22/01/2011
22/01/2011

Univ.-Prof. DI Dr. Wolfgang Streicher, Professor am Arbeitsbereich für Energieeffizientes Bauen des Instituts für Konstruktion und Materialwissenschaften
Foto: Universität Innsbruck

Müssen Häuser hoch technisiert sein, um effizient zu sein? Nein, sagt Wolfgang Streicher, und propagiert das „Low-Tech-Gebäude“. Integrale Planung, traditionelles Wissen, historische Bautechnologien und sparsame Technik schaffen den gleichen Effekt – zu niedrigeren Kosten.

Wer, wie der Autor, mit der Steuerung einer Kombi-Gastherme hoffnungslos überfordert ist und dabei vom herbeigerufenen Installateurmeister nur knapp geschlagen wird, wird aufjauchzen vor Genugtuung ob des Low-Tech-Building-Programms, das Wolfgang Streicher fährt. Der 49-jährige Grazer, seit Semesterbeginn Professor im „Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen“ am Institut für Konstruktion und Materialwissenschaft der Universität Innsbruck, versteht ein „Low-Tech-Gebäude“ als Antithese zum übertechnisierten Gebäude“, wofür er viele gute Begründungen nennt – und eine ganze Reihe von wirkungsvollen Lösungsmöglichkeiten. Zusammengefasst laufen sie darauf hinaus, dass die Beachtung natürlicher physikalischer Effekte, traditionelles Wissen, historische Bautechnologien und Materialien sowie lokal vorhandene Ressourcen und Rohstoffe die Basis für eine Weiterentwicklung des energieeffizienten Bauens und dessen Anpassung an moderne Erfordernisse sind. „Intelligente Gebäude brauchen keine (oder nur wenig) künstliche Intelligenz, da sie in sich intelligent sind“, proklamierte der Technik-Professor jüngst bei der Fachtagung „Future Buildings“ in Innsbruck. Dass Streicher als graduierter Maschinenbauer und bisheriger Leiter der Arbeitsgruppe „Energieeffiziente Gebäude“ am Institut für Wärmetechnik der TU Graz als andere als Technik-feindlich ist, muss in Anbetracht der Reaktionen, die er bereits erlebt hat, ausdrücklich hervorgehoben werden. Einerseits meinte nach der Innsbrucker Tagung der Innungsmeister der Tiroler Baumeister, von einem Vertreter der Universität hätte er sich etwas anderes erwartet, andererseits war Streicher zuvor schon bei der Förderschiene „Haus der Zukunft“ mit der Begründung abgeblitzt: „Diese Betrachtungsweise führt uns nicht näher an das Null-Energie-Haus heran.“ Sein Forschungsantrag sei nicht innovativ.

Nun könnte man mit den Fördergebern darüber diskutieren, was denn unter „innovativ“ zu verstehen sei – back to the roots, gepaart mit moderner Technologie, ist es anscheinend nicht. Wenn Streicher postuliert, dass der Trend zur Automatisierung der Haustechnik immer stärker werde, wird man ihm kaum widersprechen wollen, weshalb der Neo-Innsbrucker auch deren theoretischen Vorteil nennt, den der besseren Regelung. Dem stünden allerdings die Nachteile hoher Investitions- und Wartungskosten gegenüber, die Aufwändigkeit
der Inbetriebnahme und System-Abstimmung, die oftmals fehlende Zeit für die Einregulierung sowie schließlich die gegenüber dem Gebäude wesentlich kürzere Lebenszeit der Sensorik, der Aktorik (bewegte Teile) und der Elektronik. „Gebäude leben 50 oder 80 Jahre, die gesamte Anlage muss aber wahrscheinlich alle zehn Jahre komplett ausgetauscht werden. Allein die Lagerhaltung von elektronischen Bauteilen ist oft nicht über diesen Zeitraum hinaus gewährleistet und nach 20 Jahren gibt es kaum mehr die Möglichkeit, die Software des Systems zu lesen oder zu warten“, sagt Streicher. Wer, frägt der Bau-, Nach- und Vordenker, könne heute noch ein fünf Jahre altes Mobiltelefon reparieren? „Ist es da nicht zielführender“, wollte Streicher daher für das „Haus der Zukunft“ erforschen, „ein Gebäude von vornherein so zu bauen, dass es aufgrund seiner Eigenschaften – wie etwa die Ausrichtung des Gebäudes, die Fenstergrößen, bauliche Verschattungen, interne Speichermassen, etc. – nur eine sehr geringe zusätzliche Regelung benötigt und diese wiederum so einfach wie möglich zu gestalten?“ Mit Technik könne man alles kaschieren, merkt der Professor an.

