Architekturskizzieren und Bauaufnahmen
Ihr wichtigster Arbeitsbereich an der Lehrkanzel für Baukunst und Entwerfen bei Prof. Friedrich Zotter war zunächst die zeichnerische Dokumentation und Aufmessung historischer Bauten, die einen hohen Stellenwert hatte. Mehrere Jahrgänge von Studierenden haben in den Nachkriegsjahren ihre Pflichtseminare besucht, skizzierten in Graz und verschiedenen Orten in der Steiermark und ließen sich davon in ihrer Arbeit inspirieren. In der 1951 von Prof. Karl Raimund Lorenz für eine Ausstellung in den USA zusammengestellten Broschüre „School of Architecture Graz“ werden verschiedene Studienarbeiten aus ihren Lehrveranstaltungen präsentiert. Die Skizzen und Bauaufnahmen, die bei „Frau Herdey“ oder „Frau Doz. Herdey“ ausgeführt wurden, stammen etwa von den später bekannt gewordenen Südtiroler Architekten Othmar Barth (Fassade des „Taubenkogel“ in der Hofgasse) und Arno Hofer (Fassade eines Eckhauses in der Stempfergasse). Architekt Ernst Hiesmayr (1920-2006), zum Studium aus Innsbruck nach Graz gekommen, erinnerte sich Jahrzehnte später fast schwärmerisch an ihr „romanische(s) Element“: „Eine südliche Sonne hat uns als Autorität alle Wege geebnet – uns begleitet und zivilisiert.“
Lorle Herdey selbst strebte die Promotion an, um als Dozentin weiter an der Hochschule beschäftigt sein zu können, konnte ihre Dissertation jedoch aus Mangel an verfügbarer Zeit nicht abschließen. Friedrich Zotter war nach 1945 nicht nur als Professor, sondern auch als Dekan der Architekturfakultät und Hochschulrektor tätig, weshalb seine Assistentin einen Großteil der Unterrichts- und Verwaltungstätigkeit an der Lehrkanzel für Baukunst und Entwerfen zu übernehmen hatte. Neben ihrer Tätigkeit im eigenen Architekturbüro setzte sie ihre Lehrtätigkeit in den Jahren 1952-1961 (bis zu Zotters Tod) mit einem externen Lehrauftrag fort.
Studium und erste Aufträge
1923 in Graz als Eleonore (Lorle) Savageri geboren, hatte sie 1941 das Studium der Architektur an der TH Graz begonnen. Der Zweite Weltkrieg bestimmte ihre Studienzeit, in welcher, da die Männer im Militäreinsatz waren, in der Mehrzahl Frauen das Architekturstudium abschlossen. Wegen einer großflächigen Evakuierung der Stadt Graz im April 1945 konnte sie das zweite Staatsexamen nicht ablegen, sie erhielt deshalb, wie ihre Studienkolleginnen, das Diplom ohne dieses. 1946 heiratete sie einen Studienkollegen, den Salzburger Wilhelm Andreas Herdey. Bald nahm das Architektenpaar erste Projekte in Angriff, in einigen Fällen gemeinsam mit den Professoren Karl Raimund Lorenz und Friedrich Zotter.
Beim Wettbewerb für den Neubau des Rathauses von Knittelfeld erhielt ihr gemeinsam mit Zotter und dem Künstler Fritz Silberbauer erstellter Entwurf 1947 den ersten Preis. Das Paar beteiligte sich auch am österreichischen Architekturwettbewerb für die Olympischen Spiele 1948 in London, der Entwurf für eine Tennissportanlage in Leopoldskron bei Salzburg wurde ausgezeichnet. Zu den ersten ausgeführten Bauten gehörten mehrere Neubauten für die Maschinenfabrik Andritz (1947-58), darunter eine einfache, eher konventionell gestaltete Werksiedlung (Pedrettogasse/Baumgasse, 1951/52), unmittelbar neben dem Produktionsgelände errichtet. In der Folge plante ihr Büro auch verschiedene Gebäude für die Sodafabrik der Solvay-Werke im oberösterreichischen Ebensee (1951).
Hochschulbauten
Nach dem Wiederaufbau bombenzerstörter Bauten der Grazer Technischen Hochschule machten es die steigenden Studierendenzahlen in den 1950er Jahren notwendig, auch Neubauten für Institute und Laboratorien zu errichten. Das Schörgelhofgelände bei der Neuen Technik bot sich dafür besonders an. Nach Errichtung des Chemiegebäudes durch Karl Raimund Lorenz planten Lorle und Andreas Herdey gemeinsam mit diesem das (heute nicht mehr existierende) zentrale Heizwerk mit Wärmelaboratorium und Trafostation (1951, 1955-61) sowie das Wasserbaulabor mit Versuchshalle und Lehr- und Forschungsräumen (1959-64) in der Stremayrgasse – beides fein gegliederte Bauten einer optimistisch gestimmten Nachkriegsmoderne. Es folgte schließlich das Neue Heizhaus der Karl-Franzens-Universität Graz (1957, gemeinsam mit Lorenz) sowie 1968 ein Plan für den Neubau im Park der heutigen Kunstuniversität Graz.
Große Bauaufträge
Auch Spitäler und Pflegeeinrichtungen wurden in den 1950er- und 1960er Jahren vom Architektenpaar Herdey geplant: das Diakonissen-Krankenhaus in Schladming (später vom Büro noch einmal erweitert), die Umbauten des Krankenhauses Kitzbühel, die Neubauten des evangelischen Altersheimes mit Schwesternheim in der Grazer Nibelungengasse sowie des Gefangenenhauses des Landesstrafgerichts Graz.
1967 schrieb die Stadt Graz unter dem Paradigma der „autogerechten“ Stadt einen Wettbewerb für eine städtebauliche Neugestaltung am Murufer im „Kälbernen Viertel“ in der Innenstadt aus, wo eine historische Häuserzeile abgerissen worden war. Der Beitrag der Herdeys wurde dabei angekauft. Neben diesen größeren Projekten widmete sich Lorle Herdey auch kleineren, so dem modern-urbanen Buffetausbau im Kaufhaus Kastner & Öhler in Graz (1965) oder dem Ausbau ihrer eigenen Atelierwohnung im Dachgeschoss eines Hauses am Grazer Burgring.
Bis in die 1980er Jahre war die Architektin in ihrem Büro tätig, 2008 ist Lorle Herdey verstorben. 2019 wurde sie in der vom Archiv der TU Graz gestalteten Ausstellung „Frauen Wissen Technik“ als erste weibliche Lehrende der heutigen TU Graz einem breiteren Publikum vorgestellt.