten sich nicht entziehen. Allmählich öffnete sich über die einfache und intuitive Interaktion ein relationaler Raum. Zuallererst durch das einfache Wegschieben von Hanffäden, die sich dann ineinander verhedderten und erste Durchgangspfade freigaben, später durch verschiedene Knoten- und ansatzweise Webetechniken, die Orte des Verweilens hervorbrachten. Von den Hanffäden wurde man aber nicht nur berührt, sondern man hat ihren Geruch aufgenommen, ihre Fasern fortgetragen.
Der über die Ausstellungsdauer entstandene Zustand des Hauptraumes hat in sich sechs Wochen intendierter sowie nicht intendierter Interaktionen gespeichert. Mit ihrer Ausstellung zeigte Marlene Wagner einerseits, dass die Spuren, die eine jede und ein jeder hinterlässt, über das hinausgehen, was in ihren einzelnen ursprünglichen Handlungen beabsichtigt ist. Andererseits exemplifiziert sie einen konkreten Bauansatz im Sinne eines gemeinsamen, solidarischen und unhierarchischen Bauens.
Abschließend sind die Projekte von Marc Leschelier aus Paris generell Architekturen ohne Funktion im klassischen Sinne, wie in seiner Ausstellung Cold Cream vom Winter 2020. In einer Zeit, in der der Zweck eines Gebäudes zwischen Behausung und Kapitalanlage verschwimmt, lehnt er das Bauen als teleologisches, zweckorientiertes und rationales Unternehmen dezidiert ab und konzentriert sich stattdessen auf die primitiven Prozesse der Akkumulation von Material. Mit diesem Ansatz versucht er, eine andere Realität der Architektur als ein Aufeinandertreffen von fester und flüssiger Materie sichtbar zu machen, die sonst hinter Gipskarton und Styropor verschwindet. Seine Gebilde sind also keine benutzbaren Räume, sondern unvollendete Strukturen, die er als pre-architecture (Vorarchitektur) beschreibt.
Die gekippten Steine sind Ausgangspunkt für eine symmetrische Formation, die Marc als Maschine bezeichnet (Bild 5). Durch die jeweiligen Hohlräume lässt er flüssigen Gips fließen. Dabei bleibt unklar, wer die nicht kontrollierbare Geste des Schüttens zu verantworten hat, Marc selbst oder doch die primitive Maschine. Je nachdem wo die Pfütze hinfällt, legt Marc einen Backstein hin, ein spontanes Konstruktionsprinzip, das er construction directe (direktes Bauen) nennt. Der Zustand der pre-architecture ist ein sehr unbeständiger. Er droht auch je nach Betrachtung von einer Vorarchitektur in eine Nacharchitektur zu kippen. Ein Pendeln zwischen unvollendeter Struktur und Ruine, zwischen dem, was erst zur Architektur wird und dem, was Architektur gewesen ist. Nach der Ausstellung wurden die einzelnen Steine vom Mörtel und Gips befreit und über willhaben.at wieder in Umlauf gebracht. Sie sind jetzt Teil von Hochbeeten, Kellermauern und gemauerten Garten-Grills.
MAGAZIN
Vielen Dank für diesen sehr erhellenden und informativen Artikel, der wirklich Lust auf das MAGAZIN macht und zeigt, was ein längerer Text kann. Ich habe den Newsletter des MAGAZIN abonniert, aber dadurch immer nur Streiflichter wahrgenommen, die ich nicht so genau einordnen konnte. Als Anrainerin hab ich nur eine Frage offen: wo in der Lugnercity?! Ich hab’s nicht bemerkt 😳😿