Das Streicher’sche Anforderungsprofil an das Low-Tech-Gebäude verlangt einen niedrigen Heizenergiebedarf durch „sehr gute Dämmung“ und „sehr gute Fenster“, beides mindestens in Passivhaus-Qualität, und einen „optimalen sommerlichen Überwärmeschutz“ durch die Ausrichtung des Gebäudes und die richtigen Fensterflächen, gute bauliche Verschattung im Sommer, aktivierbare Speichermassen und Nachtauskühlung durch natürliche Lüftung inklusive Schlagregen- und Einbruchschutz. Dazu liefert der Mit-Entwickler des Energieausweises ein praktisches Beispiel: „Nehmen wir ein Thermostatventil unter einem Fenster: Wird das Fenster an einem nicht zu kalten Wintertag gekippt, so fällt die kalte Luft auf den Thermostatkopf und bewirkt die vollständige Öffnung des Ventils. Dadurch gibt der Radiator mehr Leistung ab und kann eventuell die gewünschte Raumtemperatur halten. Resultat: Das Fenster bleibt offen und der Raum verliert wesentlich mehr Wärme an die Umgebung als notwendig. Hightech-Lösungsmöglichkeiten wären Fenstergeber und automatisch regelbare Thermostatköpfe. Wird das Fenster geöffnet, schließt das Thermostatventil, der Raum kühlt sich ab und der Benutzer schließt das Fenster wieder. Diese Maßnahmen kosten einen Fenstergeber, einen Messdateneingang und einen analogen Messdatenausgang sowie einen Stellmotor am Thermostatkopf – samt der notwendigen Wartung. Eine Low-Tech-Lösung wäre ein Temperaturfühler in einem Referenzraum statt eines Thermostatventils, der ein Strangregulierventil für mehrere gleichartige Räume bedient. Wenn nun ein Fenster,
nicht im Refrenzraum, gekippt wird. „Man verliert hier zwar etwas mehr Energie als in der Hightech-Variante, jedoch ist der Aufwand sogar geringer als für die Ausgangsvariante“, so Streicher. Fast schon ketzerisch
klingt die Überlegung des Energie-Experten, „lieber weniger Freiheitsgrade und theoretisch etwas geringeren Wirkungsgrad, dafür aber praktisch bessere Funktionalität“, denn niemand könne komplizierte Regler einstellen – abgesehen von echten Technik-Freaks. Mit zahlreichen Beispielen untermauert Streicher seine Planungsansätze, wonach die Haustechnik in Bezug zum Gebäude stehe und Mehrfachfunktionen habe: Etwa der Selbstregeleffekt von Fußbodenheizungen, der sich aus Speichermasse plus Trittschalldämmung ergebe, die Referenzraumregelung statt außentemperaturgeführter Vorlauftemperatur-Regelung mit Einzelraumregelung durch Raumthermostate, die Lüftungsanlage als Heizung auszuführen oder eine Betonkern aktivierte
Decke, die als Heiz- und Kühlfläche wirke.

An Verschattungssystemen demonstriert der Professor einen weiteren entscheidenden Systemunterschied: „Bei gängigen Hightech-Varianten für außen liegende Verschattungen heben oder senken sich diese, angetrieben von Elektromotoren, automatisch über einen Strahlungssensor und einen Innenraumtemperaturfühler und sind zudem oft mit einem Windsensor zu ihrem Schutz ausgerüstet. Überdies wird immer öfter die Verschattung durch eine außen liegende Verglasung vor Wind geschützt.“ In einer Low-Tech-Ausführung würden südseitig simple Dachüberstände gebaut, die im Sommer verschatten und im Winter die Sonne zur passiven Sonnenenergienutzung ins Haus lassen, und an allen Seiten würden händisch zu bedienende Verschattungselemente, sprich Jalousien oder Fensterbalken, als Blendschutz angebracht.
Siehe viele alte Bauernhäuser, beispielsweise in burgenländischen Straßendörfern etc. „Richtig bedient, können solche Systeme kostenmäßig und energetisch besser funktionieren als automatisierte, da weniger Teile auch weniger kosten, weniger fehleranfällig sind und keinen Stromverbrauch haben.“ Alles nicht neu, aber von unseren Vorfahren erfolgreich behirnt und gebaut. Natürlich, räumt Streicher ein, seien Dachüberstände und reduzierte Ost-/West-Fenster eine Frage der Gestaltung durch den Architekten sowie
der städtebaulichen Möglichkeiten.

Er gehe grundsätzlich mit Streicher konform, sagt Bernhard Hammer, steirischer Haustechnik-Planer und Geschäftsführender Gesellschafter der e² group umweltengineering GmbH (siehe Seite 30), dass altes Wissen für ein effizienteres Bauen eine tolle Basis ist. Sicherlich sei hier einiges verloren gegangen, teils aber auch wegen diversester Bau- und Bebauungsvorschriften gar nicht umsetzbar. „Gleichzeitig ist gerade im Bereich der Gebäudetechnik festzustellen, dass der Anteil an Automatisierung, Überwachung und Technik in den letzten Jahren gestiegen ist: Hatte man früher für die Gebäudetechnik einen Kostenanteil von ca. 20 Prozent, beispielsweise im Bürobau, so kann man jetzt mit einem Anteil von ca. 30 bis 35 Prozent rechnen“, erläutert Hammer. „Eine Reduktion der Technik ist auf Basis der derzeitigen Anforderungen und auch aufgrund des Nutzerverhaltens aus meiner Sicht nicht durchführbar. Ein Hemmschuh sei sicherlich die geforderte Unabhängigkeit, dass jederzeit die persönliche „Umgebung“ eingestellt werden kann – und das noch dazu in Abwesenheit. „Die Forderung von Prof. Streicher – die für mich nachvollziehbar ist – wird sich nur äußerst schwer realisieren lassen, da viele Hindernisse hierfür aus dem Weg zu räumen sind“, so der erfahrene Haustechnik-Planer. Genau damit setzt sich Low-Tech-Vorkämpfer Streicher grundsätzlich auseinander, nämlich mit dem Nutzerverhalten: „Inwieweit sind die Benutzer von Einfamilienhäusern bereit, Eigenverantwortung für die Bedienung des Gebäudes zu übernehmen, oder wird erwartet, dass die Regelung eines Gebäudes jedes Verhalten toleriert und ausgleichen muss? Kann dem Benutzer auch manuelles Handling im Einfamilienhaus zugemutet werden, für Lüftung, Licht und Temperatur?“ und „Muss die Haustechnik alle Entscheidungen übernehmen und so den Benutzer unmündig machen?“

Zu sehr ähnlichen Ergebnissen, wenn auch von einem anderen Ansatz ausgehend, kommt Brian Cody, Vorstand des Instituts für Gebäude und Energie an der TU Graz, wenn er grundsätzlich einmal festhält, dass im Gebäudesektor der Begriff „Energieeffizienz“ heute leider mit „Energiebedarf“ und „Energieverbrauch“ verwechselt werde. Das heutige Ziel relativ konstanter interner raumklimatischer, akustischer, luft- und lichttechnischer Konditionen in einem Gebäude könne auf zweierlei Weise erreicht werden: Einerseits, indem die natürlichen Kräfte und Konditionen so weit wie möglich herausgehalten und die inneren Konditionen mittels energieeffizienter Gebäudetechniksystemen erzeugt und aufrecht erhalten würden, oder andererseits, „indem man durch die Form und Konfiguration des Gebäudes, seiner Konstruktion und Haut die natürlichen Konditionen und Kräfte nutzt“, so Cody.

Low-Tech benötige ein Gesamtverständnis des Systems Mensch-Gebäude-HLK und damit eine integrale Planung, sagt Streicher. Schubladenlösungen seien dafür nicht (mehr) verfügbar, allerdings könnten mit Low-Tech die Investitionskosten und die Komplexität der Haustechnik stark gesenkt werden. Low-Tech sei robuster und langlebiger als Hightech, sagt Streicher, entspreche aber nicht dem heutigen Verständnis, wonach alles mit Elektronik optimiert werden müsse. Fragt sich nur, weshalb Low-Tech nicht weiter verbreitet sei? „Das liegt an den Endkunden, die nicht bereit sind, den höheren Planungsaufwand zu honorieren“. Trotz niedrigerer Herstellungskosten.

Der Betrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers des Magazins a3B:Tec für die Wiederveröffentlichung auf www.gat.st zur Verfügung gestellt. Die Architekturpublizistin Karin Tschavgova hat ihn dafür ausgewählt.

Verfasser/in:
Hannes Ch. Steinmann, Bericht; erstmalig erschienen in der Ausgabe 11-12/2010 des Magazins a3 B:Tec
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